Mongolei Ein Besuch bei Nomaden

Ulan Bator · Eisige Steppen, heiße Wüsten: Die naturverbundenen Nomaden in der Mongolei trotzen seit Jahrhunderten schwierigsten Bedingungen. Heute laden sie auch Touristen zu sich ein.

Mongolei: Besuch bei den Nomaden
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Urlaub in der Mongolei

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Mit gemächlichen Schritten stapft das Kamel über den feinen Sand. Dank seiner breiten Hufe sinkt das Tier nicht tief in den mongolischen Wüstenboden ein. "Ruhig! Gut machst Du das", lobt Naran Munkhbayar. Eine leuchtend orangefarbene Schärpe hat sich der 46-Jährige um die Hüfte gebunden, er bindet den traditionellen Deel-Mantel fest. Zärtlich streichelt der Nomade über den Hals des Kamels. Das Leben zwischen rauer Steppe und trockener Wüste ist nicht einfach. Deswegen hat er vor den stolzen Tieren besonderen Respekt.

Gewaltige Bodenschätze schlummern im mongolischen Boden. Der zentralasiatische Binnenstaat zählt weltweit zu den zehn Ländern mit den meisten Rohstoffen. Ihre Ausbeutung soll dem Staat Reichtum und Entwicklung bringen. Gleichzeitig wollen die Erben Dschingis Khans ihre nomadische Kultur behalten. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt noch traditionell von der Viehwirtschaft. Die meisten von ihnen sind Nomaden. Sie halten Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde und Kamele. So wie Naran Munkhbayar.

Der Nomade kneift die Augen zusammen, als ihm die Sonne ins Gesicht scheint. In dem Wüstenstreifen hat er seine Kamele zu saftigen Büschen geführt. Sie sollen sich satt essen. Die Tiere sind gut an die trockene Umgebung angepasst. Kamele können lange Zeit mit wenig Wasser auskommen und an einer Oase in kürzester Zeit ihre Vorräte auffüllen. Trotzdem kümmert sich Munkhbayar ausgiebig um die Tiere. Sie müssen fit sein, damit sie die schweren Lasten tragen können, wenn er mit seiner Familie zum Wechsel der Jahreszeiten zur nächsten Raststelle weiterzieht. Viermal im Jahr steht ein Umzug an.

Langsam trottet die kleine Truppe zurück zum Lager in der Nähe der Elsen-Tasarkhai-Sanddünen. Umringt von seichten Hügeln stehen die weißen Gers, die traditionellen, runden Zelte, die schon von weitem zu erkennen sind: Wie weiße Punkte sitzen sie auf der grün-braunen Steppe. Daneben grasen frei und ohne Zäune die Pferde, Kühe, Schafe und Ziegen der Familie. Drei Gers bilden das Camp: eines für die Familie, ein Zelt zum Lagern von Vorräten und eines für Gäste.

Mongolei - Im Land Dschingis Khans
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Mongolei - Im Land Dschingis Khans

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Foto: Shutterstock/ Ruta Production

Viel braucht die Familie nicht. Fließendendes Wasser gibt es nicht. Die Milch der Kühe verarbeitet Narans Frau Uurtsaikh zu Käse und anderen Gerichten. Geld verdienen sie mit dem Verkauf von Tieren - und der Vermietung des dritten Zeltes an Touristen. Gerade mit dem einfacheren Nomadenleben präsentiert sich die Mongolei als Touristenziel. Nicht mit Hochglanzprospekten von gigantischen Hotelanlagen will das Land Besucher anlocken, sondern sich über seine Geschichte und das Leben seiner Bewohner auf Wanderschaft darstellen.
Duschen gibt es bei Nomaden fast nie. Wasser ist kostbar. Wer bei Familie Munkhbayar zu Besuch ist, weiß das.

Pfeiler, Latten und Streben aus Holz tragen das Familienzelt. An den Wänden hängen Teppiche. In der Mitte des Raumes steht ein Kohleofen. Darauf bereitet Uurtsaikh den mongolischen Milchtee zu. Mit einer Kelle schöpft sie immer wieder Tee aus dem Topf, hält die Kelle hoch in die Luft und kippt das Getränk in hohem Bogen zurück in den Topf. So bekommt der Tee langsam seine sämige Form.

Die Gäste aus dem Ausland sollen alles mitbekommen. So nah wie möglich sollen sie das Leben der Nomaden erfahren. Uurtsaikh findet ihren Alltag gut, sagt sie. Sie kenne auch nichts anderes. "Aber meine Kinder müssen die Wahl haben: Leben auf dem Land oder Leben in der Stadt", sagt die Mutter. Stolz zeigt sie eine Anrichte, auf der die Urkunden aufgebaut sind, die ihre Tochter bei Mathematikwettbewerben gewonnen hat.

