Jordanien Leben in der Totenstadt

Amman · In welches Land die Reise auch führt: Es gibt jene Orte, die man gesehen haben muss. Egal, wie beschwerlich die Anreise, wie überteuert die Preise oder wie lang die Warteschlangen. In Jordanien heißt dieser Ort Petra.

Jordanien - Wüste, Kreuzfahrer und das versprochene Land
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Jordanien - Wüste, Kreuzfahrer und das versprochene Land

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Foto: shutterstock/ Ralf Siemieniec

Der erste Höhepunkt ist nicht die Nabatäer-Stadt selbst, sondern der Weg dorthin: Mehr als ein Kilometer verläuft die Schlucht, die einst ein Flussbett war und Siq ("Schacht") genannt wird. Mit jeder Biegung wird sie enger, die Felswände wachsen immer weiter empor, bis zu 80 Meter hoch. Dann, völlig unvermittelt, gibt eine Nadelöhr ähnliche Felsspalte den Blick frei auf Khazne Faraun, das sogenannte Schatzhaus.

Auf dem Platz vor dem königlichem Grabmal, das die begnadeten Steinmetze der Nabatäer im 1. Jahrhundert vor Christi in einem einzigen Stück aus dem rötlichen Fels gemeißelt haben, ist es allerdings mit der Ruhe erst einmal vorbei. Tausende Stimmen in allerlei Sprachen erfüllen das schmale Tal, starrsinnige Kamele blöken, wenn sie für das Aufsitzen der Touristen in die Knie müssen, Getränkeverkäufer buhlen um Kundschaft. Wer diesem Treiben entgehen will, muss sich schon vor 7 Uhr auf den Weg machen. Für alle anderen ist es schwierig, in Ehrfurcht vor der rund 40 Meter hohen und 25 Meter breiten Fassade innezuhalten.

Doch nur einige Dutzend Meter entfernt, weitet sich das Tal, die Massen zerfallen in kleine Grüppchen, auf den unzähligen Anhöhen verliert sich das Stimmengewirr in der lauen Brise. Das buntgemaserte Gestein erstrahlt in warmen Farben von Zartrosa über Ocker bis Tiefrot. Natur und Kultur verschmelzen, wo die Fassaden der zahllosen Grabkammern verwittern und wieder zu dem werden, was diesem Ort einst den Namen gab: Fels - oder griechisch: Petra.

Petra war das Zentrum der Nabatäer, jenem Nomadenvolk, das im 4. Jahrhundert vor Christi begann, die Handelsrouten für Weihrauch und Gewürze zwischen Mittelmeer und Mesopotamien zu kontrollieren. Sie selbst nannten ihre Hauptstadt treffenderweise Reqmu, was soviel wie "die Rote" oder "die Bunte" bedeutet. Hinter den hellenistisch-alexandrinischen Tempelfassaden bestatteten sie ihre Könige. Über 600 mehr oder weniger aufwendig gestalteten Gräber sind in Petra zu sehen. In den Fels geschlagene Treppen winden sich dorthin und immer wieder öffnen sich neue, atemberaubende Blicke in das zerklüftete Gebirge.

Dieses Zusammenspiel von den architektonischen Meisterleistungen der Nabatäer und der wohl einmaligen Landschaft machen den Reiz Petras aus. "Finde mir ein solches Wunder außer im Morgenland. Eine Stadt, rosarot, halb so alt wie die Zeit", hat der dichtende Geistliche John Burgon nach einem Besuch der Stätte Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben.

Dieses "Wunder" wollen bis zu eine Million Besucher im Jahr bestaunen. Spätestens seitdem Petra im Jahr 2007 in einer Internet-Umfrage zu einem der "neuen Sieben Weltwunder" gewählt worden ist, reißt der Besucherstrom nicht ab.

Erst im Jahr 1812 hatte der Schweizer Forscher und Abenteurer Johann Ludwig Burckhardt entdeckt, dass sich hinter dem Siq eine Stadt verbarg. In den Grabmählern wohnten nun Beduinen, sozusagen die Nachfahren des Volkes, das die Geschichte bereits vergessen hatte. Sie wurden Mitte der 1980er Jahren ins nahegelegene Dorf Wadi Musa umgesiedelt. Verschwunden sind sie aus Petra allerdings nicht, vielmehr leben sie mittlerweile so gut es geht vom Tourismus. Dabei prägen sie diesen Ort noch immer.

Eine Frau in langem Gewand steht auf dem Hügel und lockt mit tiefen, durchdringenden Rufen ihre Ziegenherde zur Futterstelle - bevor sie sich wieder dem Verkauf von Petra-Nippes widmet. Kinder reiten in halsbrecherischem Tempo auf ihren Eseln die steilen Treppen hoch und runter auf der Suche nach fußlahmen Touristen. Ein kleiner Junge beobachtet derweil den westlichen Besucher bei der Rast. Schließlich fasst er sich ein Herz, bittet um einen Keks, dann um eine Zigarette und danach um einen Dollar.

Man mag zu diesen Entwicklungen stehen wie man will - eines steht fest: Petra ist eine lebendige Stadt, in der wie ehedem geplaudert, gefeilscht und Tee geschlürft wird. Den morbiden Charme eines Freilichtmuseums, der anderen Ruinenstädten anhaftet, findet man hier nicht. Es gab ihn wohl auch nie - obwohl Petra die Nekropole, die Totenstadt der Nabatäer war, bot sie zu Blütezeiten bis zu 40 000 Einwohnern eine Heimat, verfügte über Geschäfte, Märkte und einem Amphitheater, das selbst die Römer in Staunen versetzte.

Gestaunt hat auch Thomas Edward Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien. "Petra ist der herrlichste Ort der Welt", schrieb er in seinem Buch "Die Sieben Säulen der Weisheit". Beschreiben könne man die Schönheit Petras ohnehin nicht, so Lawrence. Man müsse sie einfach gesehen haben.

(RP)
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