Paris im Dschungel Manaus ist die exotischste aller WM-Städte

Manaus · Gigantische Schlangen, Malariamücken, Raubüberfälle im Drogenrausch: Schenkt man britischen Boulevardzeitungen Glauben, so leben WM-Touristen in Manaus gefährlich. Aufregend ist die brasilianische Zwei-Millionen-Stadt allemal.

Manaus, die exotischste WM-Stadt Brasiliens
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Die Amazonas-Metropole Manaus ist von allen Austragungsorten der Fußball-WM am exotischsten. Abgeschieden liegt sie im Herzen des größten Regenwaldes der Welt und ist nur per Flugzeug oder Boot zu erreichen. Doch vermutlich werden die rund 52.000 ausländischen Touristen, die zur WM dort erwartet werden, mit viel banaleren Problemen zu kämpfen haben: Wie fast jede brasilianische Stadt leidet Manaus heute unter chaotischer Planung, fürchterlichem Verkehr und Sicherheitsproblemen.

"Die Leute sollten sich in Geographie kundig machen", spottet Ketlen dos Santos Alves, ein 20-jähriger Student aus Manaus. "Ja, Manaus ist im Amazonasgebiet, aber es ist auch eine riesige Stadt. Wie können die Ausländer glauben, dass hier von jedem Baum Schlangen hängen und Kaimane in den Straßengräben lauern?" Lediglich das Treibhausklima macht sich in der Stadt bemerkbar, die niedrigen Betonbauten sind mit Schimmelflecken überzogen. Ganzjährig herrscht eine Luftfeuchtigkeit von rund 80 Prozent, so dass schon das bloße Herumsitzen im Freien Schweißausbrüche zur Folge hat.

"Es gibt zwei Jahreszeiten in Manaus - Sommer und Hölle", besagt ein örtliches Sprichwort. Tatsächlich wird die Hitze und Schwüle den WM-Teams zu schaffen machen. Die englische Mannschaft absolviert ihr Vorbereitungstraining in mehreren Lagen Kleidung, um die Spieler an das Klima zu gewöhnen. Am 15. Juni trifft sie im ersten von vier WM-Spielen, die in der umgerechnet 168 Millionen Euro teuren Arena da Amazônia ausgetragen werden, auf Italien. Auch die Schweiz, Kroatien, Kamerun, Portugal und Honduras werden in Manaus antreten.

Für Touristen hat die traditionsreiche Amazonas-Stadt einiges zu bieten. Im späten 17. Jahrhundert wurde sie als portugiesisches Fort an der Mündung des Rio Negro in den Amazonas gegründet. Reich wurde Manaus Ende des 19. Jahrhunderts durch den Kautschukboom: Für kurze Zeit war die Urwaldmetropole damals eine der wohlhabendsten Städte der Welt. Kautschukbarone setzten sich mit einem extravaganten Opernhaus ein Denkmal, das es mit der Pariser Opéra Garnier aufnehmen kann. Auch die eleganten Adolfo-Lisboa-Markthallen sind Les Halles in Paris nachempfunden.

Anfang des 20. Jahrhunderts machten Kautschukplantagen in Asien Manaus Konkurrenz, und der massive Preisverfall des milchigen Baumsaftes leitete einen jahrzehntelangen Niedergang ein. Erst in den 60er Jahren hauchte eine gigantische Industriezone am nördlichen Amazonas-Ufer der Stadt neues Leben ein. Weithin leuchten heute die Gasfackeln einer Ölraffinerie am Fluss, grüne Baumwipfel werden von rauchenden Schornsteine überragt. Honda, Harley Davidson, Suzuki und andere internationale Unternehmen produzieren hier Ersatzteile, Elektronik und Motorräder.

Ein Ausflug in den Dschungel führt über den Hafen, wo Fischhändler 40 Kilogramm schwere Arapaimas ausnehmen und Obstverkäufer Bananenstauden in der Größe von Kronleuchtern schleppen. Schnellboote bringen Touristen in einer Viertelstunde in den smaragdgrünen Regenwald. Hier wimmelt es tatsächlich von gigantischen Insekten, von handtellergroßen Käfern, deren Kiefer Fingerspitzen abtrennen können, bis zu bleistiftgroßen Gespenstschrecken auf spindeldürren Beinen.

Faultiere bewegen sich schläfrig durch die Baumkronen, während in den Flüssen Kaimane, Piranhas mit rasiermesserscharfen Zähnen und Botos - pummelige, rosafarbene Amazonas-Delfine - ihre Bahnen ziehen.

In der Dämmerung erheben sich Schwärme von Moskitos und anderen Insekten, die Malaria, Gelbfieber und die Hautinfektionskrankheit Leishmaniose übertragen können. Im Wasser droht Gefahr von Candirús oder brasilianischen Vampirfischen: Die schmalen Welse ernähren sich von Blut und können bei Menschen in die Körperöffnungen gelangen. Reiseführer warnen Touristen daher, beim Schwimmen nicht zu urinieren, um die Fische nicht auf sich aufmerksam zu machen.

In Dschungeldörfern rund um den wasserreichsten Fluss der Erde leben noch indigene Völker in strohgedeckten Hütten, die Ufer sind gesäumt von schwimmenden Häusern, Restaurants, Geschäften und Bars, die mit den saisonalen Pegelständen steigen und fallen. Ribeirinhos, wie die Flussanwohner heißen, winken vorbei fahrenden Booten zu. Kinder springen per Rückwärtssalti von der Veranda ins Wasser, die Erwachsenen liegen auf schwimmenden Kühlgeräten, nippen an Bierdosen, braten Fische auf dem Grill. Manche offerieren Süßwasser-Schildkröten, die sie wegen ihres Fleisches züchten.

"Als ich hierher kam, wusste ich praktisch nichts über Manaus. Ich wusste, es gibt ein Theater, einen Fluss und einen Dschungel", sagt Luis Malheiro, Leiter des Philharmonie-Orchesters der Stadt. "Ich hatte keine Ahnung - und fand eine überaus reiche Kultur. 20 Jahre später bin ich immer noch hier."

(ap)
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