"Aber auch unser Leben als Nomaden hat sich sehr verbessert", sagt sie mit ruhiger Stimme. Grinsend schaut sie zu ihrem Ehemann, der sich vor den warmen Ofen in seinem Ger gelegt hat und mit der Katze der Familie spielt. Alles in dem Ger riecht nach Butter und Milch - dem Parfüm der Steppe. "Zu unserer Kindheit war das Nomadenleben noch viel härter", erzählt seine Frau. Ihre langen, silbernen Ohrringe schaukeln hin und her, während sie jede Silbe mit einer ausladenden Handbewegung unterstreicht.

Eine kleine Solaranlage versorgt das Camp mit Strom. Die Elektrizität treibt einen Kühlschrank an, in dem Fleisch, Käse und Milch gelagert wird. Sogar an heißen Sommertagen können die Nomaden nun über lange Zeit Milchprodukte aufbewahren. Der Strom reicht auch für eine Waschmaschine. Auf einer Kommode steht sogar ein kleiner Fernseher. Über die Fernsehsendungen erfährt die Familie genau, wie gerade das Leben in den Städten abläuft. "Aber das Beste sind die Ringkämpfe. Wir können jetzt alles verfolgen", sagt Naran.

Dank des Solarstroms können Nomaden in den äußersten Teilen des riesigen Landes die Wettkämpfe der bekanntesten Ringer anschauen. Das ist eine gewaltige Errungenschaft für das Riesenreich. Denn die Mongolei ist rund viereinhalb Mal so groß wie Deutschland, zählt aber nur etwas mehr Einwohner als Berlin. Neben Reiten und Bogenschießen hat das Ringen in der Mongolei eine jahrhundertealte Tradition. Einige der Ringer sind so gut, dass sie mittlerweile sogar die angestammten Sportler beim japanischen Ringkampf Sumo aufmischen.
"Ein guter Mongole ist auch ein guter Ringer", sagt Naran.

Rund 600 Kilometer östlich der Elsen-Tasarkhai-Sanddünen nippt der Schriftsteller Galsan Tschinag in der Hauptstadt Ulan Bator an seinem Getränk. "Dichter der Mongolen" wird er ehrfurchtsvoll genannt. Kaum jemand hat das deutsche Bild von der Mongolei so stark geprägt wie er. Denn er schreibt Bücher hauptsächlich in deutscher Sprache.

"Ich habe 35 Bücher auf Deutsch und 7 auf Mongolisch geschrieben", erzählt Tschinag. In der ehemaligen DDR hatte er an der Universität Leipzig Germanistik studiert. Erzählungen, Romane und Lyrikbände, Tschinag bedient sich vieler Formate, um Leser das Leben in seiner Heimat näher zu bringen. Im Jahr 1992 erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Preis, der als höchste deutsche Auszeichnung für Autoren nichtdeutscher Herkunft gilt.

"Wenn es noch Menschen gibt, die glücklich sind auf unserer kleinen Welt, dann sind es die mongolischen Nomaden", sagt Tschinag. Es werde zu stark auf wirtschaftlichen Fortschritt geschaut, aber das mache Menschen nicht glücklicher. Dafür sei auch sein Land ein Beispiel. "Die Mongolei ist auseinandergefallen", klagt der Dichter. Der Unterschied zwischen Reichen und Armen sei riesig. Von Nomaden ließen sich wieder grundsätzliche Werte wie Bescheidenheit lernen.

"In jedem von uns steckt ein kleiner Schamane", sagt Tschinag. Er spricht die Worte langsam aus und verleiht jeder Silbe großes Gewicht. Eine plötzliche Angst oder Träume seien ein Hinweis darauf. "In uns arbeitet der Instinkt." Johann Wolfgang von Goethe und Albert Einstein seien große Schamanen gewesen. "Ein Schamane ist ein Mensch, der bessere Antennen hat", sagt Tschinag. Er könne seine Umwelt besser verstehen und wahrnehmen.

Für die Nomaden-Familie Munkhbayar besteht kein Zweifel daran, dass es etwas Höheres als den Menschen gibt. Uurtsaikh schöpft eine Kelle von dem Milchtee ab. Das salzige Getränk gehört zu fast jeder Mahlzeit. Aber bevor es Gästen gereicht wird, muss etwas von dem Milchtee geopfert werden.

Vorsichtig trägt Uurtsaikh eine Kelle mit dem Getränk aus dem Ger nach draußen. Tief atmet sie ein und blickt zu dem klaren Sternenhimmel auf. Der kalte Wind pfeift über die flache Steppe. Uurtsaikh zieht den Kragen an ihrem blauen Seidenumhang mit Blumenmuster fester zusammen. Dann murmelt sie Segenssprüche und schüttet Tee auf den Boden - für einen milden Winter und viele Gäste aus dem Ausland.

(dpa)
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