Europa Eine Insel schön wie Helena

Historische Thermen und umgebaute Badehäuser erinnern auf der griechischen Insel Lesbos an bessere Zeiten. Das Kostbarste heute ist die Natur.

Obwohl es in Griechenland zurzeit nicht viel zu lachen gibt, hat sich Lannis Troumpounis seinen Humor bewahrt. "Mein Sohn unterrichtet Wirtschaft an der Uni in Barcelona", amüsiert sich der Architekt. "Ein Grieche lehrt im Ausland Wirtschaft — guter Witz, oder?" Seine Heimat ist die drittgrößte Insel Griechenlands: Lesbos, rund 30 Kilometer vor der türkischen Küste gelegen. Bislang ist die Insel in der nordöstlichen Ägäis, deren Seele der Ölbaum ist, vom Massentourismus verschont geblieben. Das Öl, das aus den schwarzen Früchten der Bäume gewonnen wird, gehört zu den besten der Welt. Die silbergrau-grünen Haine erinnern an die Augen der Athene. Oder waren es die der schönen Helena?

Wer sich Troumpounis anschließt, bekommt die schönsten Winkel Lesbos' gezeigt. Historische Thermen und umgebaute Badehäuser, die an bessere Zeiten erinnern. Nein, es ist kein privater Hinterhof, der sich einem in Pirgi Thermi auftut. Es ist die ehemalige Hauptstraße der Insel, die Marktstraße. "An einem Ende stand die Moschee, am anderen die Kirche. In der Mitte traf ,Mann' sich, um Geschäfte und Politik zu machen", erklärt der Experte für Baugeschichte und deutet dabei nach oben auf die Glyzinien, die die Gasse auf idyllische Weise beschatten.

Bunt ist die Insel, die zu Unescos Global Geoparks Network gehört. So wie der zauberhafte Bienenfresser, der dort mit rund 300 weiteren Vogelarten eine Heimat gefunden hat. Lesbos liegt auf dem ostmediterranen Vogelzugweg. Flamingos, aber auch Weiß- und Schwarzstörche, Zitronenstelzen, Schabrackenlibellen, Orpheusgrasmücken und Maskenwürger geben ein faszinierendes Gastspiel. Außerdem gibt es 50 Schmetterlings- und 80 Orchideenarten.

Wer mit Pantelis Thomaidis und Petros Tsakmakis unterwegs ist, kann es entspannter angehen lassen. Die beiden Naturfreunde gehören zu den erfolgreichsten Vogelfotografen der Insel. Kameras mit Objektiven von der Größe eines Megaphons und dem Wert eines Kleinwagens machen es möglich.

Die Zwei kennen jeden Quadratzentimeter ihrer Insel; wissen genau, wo welche gefiederten Freunde residieren und tirilieren, zu welcher Tageszeit der Storch auf dem Schornstein der alten Ölmühle in Polichnitos eine Audienz gibt oder wann das Salzpfannen-Biotop bei Skala Kallonis die besten Lichtverhältnisse bietet, um die zauberhaften Flamingos in den Fokus zu nehmen.

Ein Tag mit den Experten und das Auge ist offen für die Natur. Die beiden Inselkenner zeigen gerne, dass der beste Anis und Fenchel für den Ouzo in der Nähe von Lisvori auf der Ostseite vom Golf von Kalloni wächst. Oder dass es an einem einsamen Strand im Hafen von Skala Vasilikon eine urige Bergkapelle zu entdecken gibt. Nicht zu vergessen: wo der ornitho-touristische Höhepunkt zu finden ist — unweit von Achladeri in einem abgebrochenen Kiefernstamm. Drumherum verbringen Vogelkundler und -fotografen Stunde um Stunde, um die Ankunft der Inselhoheit mitzuerleben: ein Paar Türkenkleiber, das sich das Totholz zum Brutplatz ausgeguckt hat.

Im Norden der Insel locken das malerische Molivos und seine Umgebung mit 800 Kilometern Wanderwegen. "Wir haben zugewucherte Schäferwege wieder freigelegt und neu ausgeschildert", berichtet Theofilos Chavoutsiotis, Mitglied der Molivos Tourist Association. Umso größer das Vergnügen, die Oregano gesäumten Pfade zu erkunden. Große Schildkröten grüßen den aufmerksamen Passanten und bringen Glück. Ziegenhirten, die mit ihrer läutenden Herde über die Hügel schreiten, flankieren die Wanderer, während die von den Gipfeln die Aussicht auf pittoreske Bergdörfer und das traumhafte Meer genießen.

(RP)
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