Die Essenz der Wüste

Die jüngere Geschichte des Sultanats Oman ist fast zu schön, um wahr zu sein - ist sie aber. Zu verdanken ist es einem Mann: dem Sultan Qabus ibn Said.

Wäre der Oman eine Farbe - es wäre Ocker. An vielen Stellen ist der Wüstenstaat so, wie man es von einem Wüstenstaat erwartet: Vollgestopft mit Sand und Erde. Einmal im Jahr öffnet sich der Himmel. Von Juli bis September färbt sich der Süden in ein grünes Band, auf dem Dromedare und Kühe grasen. Dann hängt der Monsunregen wie ein zarter Schleier in der Luft und lässt die Natur explodieren, während es im Rest des Landes bei bis zu 50 Grad Celsius kaum noch zu ertragen ist. Es gibt einen regelrechten Regentourismus. Omanis aus dem Norden reisen in den Süden, um das Schauspiel mitzuerleben.

Wäre der Oman eine Tugend - es wäre Bescheidenheit. Anders als seine Nachbarn Dubai oder Abu Dhabi gibt sich das Sultanat unauffällig. Statt mit seinem Reichtum zu prahlen, wie es in den Glitzermetropolen der Vereinigten Arabischen Emirate zum guten Ton gehört, übt sich der Golfstaat in Zurückhaltung. Es gibt kaum Superlative, abgesehen von der Tatsache, dass der Oman gleich von zwei Wüsten aufgefressen wird: der Rub al Khali und der Wahiba Sands. Es gibt auch keine architektonischen Höhepunkte, die vom sandigen Wesen ablenken sollen. Das 450 Kilometer lange Hadschar-Gebirge, das wie ein Halbmond zum Golf verläuft, wirkt wie eine schorfige Kruste. Aus der Luft betrachtet hat es fast den Anschein, als blicke man auf das gebräunte Gesicht von Keith Richards - tausendfach vergrößert: Tiefe Furchen, Wadis genannt, ausgetrocknete Flussbetten, ziehen sich mäandernd durch die aufgeraute Bergwelt. Niemand weiß, wie viele Wadis es gibt. Die Omanis haben ein schönes Bild dafür. Sie sagen: "Wer hat schon die Sterne gezählt?" Punktuell ist die Natur aber schon sehr verschwenderisch: Eines der schönsten Wadis des Landes heißt Bani Khalid und liegt knapp 200 Kilometer von der Küstenstadt Sur entfernt. Es ist ein üppig-grünes Paradies, das zu beiden Seiten hin von einer steil aufragende Felswand beschützt wird. Das Wadi besteht aus mehreren türkisfarbenen Pools, in denen man baden kann.

Wäre der Oman ein Duft - es wäre Weihrauch. Einst war das Räucherwerk kostbar wie Gold. Auf Wunsch von Sultan Qabus wurde Ende der 70er Jahre der französische Parfumeur Guy Robert gebeten, einen Duft zu kreieren, der das Land einfangen sollte. Heraus kam Amouage - das vorübergehend teuerste Parfüm der Welt, das neben Rosenwasser und Myrrhe auch Weihrauch enthält. Die Einheimischen räuchern mit dem Harz nicht nur ihre Kleidung, ihre Wohnungen und Autos. Sie trinken es, sie lutschen es, sie atmen es ein. Rund 1200 Weihrauchbäume gibt es im Oman. Manche von ihnen sind schon mehrere Hundert Jahre alt. Es wurde schon öfter versucht, Ableger davon an zugänglicheren Stellen aufzuziehen. Ohne Erfolg. Seit Jahrtausenden sind sie im Wadi Dhawka im Süden des Landes beheimatet und gehören verschiedenen Familien. Im Frühjahr ritzt man sie mit einem Messer, damit der kostbare Saft austritt. Je reiner, heller und klarer das Harz ist, desto besser die Qualität, heißt es. Ein Kilo sehr gutes Weihrauch kostet auf dem Souk in Salalah ungefähr zehn Rial, das entspricht etwa 22 Euro.

Wäre der Oman ein Geschmack - es wäre der honigsüße Goût der Dattel. Seit 3000 Jahren werden die Früchte in den Oasen angebaut. Anders als zum Beispiel Kokosgewächse bevorzugen es die Dattelpalmen, mit dem Fuß im Wasser und mit dem Kopf in der Sonne zu stehen. Deshalb wachsen sie nur im Norden des Landes, so wie in der Oase von Bahla, wo man durch einen Hain spazieren kann. Von Juni bis September werden die Datteln von Hand gepflückt. Es gibt etwa 40 Sorten allein im Oman. Die teuerste kostet umgerechnet mehr als 1000 Euro pro Kilo. Bevor die heutigen Beduinen sesshaft wurden, zogen sie mit ihren Tieren durch die Wüste. Es gab nur wenige Lebensmittel, die sie auf ihrer beschwerlichen Reise mit sich führen konnten. Eines davon war die Dattel, weil sie so gut haltbar ist - etwa ein Jahr.

Wäre der Oman ein Märchen - es wäre wahr. Es war einmal ein Land, das befand sich in einem Dornröschenschlaf. Das Land war fast so groß wie Deutschland, aber es lebten nur 4,5 Millionen Menschen darin. In der Antike war es für seinen Weihrauch berühmt, später für den Handel mit Kupfer. Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte es seine Blütezeit: Es beherrschte große Teile der ostafrikanischen Küste und residierte zeitweise in Sansibar. Doch der Imperialismus zerlegte die einstige Seemacht. Es ist keine 50 Jahre her, da gab es im ganzen Land nur ein Krankenhaus, zehn Kilometer asphaltierte Straße und drei Koranschulen. Doch dann trat ein junger Mann namens Qabus ibn Said auf den Plan. Der 29-Jährige stürzte seinen Vater, den amtierenden Sultan, vom Thron, ernannte sich selbst zu dessen Nachfolger und ließ alle Stämme Frieden miteinander schließen. Mit dem Geld, dass sein Land durch Erdöl erwirtschaftete, ließ er neue Straßen bauen und schuf damit ein Gesundheitssystem und steckte es in die Bildung seines Volkes. Heute ist das Land kaum wiederzuerkennen. Jedes noch so kleine Dorf hat Strom und Wasser. Jeder Bürger ein Dach über dem Kopf und einen Job in der Tasche. Man könnte sagen: Sultan Qabus hat das Land wachgeküsst und wird dafür verehrt wie ein Heiliger.

Am 18. November feierte er seinen 77. Geburtstag. Wie lange man sich das Märchen noch erzählt, bleibt allerdings abzuwarten. Der Sultan hat keine Kinder. Angeblich sollen sich die Stämme nach seinem Tod innerhalb von 72 Stunden auf einen Nachfolger einigen. Andernfalls hat Qabus zwei Namen in einem Safe hinterlassen. Schließlich geht es um sein Vermächtnis. Es geht um den Oman.

Die Redaktion wurde von Studiosus Reisen zu der Reise eingeladen.

(webe)
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