Nordhessen Eisschnitzen bei Frau Holle

Schneelose Winterwochen lassen Sehnsucht nach der weißen Pracht aufkommen. Besonders schön ist sie in der Heimat von Frau Holle zu bestaunen - in Nordhessen.

Da sitzt sie, die Goldmarie, goldbraun glänzend, auf der steinernen Umfassung eines Brunnens. "Zieh dir was Warmes an, Kind", möchte man ihr zurufen. Auf ihrem Kleid liegt eine zentimeterdicke Schneedecke. Statt zu frieren hält sie züchtig den dünnen Stoff über ihrem Dekolleté zusammen und blickt träumend in den Schacht. Neben ihr prangt eine Tafel mit einem QR-Code - die Goldmarie in Meißner-Vockerode ist eine von 48 Stationen, zu denen die Schatzsuche-App in Nordhessen, Heimat der Brüder Grimm, einlädt.

"Der einzig wahre Platz für ein Märchen ist in unseren Herzen", erklärt Frau Holle, die im richtigen Leben Anne Huck heißt. In Hessisch-Lichtenau mimt sie seit rund zwei Jahren die Frau Holle. Und wie bei jedem neuen Job war zunächst eine Einarbeitungszeit nötig. "Nein, Betten ausschütteln konnte ich schon vorher", sagt die Hausfrau schmunzelnd. Vielmehr musste sie noch einmal die Schulbank drücken. "Frau Holle ist die einzige Märchengestalt der Brüder Grimm, die gleichzeitig auch eine Sagengestalt ist", sagt sie. Freya, Frigga, Perchta, Hulda - all diese Gottheiten haben in Frau Holle Märchengestalt angenommen. "Auch Gartenfans begeistern sich für das Märchen, denn dem Hollunder hat sie ihren Namen gegeben", erzählt Huck und lädt ins Holleum ein. Seit 2006 gibt es das kleine Museum im Alten Rathaus Hessisch-Lichtenaus.

Frau Holle ist am Hohen Meißner zu Hause. "Sagen lassen sich verorten", sagt Grimmheimat-Sprecherin Sylvia Stock. Der Solitär-Berg südöstlich von Kassel hat ein eigenes Klima. Während das Thermometer im Werratal Plusgrade anzeigt, liegt 500 Meter höher oft schon Schnee. Die Abfahrt ist weder lang noch spektakulär, denn das Hochplateau lädt vor allem zum Langlauf ein. Prämierte Wanderwege bürgen für die Qualität des Naturerlebnisses. Auch bei Schnee können Kinderwagen auf dem geräumten Winterwanderweg passieren. Eine für viele unvergessliche Erfahrung ist die winterliche Fackelwanderung, die der Naturpark Meißner-Kaufunger Wald anbietet. Bei der anschließenden Märchenstunde wärmen sich die großen und kleinen Kinder am Bollerofen.

Auch für Frostbeulen geeignet ist das Eisschnitzen: Der gelernte Koch Björn Sippel arbeitete früher in Sterne-Restaurants. Gelernt hat er das Handwerk, um Gala-Büffets mit Eisskulpturen auszustatten. Dann übernahm er den Meißnerhof in Germerode von seinen Eltern. Inzwischen bietet er Workshops im Eisschnitzen an, weil er dabei selbst "so herrlich entspanne und vom Alltagsstress runterkomme". Den 120-Kilo-Block drittelt er mit der Motorsäge und wuchtet die kleineren Blöcke auf einen Tisch. Mit Meißel und Muskelkraft markiert der 43-Jährige die Konturen, drückt dem unbedarften Teilnehmer sein Werkzeug in die Hand und gibt das Kommando: "Schneide all die Ecken ab, die überflüssig sind." Die Kursteilnehmer scherzen über das bevorstehende Kettensäge-Massaker, dann fliegen die Eisbrocken durch die Luft. Ist das Grobe geschafft, kommen die handgeschmiedeten Eiscarving-Meißel aus japanischer Klingenproduktion zum Einsatz. Schaber, V-Meißel, Flachmeißel und rund gebogene U-Meißel liegen schwer in der Hand. Schlag für Schlag und Kratzer für Kratzer schält sich eine Form aus dem Eis. Und wer mag, der darf sein vergängliches Kunstwerk am Ende in den Kofferraum packen und mitnehmen.

(RP)
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