Kopenhagens Alpen Eine Fahrt auf der restaurierten Rutschebanen

Kopenhagen · Kleine Meerjungfrau, Schloss Amalienborg und neue Oper - Kopenhagens Wahrzeichen sind berühmt. Zum 100-jährigen Bestehen des Tivoli hat die Stadt nun eine Landmarke zurückerhalten, die schon einmal für Aufsehen sorgte: das Alpenpanorama der Rutschebanen.

Eine Fahrt durch die Alpen Kopenhagens
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Foto: dpa, jah

Hinter der nächsten Kurve lauert das Kribbeln. Spitze Schreie, dumpfes Rattern, Freudentaumel. "Igen, igen", juchzt ein strohblonder Junge. Das ist dänisch und bedeutet noch mal. Das muss sich auch Nikolaj Tørnstrøm gedacht haben. Immer noch mal. Der 27-Jährige ist Bremser auf einer der ältesten Holzachterbahnen der Welt, der Rutschebanen im Kopenhagener Vergnügungspark Tivoli. Bis zu 150 Mal am Tag brettert der junge Däne mit Tivolibesuchern in voll besetzten grün-roten Holzwägelchen über 625 Meter Kettenlift-Landschaft. "Das war schon als Kind mein Traum", sagt er.

In diesem Jahr ist Tørnstrøms Traumjob noch erhebender. Denn Rutschebanen feiert 100-Jähriges. Spricht der Berufsbremser über den runden Geburtstag, schwingt Ehrfurcht mit: "Rutschebanen ist in so vielen Filmen vorgekommen. Berühmte Persönlichkeiten, Könige, Schauspieler, Popstars sind mitgefahren. Die Bahn ist Teil von Dänemarks Geschichte." Die Tivoli-Attraktion gehört zu Kopenhagen wie die Königsfamilie. Mit 13 Metern Höhenunterschied zwischen dem tiefsten und dem höchsten Punkt, fuhren die Züge ab der Eröffnung vor 100 Jahren thematisch passend durch eine Bergkulisse.

1925 aber musste der Mount Tivoli auf Anordnung der Stadt Kopenhagen abgerissen werden. Ein Alpenpanorama direkt gegenüber dem Hauptbahnhof, der täglich Touristen aus aller Welt ausspuckte, war den dänischen Entscheidern dann doch zu viel. Das Jubiläum in diesem Jahr aber machte die Berg- und Talbahn wieder zum Gipfelstürmer. Die Achterbahnwelt wurde komplett restauriert. Schneebedeckte Kuppen schrauben sich bis auf 26 Meter Höhe. Vorbei an einer lebensgroßen Kunststoffkuh und Dänemarks größtem künstlichen Wasserfall geht es über Hänge und Hügel.

Über viereinhalb Millionen Euro soll es gekostet haben, die Zeit mittels Rekonstruktion des Bergmassivs rund 100 Jahre zurückzudrehen. Schön. Doch den meisten Rutschebanen-Fans dürfte es nicht nur ums historische Ambiente, sondern vor allem auch um das atemberaubende, dennoch wohltuend nostalgische Fahrgefühl gehen.
Keine "ist-mir-übel"-Loopings, keine "wo-war-noch-gleich-die-Tüte"-Abgründe. Nein. Rutschebanen ist handgemachte Kurvenwonne. "Das Erlebnis ist einfach Gold wert", meint Tivoli-Sprecherin Ellen Dahl.

Ganz ohne Mama fragen zu müssen, geht noch eine Runde. Klappern, Kurve, Kribbeln. Tørnstrøm gibt Handzeichen. Sind mehrere Wagenkolonnen auf der Strecke, müssen sich die Bremser abstimmen, um Kollisionen zu vermeiden. Rund 20 Brakemen, so die offizielle Berufsbezeichnung, sorgen im Wechsel dafür, dass die bunten Holzwägelchen sicher über die 135 Sekunden lange Fahrtstrecke sausen.
Wären die tonnenschweren Züge zu schnell, könnten sie entgleisen. Geflissentlich wird per Muskelkraft und einem großen Knüppel auf maximal 58 Stundenkilometer gebremst. Das erfordert Geschick - und Konzentration. Regnet es zu stark, wird gar nicht gefahren. Sicherheit geht vor.

"Die Sicherheitsbügel sind übrigens erst aus dem Jahr 1990", weiß der Profibremser. Und davor? Achselzucken. "Gabs eben keine", amüsiert er sich. "Je nach Laune fahre ich mal langsamer und mal schneller. Natürlich nie so, dass es gefährlich wäre, aber eben zügiger, da gibt es schon Unterschiede", erläutert Nikolaj Tørnstrøm. Hat er einen schnelleren Tag als die Kollegen, kann es am Einstieg auf dem schmalen Achterbahn-Bahnhof schon mal Warteschlangen geben.
"Besonders die Jungs warten öfters auf den richtigen Bremser", um einen besonders rasanten Ritt zu erleben.

Doch irgendwann im Jahr geht auch die wildeste Fahrt zu Ende. Ist die Saison vorbei, macht Tørnstrøm Musik, spielt in einer Band. Sein Job für die Pausenmonate. Urlaube nutzt er dann zum - Achtung - Achterbahnfahren. Überall auf der Welt. "Zuletzt in New York", erinnert er sich an die kettenliftbetriebene Holzachterbahn "Cyclone" auf Coney Island. Im Internet sind die Bremser der Welt miteinander vernetzt. Nur noch sieben Holzachterbahnen, bei denen Bremser mitfahren, gibt es. "Da tauschen wir uns aus, bekommen manchmal Einladungen mal auf einer anderen Bahn zu bremsen." Einmal Achterbahn, immer Achterbahn scheint das Motto.

Pünktlich zum Saisonstart ist Tørnstrøm stets zurück, wo sein persönlicher Kettenliftpuls schlägt: im Tivoli. "Es klingt abgedroschen, aber ich mache diesen Job nun seit sechs Jahren und kein Tag ist wie der andere", erzählt er und schmunzelt in seinen Vollbart. Sogar Hochzeiten habe es gegeben, mit Braut, Bräutigam, Brautjungfern, Trauzeugen und versammelter Hochzeitsgesellschaft auf den spartanischen Holzbänkchen der Züge. Tørnstrøm lacht. Dann packt er seine schönste Anekdote aus. Ein Ehepaar, welches sich den ersten Kuss im Dunkeln des Rutschebanen-Bergtunnels gab, kam 50 Jahre später wieder. "Da bin ich dann extra ganz langsam durchs Dunkel gefahren", outet sich der starke Brakeman als Romantiker: "Es ist einfach toll, an einem Ort zu arbeiten, der zur Geschichte so vieler Leute gehört."

(dpa)
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