Gipfel der Genüsse Entspannung pur — Wintertour in Alta Badia

Düsseldorf · Noch vor wenigen Jahrzehnten war Alta Badia ein verlassenes Tal. Heute lockt es Wintersportler und Gourmets aus aller Welt an. Doch die Vergangenheit begegnet dem Besucher auf Schritt und Tritt.

Winterurlaub in Alta Badia
6 Bilder

Winterurlaub in Alta Badia

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Noch vor wenigen Jahrzehnten war Alta Badia ein verlassenes Tal.
Heute lockt es Wintersportler und Gourmets aus aller Welt an. Doch die Vergangenheit begegnet dem Besucher auf Schritt und Tritt.

Rund um die Dorfkirche gruppieren sich wie lose verstreute Bauklötze ein paar Häuser im gleißenden Schnee. Das größte ist die alte Schule, die anderen sind gedrungen wirkende Bauerngehöfte, die sich an steile, noch unberührte Berghänge schmiegen, aus denen viele Jahre später einmal die Stahlträger der Skilifte ragen werden.

"So sah es früher hier einmal aus, vor über 70 Jahren", erklärt die Verkäuferin eines Trachtenladens in Corvara. Die alte Schwarzweißansicht hängt in vielen Geschäften und Souvenirshops der Südtiroler Gemeinde. Fast scheint es, als könnten die Bewohner im malerischen Alta Badia immer noch nicht so recht fassen, welch unglaublicher Wandel sich in ihrem einst so abgeschiedenen Dolomitental im Laufe der Jahrzehnte vollzogen hat.

Stimmungsvolle Heimatabende

Nur eine Skipiste trennt die neue Zeit von Corvaras beschwerlicher Vergangenheit. Gleich hinter dem Luxushotel "La Perla", wo schon Hollywoodstars wie George Clooney oder Tom Cruise abgestiegen sind, liegt wie ein Relikt aus einer anderen Epoche ein typisches altes Bauernhaus, Keller und Erdgeschoss aus schweren Steinen gemauert und weiß verputzt, darüber das eigentliche Wohngebäude ganz aus Holz.

Seit dem Tod der letzten Besitzerin ist es unbewohnt. Nun haben es die Hoteleigentümer aufgekauft und nutzen das urige Ambiente für stimmungsvolle Heimatabende.

Der Angestellte Stefan Mayr führt über knarrende Holzdielen durch die rustikalen Stuben, vorbei an kojenähnlichen Schlafnischen und klobigen Sitzbänken, die am grob gemauerten Ofen lehnen. Im bunt bemalten Bauernschrank hängt auf einem Kleiderbügel noch ein alter Wehrmachtsmantel, und in der Wohnstube stapeln sich neben der schweren Hausbibel vergilbte Zeitschriften aus Vorkriegsjahren.

"Es kamen schon amerikanische Gäste vorbei, die von dieser Ursprünglichkeit so begeistert waren, dass sie hier übernachten wollten", erzählt Mayr. "Wie hart die Menschen damals arbeiten mussten, können sich die wenigsten heute vorstellen."

Gedrechselt, geschnitzt, geschustert

Auch in den langen Wintermonaten, nachdem das Vieh von den Wiesen in die Ställe getrieben worden war, blieb den Bergbauern kaum Zeit zum Müßiggang. Mayr öffnet die Tür zur angrenzenden Werkstatt, in der in Heimarbeit gedrechselt, geschnitzt und geschustert wurde.

Auf den Fensterbänken stehen hölzerne Puppenköpfe und Pantoffeln. Feilen, Sägen und Lederfutterale neben der Drehbank sind so akkurat angeordnet, als wollte der Hausherr gleich mit seinem Tagwerk beginnen.

Den oft romantisierten Jahren, bevor die Dolomiten vom Massentourismus entdeckt wurden, weint Roberta Rinna, die in Corvaras Nachbarort La Villa ein 4-Sterne-Hotel führt, keine Träne nach: "Es war eine schwere Zeit", erinnert sie sich, "besonders für meine Mutter, die nach dem Tod des Vaters allein vier Kinder ernähren musste. Ich kann mich erinnern, dass wir an manchen Tagen nicht genug zu essen hatten." Mit dem westdeutschen Wirtschaftswunder kamen Fortschritt und Wohlstand Ende der 50er Jahre auch allmählich in die rückständigen Dolomitentäler.

Schwer zugänglich

"Komm ein bisschen mit nach Italien", trällerte Caterina Valente damals in ihrem Schlager, "komm ein bisschen mit ans blaue Meer." Auf dem Weg dorthin verschlug es viele Touristen ins damals noch schwer zugängliche Alta Badia.

Eine abenteuerliche Reise, denn das versteckte Hochabteital, wie sein deutscher Name lautet, war von Norden fast 100 Jahre lang nur über die schmale Gadertalstraße zu erreichen, die sich oberhalb des gleichnamigen Flüsschens in kühnen Windungen an zerklüfteten Bergrücken entlangschlängelte.

Erst als sich 1993 ein schwerer Busunfall mit 18 Toten ereignete, entschlossen sich die Verantwortlichen zu einem Straßenneubau. Seit 2006 erreicht man Alta Badia bequem durch eine Kette von Tunneln. Die kurvenreiche Nebenstrecke gehört heute in den Sommermonaten den Wanderern und Radfahrern.

