Italien San Pietro: Sardiniens kleine Schwester

Carloforte · Nur 6000 Menschen leben auf San Pietro. Die Schönheit der Insel zieht Superstars wie Tom Cruise an. Aber nur im August. Ansonsten ist es seelenruhig.

Ruhiger Insel-Urlaub auf San Pietro
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Für Tom Cruise war kein Platz mehr. Antonello Pomata lacht bei der Erinnerung. "Wir konnten nichts machen", sagt der Juniorchef des Ristorante "Da Nicolo", seine Augen blitzen hinter den Brillengläsern. "Jeder Tisch war besetzt. Also boten wir Cruise an, ihm das Essen mitzugeben." So geschah es. Artig bestellte der Schauspieler und nahm den von Antonellos Vater Nicolo bereiteten Thunfischkaviar und die Pasta mit Meeresfrüchten mit auf seine Jacht, die nur ein paar Schritte entfernt im Hafen von Carloforte lag.

Nur im August wird es in der Hauptstadt - die zugleich die einzige Siedlung der Insel San Pietro ist - ernsthaft voll. Allerdings ist "voll" angesichts von 300 Hotelbetten noch immer ein relativer Begriff. Wenn in Italien Urlaubszeit herrscht, kommen Unternehmer aus dem Norden, die sich auf der sieben Kilometer südwestlich von Sardinien gelegenen Insel Ferienhäuser leisten können: Die Fiat-Magnaten Agnelli, der Designer Roberto Cavalli, die Brüder Bulgari. Prominente Bootstouristen, die den Trubel von Porto Cervo an der Costa Smeralda vermeiden wollen, steuern mit ihren Yachten den Hafen von Carloforte im Osten der Insel an. Sogar Johnny Depp soll seine Jacht hier festgemacht haben.

In schmalen Sträßchen flattert die vor den Fenstern aufgehängte Wäsche im Wind. Wenn die von Portovesme im Südwesten Sardiniens kommende Fähre anlegt, sperrt ein Polizist die Straße Corso Battellieri, damit die Autos vom Schiff fahren können. Abends wird die Uferstraße zur Flaniermeile des Fischerdorfs. Am Denkmal von Carlo IV. treffen sich die Menschen. Von hier schwärmen sie aus in die Restaurants am Corso Battellieri oder in die Gassen der Altstadt, in denen es kleine Kneipen und Pizzerien gibt. Hier kommt man abends zusammen, um im Trainingsanzug Fußball zu schauen. Der Viertelliter Wein kostet 1,20 Euro, die Pizzen sind groß wie Wagenräder.

Sonntags schallt das Läuten der Kirchenglocken von Carloforte aufs Meer hinaus. Wenn sich das Portal der Kirche öffnet, strömen die Menschen auf die Piazza Repubblica hinaus. Die älteren Bewohner der Stadt nehmen auf den Bänken Platz, die kreisförmig große Oleanderbäume einfassen, während Kinder auf Rollerblades umhersausen, zwischendurch ein Eis essen und die Eltern die letzten Einkäufe für das sonntägliche Familienessen tätigen. Wer sein Auto am Corso Battellieri geparkt hat, kommt gar nicht auf die Idee, es abzuschließen.

Das dörfliche Leben eines süditalienischen Fischerdorfs übt unwiderstehlichen Zauber aus. Ein bisschen sieht es aus wie Saint-Tropez ohne Brigitte Bardot oder Giglio ohne Schiffswrack. Obwohl San Pietro als kleinere Insel im Sulcitano-Archipel nur über Sardinien zu erreichen ist, leben hier schon heute mehr Hoteliers, Restaurantbetreiber und Bootsverleiher als Fischer.

Nur während einer kurzen Periode, von Mitte Mai bis Ende Juni, fangen die Fischer Carlofortes den Roten Thunfisch, für den San Pietro seit fast 300 Jahren berühmt ist. Im Frühsommer ziehen Schwärme der Fische an der nordöstlichen Spitze der Insel vorbei. Etwa 250 Tiere fangen die Fischer pro Saison, von ihren kleinen Booten aus. Mit Netzen werden die schweren Tiere von Hand aus dem Wasser gezogen. Die Fischer arbeiten wie Generationen vor ihnen und gefährden durch diese traditionelle Fangart die knappen Bestände vor der Insel nicht - vor allem aber, weil sie den Thunfisch-Schwärmen nicht nachjagen, wie es anderswo geschieht.

Südlich von Carloforte stolzieren Reiher und Flamingos durch stillgelegte Salinen. An sie schließen sich die sieben Strände der Insel an: erst die langgezogene Spiaggia Giunco, dann Punta Nera, Le Colonne, La Bobba, Lugaise, Mezzaluna und La Caletta. Einige sind beschildert und verfügen über kleine Parkplätze, andere sind nur über halbüberwucherte Schotterwege zu erreichen. Nahe der Hauptstadt liegen die Buchten an flachen Ufern, im Süden und Westen verstecken sie sich zwischen hohen Klippen. Sie alle eint das glasklare Wasser, das auch Sardinien-Urlauber begeistert, ansonsten sind sie unterschiedlich genug, um gelegentliche Standortwechsel erstrebenswert zu machen.

Ihre Technik des Küstenfischfangs brachten die Vorfahren der Fischer aus Ligurien nach San Pietro. Von dort stammen auch die Architektur Carlofortes mit den bonbonfarbenen, mit zierlichen Balkonen geschmückten Häusern sowie der alte, unterwegs mit arabischen Vokabeln angereicherte Genueser Dialekt, den die Insulaner noch heute sprechen. 1738 besiedelte eine Gruppe ligurischer Fischer und Korallentaucher auf Einladung von Carlo Emanuele III., Herzog von Savoyen und König von Sardinien-Piemont, das unbesiedelte Inselchen San Pietro. Zum Dank benannten sie ihr Dorf nach dem starken König Carlo. Allerdings verschleiern sie den Namen ihrer Insel für Uneingeweihte nahezu unverständlich hinter dem Begriff Uisa de San Pé, Carloforte nennen sie unter sich gar U Pàize.

Auch jenseits der Sprache ist hier manches anders als auf der berühmten Nachbarinsel. Es gibt keine Schafherden und nur ein Weingut. Die ersten Bewohner der Insel waren die Ligurier dennoch nicht: In der Antike war die Insel schon einmal besiedelt, und im Jahr 46 schaute Simon Petrus auf dem Rückweg von Afrika vorbei und ließ seinen Namen da. Und weil er während seiner Ruhepause auf San Pietro auch einmal die Schuhe abstreifte, heißt die westlichste Klippe der Insel Capo Sandalo.

Es ist schön, im Schutz einer Düne im Sand zu liegen und den Rufen der Vögel und dem Rauschen des Meeres zuzuhören. Kein Mensch ist zu sehen, und am Abend wird im Hafen ein Tisch frei sein. Zum Glück ist es nicht August.

(RP)
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