Mexiko Das Königreich über den Wipfeln

Die Pyramiden von Calakmul liegen im mexikanischen Dschungel und sind das genaue Gegenteil der überlaufenen Maya-Stätten wie Chichén Itzá und Co. Touristen dürfen die Bauwerke sogar besteigen - und haben von oben einen Wahnsinns-Ausblick.

Auf den Spuren der Maya
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Auf den Spuren der Maya

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Foto: dpa, Michael Juhran

Die Nacht kommt früh im Dschungel von Calakmul, und sie bringt Geräusche mit. Es zirpt und raschelt und knarrt überall; dazu rauschen die Blätter der Baumkronen und erwecken den trügerischen Eindruck, als läge man in Meeresnähe in einem Zelt und nicht mitten im Urwald. Wären da nicht diese Schreie.

Man stellt sich Affengeschrei ja immer als ein bisschen quäkend-kreischend vor, als kläffe ein nervöser Chihuahua einen Rottweiler an. Die Brüllaffen aus dem Dschungel vor Calakmul sind indes mehr Rottweiler als Chihuahua. Es klingt wie Löwengebrüll, wenn sie loslegen; ein bisschen heiserer, aber nicht minder tief und vor allem: laut.

In der Dunkelheit liegend, fragt man sich allerdings, ob das wirklich Affen sind, die da brüllen, oder ob nicht doch Jaguare um die Schlafstätte herumstreichen. Dazu würde auch das Knacken passen. Und die Tatsache, dass Campingplatz-Betreiber Fernando Sastre seine in dieser Nacht einzigen Gäste mit dem freundlichen Hinweis in den Schlaf verabschiedet hat, sie mögen doch bitte nicht verloren gehen auf diesem uneingezäunten Gelände mitten im Dschungel. Es ist spannend auf diesem Campingplatz mit Öko-Charakter, auf dem es keinen Strom gibt, man sich duscht, indem man aufgefangenes Regenwasser mit leeren Jogurtbechern über sich kippt, und staunend die Öko-Toilette anstarrt, bei der es keine Spülung gibt, sondern eine Art Dünger. Für eine Nacht: großartiges Abenteuer. Für länger: eher für Menschen mit ausgeprägtem Naturdrang zu empfehlen.

Der Campamento Yaax'che ist eine von zwei Übernachtungsmöglichkeiten in der Nähe der Maya-Stätte (es gibt auch ein Hotel); und von dort kann man am frühen Morgen aufbrechen, um noch tiefer in den Dschungel zur Maya-Stätte Calakmul zu fahren. Alle anderen Orte sind deutlich weiter entfernt; man wäre Stunden unterwegs, um überhaupt am Ziel anzukommen. Das Ziel ist die Maya-Stätte Calakmul, das Königreich der Schlangen. Calakmul war von 250 bis 900 n. Chr. bedeutendstes politisches Zentrum und Sitz der Kaan-Dynastie; wiederentdeckt wurde die Stadt 1931. Mehr als 5500 Gebäude gibt es dort, die meisten sind bisher nicht ausgegraben worden.

Die Maya-Stätte liegt 60 Kilometer tief im Urwald und ist nur über eine kurvenreiche asphaltierte Strecke zu erreichen, bei der die Schlaglöcher oft nicht mal die Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern zulassen. Doch die Anreise lohnt sich. Die Anlage von Calakmul gehört mit Tikal und El Mirador in Guatemala zu den größten bisher entdeckten Maya-Stätten. Was sie so spektakulär macht, ist einerseits ihre abgeschiedene Lage, die dafür sorgt, dass die Anlage nicht zum Touristen-Massentreff wird wie beispielsweise das viel bekanntere Chichén Itzá im Norden der Halbinsel Yucatán.

Nach der Anfahrt ist noch ein knapp zwei Kilometer langer Fußmarsch nötig, um die ersten Ruinen der einstigen Maya-Stadt zu erreichen. Was dann kommt, ist beeindruckend: Mitten im Grün türmen sich die Pyramiden auf. Anders als an den meisten Maya-Stätten dürfen Touristen die Ruinen von Calakmul besteigen. Und während die mexikanische Sonne auch am Morgen schon so erbarmungslos vom Himmel brennt, dass die ersten Schweißperlen nach wenigen Höhenmetern fließen, ist - außer dem eigenen Keuchen - nichts anderes zu vernehmen als das Dschungelleben: Vögel zwitschern, die Blätter rauschen. Und natürlich schreit hin und wieder ein Brüllaffe.

Der Weg ist steil, die Stufen sind recht hoch, der Aufstieg geht in die Oberschenkel. An machen Stellen ist der Steigungswinkel so groß, dass man sich lieber festhält und das Ganze eher an Kletterei als an Treppensteigen erinnert. Wer es aber bis nach oben schafft, der erlebt eine unfassbar schöne Aussicht und sieht nichts als Himmel und Baumwipfel.

360 Grad Grün, die Baumkronen bilden eine geschlossene Decke. An einigen Stellen durchbrechen die Spitzen anderer Gebäude den grünen Deckel des Biosphärenreservats Calakmul, des größten zusammenhängenden tropischen Waldgebiets Mexikos. Man will hin und hoch, immer weiter klettern, obwohl die Beine zittern.

(RP)
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