Seiner abgeschiedenen Lage in dem lange unzugänglichen Tal hat Alta Badia bis heute einige Besonderheiten zu verdanken, allen voran die ladinische Sprache, die noch von rund 30.000 Einheimischen als Muttersprache gesprochen wird und damit zu den kleinsten Sprachinseln Europas gehört.

Erlebnis für die Sinne

Die Verwandtschaft zum Italienischen ist unverkennbar, dennoch haben auch einige teutonische Begriffe Einzug ins Ladinische gehalten. Stüa ("Stube") ist so ein Wort. Im Maso Runch Hof in Badias Ortsteil Pedraces steht es an der weiß gekalkten Wand neben dem Eingang zur urgemütlichen Stube geschrieben, wo die Vorfahren der Familie Nagler einst noch als Bergbauern nach getaner Arbeit ihr Brot aßen.

Heute bewirten die Nachkommen Touristen unter Tellerborden, alten Familienfotos und dem Kruzifix in der Ecke mit selbstgekochter ladinischer Hausmannskost - und die ist ebenso deftig wie reichhaltig.

Zum Auftakt des Menüs gibt es eine nahrhafte Gerstensuppe, gefolgt von in brauner Butter gesottenen Schlutzkrapfen mit Spinat- und Quarkfüllung, Schweinshaxe mit Polenta und Sauerkraut, Knödel mit Gulasch und als Dessert Apfelstrudel, Furtaies (Strauben, ein süßes Backwerk) oder Apfelkuchen mit Eis. Wer selbst einmal die Rezepte der ladinischen Küche ausprobieren will, kann unter Anleitung von Erika Pitscheider im historischen Sotciastel-Hof einen Kochkurs besuchen.

Gutes Essen gehört zu Südtirol wie der Schnee zum Winter - nicht nur im Tal, sondern auch oben auf dem Berg. Wenn mancher Skifahrer nach einem kräftezehrenden Vormittag auf den Brettern Appetit auf Pommes und Currywurst verspürt, so werden solcherlei Gelüste in einigen Rifugi auf Unverständnis stoßen.

Südtirol ist mehr der eleganten italienischen Küche zugeneigt. Südländer sind eben Gourmets. Daher erstaunt es nicht, dass jede noch so einfache Skihütte eine Speisekarte auf gehobenem Niveau aufweisen kann.

In Alta Badia hat die Kombination aus Sport und kulinarischen Spezialitäten mittlerweile Tradition. Bereits zum siebten Mal findet in der Wintersaison 2011/12 das "Skifahren mit Genuss" statt: gehobene Gastronomie auf über 2000 Metern Höhe in zehn ausgewählten Schlemmerhütten.

Internationale Spitzenköche aus Österreich, Slowenien, der Schweiz und Deutschland kreieren für jedes Restaurant ein spezielles Gericht und suchen dazu den passenden Südtiroler Wein aus. Die fantastische Aussicht auf das Bergpanorama der Dolomiten mit den bizarren Gipfeln von Sassongher und Sella-Massiv gibt es gratis dazu.

Die Ütia Lèe unterhalb des Kreuzkofels ist eine dieser Gourmet-Stationen. Wer es schon zu Fuß mit Schneeschuhen oder Wanderstiefeln bis hierher geschafft hat, der sollte noch einen Kilometer weiter in Richtung der gewaltigen Gebirgswand klettern, die 800 Meter über den Armentara-Wiesen steil in die Höhe ragt. Am Fuß des mächtigen Felsmassivs liegt die kleine Wallfahrtskirche Heilig Kreuz, die im Jahr 1484 geweiht wurde.

In 2045 Metern Gott ein Stückchen näher

Man nimmt auf einer der wenigen Sitzbänke des Kirchleins Platz, lässt seine Blicke über die schlichten Deckenverzierungen und den schönen Altar schweifen und fühlt sich dort oben auf 2045 Metern Höhe Gott vielleicht sogar ein Stückchen näher. Die andächtige Stille wird bisweilen nur vom Gepolter klobiger Skistiefel gestört, in denen die Skifahrer durch das Kirchenschiff stapfen.

Es ist schwer vorstellbar, dass dort, wo heute friedlich Deutsch, Italienisch und Ladinisch gesprochen wird und die Ortsnamen gleichberechtigt in allen drei Sprachen ausgeschildert sind, vor fast 100 Jahren der Donner von Kanonen und Geschützen durch die engen Felstäler hallte.

15 Kilometer windet sich die enge Straße von San Cassiano hinauf zum Valporalapass, der das Abteital mit dem italienischen Nobelskiort Cortina verbindet. Heute verläuft hier oben die Grenze zwischen der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol und der italienischen Region Venetien.

Direkt neben der Passstraße liegt das ehemalige Fort Tre Sassi, das die Österreicher vor 110 Jahren fertigstellten, um den Zugang ins Abteital gegen die Italiener zu sichern. Nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde es von Granaten schwer getroffen und danach geräumt. Heute ist in dem schlichten, grauen und eher unscheinbaren Steinbau ein Museum über den Großen Krieg in den Dolomiten untergebracht.

Gezeigt werden neben den Waffen und der Ausrüstung der Soldaten viele Gegenstände des damaligen täglichen Gebrauchs. In den Wintermonaten sollte man sich unbedingt vorher telefonisch vergewissern, ob das Museum geöffnet ist. Sonst ergeht es einem wie dem Besucher aus Norddeutschland, der nach langer Anfahrt verdutzt vor verschlossenen Türen steht und schimpft: "Man merkt gleich, dass man nicht mehr in Südtirol ist. Typisch italienisch!"

(tmn)
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