Indien Urlaub Ranthambhore Nationalpark: Safari zu den Tigern
Ranthambhore · Im europäischen Winter ist in Indien die Saison der Tiger-Safaris. Dann öffnen die Nationalparks ihre Tore für Großkatzen-Fans aus der ganzen Welt. Die Reise ist beschwerlich, aber sie lohnt sich.
Es ist ein Rendezvous der besonderen Art. Doch um in Indien einen Tiger in freier Wildbahn zu sehen, braucht es viel Geduld - und ein bisschen Glück. Eine Begegnung mit dem König des Dschungels lässt sich nicht so leicht arrangieren wie eine Begegnung mit Löwen in der offenen Savanne, und es ist auch nicht so komfortabel wie in den luxuriösen Safari-Lodges in Afrika. Indien ist ein faszinierendes, aber gleichzeitig anstrengendes Land. Deshalb ist auch eine Tiger-Safari im bekannten Ranthambhore Nationalpark noch ein echtes Abenteuer.
Das ehemalige Jagdrevier des Maharadschas ist das bekannteste der 53 Tiger-Reservate des Landes. In dem rund 400 Quadratkilometer großen Areal im Osten des Bundesstaates Rajasthan leben derzeit etwas mehr als 50 Königstiger. Von Rangern vor Wilderern geschützt, streunen die wenig menschenscheuen Katzen vor den Augen und Kameras Tausender Touristen durch filmreife Kulissen. Der Dschungel ist von Felsen, Seen und Bächen durchzogen, man trifft auf die Überreste alter Jagdschlösser mit kleinen Pavillons, und über allem thronen die Ruinen der Ranthambhor-Festung aus dem zehnten Jahrhundert.
Die Szenerie ist idyllisch, das Tiger-Safari-Geschäft ernüchternd. Schon die Anreise ist strapaziös. Touristen, die erstmals Indien bereisen, sollten sich von Spezialisten beraten lassen. "Indien ist ein wunderbares Reiseland, wenn man seine Tour gut plant", sagt Arne Birck von Lotus Reisen. Wer wüsste schon, dass man für die gut 150 Kilometer vom nächstgelegenen Flughafen Jaipur über schlechte Straßen mehr als drei Stunden bis zum Nationalpark braucht?
Viel komfortabler ist die Anreise mit dem Royal Rajasthan on Wheels.
Der Luxuszug startet in Neu Delhi und durchquert auf verschiedenen Routen Rajasthan. Auf der Strecke macht er Halt in einigen der beeindruckendsten Städte der Region. Erster Stopp ist Jodhpur, das aufgrund seiner vielen blau getünchten Häuser auch die Blaue Stadt genannt wird. Überragt wird das Häusergewirr und das Gewimmel in den Gassen vom mächtigen Meherangarh Fort.
Nächste Station auf dem Weg zum Ranthambhore Nationalpark ist Udaipur, das für seine von mediterranen Gärten umgebenen Inselpaläste im Pichola See berühmt ist. Den besten Blick über die Stadt und die Bilderbuchlandschaft rund um den See hat man vom imposanten Stadtpalast am Flussufer. Genauso beeindruckend ist die Festung Chittaurgarh, östlich der Stadt. Abends finden dort Licht- und Klang-Shows statt, die die bewegte Geschichte des Forts erzählen. Der Legende nach sollen sich dort einst Tausende Rajput-Frauen kollektiv umgebracht haben, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen.
Während Rundreisen mit Bussen oder Autos wegen der großen Distanzen und teilweise schlechten Straßen in Indien recht langwierig und anstrengend werden können, rollen die Bahnfahrer im Royal Rajasthan on Wheels entspannt den Tigern entgegen. Stilvoller und bequemer lässt es sich in Indien kaum reisen. Während man an Bord fein diniert und mit Champagner anstößt, ziehen draußen die weiten Felder Rajasthans vorbei, die prunkvollen Paläste der wenigen Reichen, aber auch die verwahrlosten Slums der vielen Armen.
Schweine, Hunde und die von den Hindus als heilig verehrten Kühe laufen über Müll- und Schuttberge. Immer wieder stoppt der Zug auch mitten in den Slums, in denen die Hütten bis auf wenige Meter an die Gleise heranreichen. Kinder und Erwachsene klopfen an die Fenster der Speisewagen und betteln.
Indien ist ein Land voller Kontraste. Die Paläste und die rundherum oder sogar in den Schlössern der Maharadschas entstandenen Luxushotels gehören zu den prachtvollsten der Welt. Auch rund um den Ranthambhore-Nationalpark liegen Top-Hotels wie paradiesische Oasen inmitten armer Städte. Anders als in Afrika haben derartige Luxus-Refugien aber keine Möglichkeit, selbst mit eigenen Biologen auf Pirschfahrt ins Tiger-Reservat zu gehen. Vor dem Tiger sind in Indien alle gleich - Rucksack-Touristen wie Grand-Hotel-Gäste.
Frühmorgens werden alle Safari-Teilnehmer rund um den Nationalpark in ihren Hotels abgeholt. Die meisten buchen einen Platz auf einem der Lastwagen, auf deren offenen Ladeflächen Sitzbänke für 20 Passagiere befestigt sind. Bei der Nobelversion nehmen sechs Gäste auf einem offenen Mahindra-Jeep Platz. Mit irrsinniger Geschwindigkeit brettern diese dann durch das Verkehrschaos Richtung Nationalpark. Im letzten Moment weichen sie in der Dunkelheit ohne Licht entgegenkommenden Lkw aus, umkurven Kühe, Motorräder und von Dromedaren gezogene Bauernkarren. Die Anfahrt wirkt gefährlicher als ein Spaziergang durch das Tiger-Reservat.
Aufgewirbelter Staub brennt in den Augen. Die Fahrt von einem Hotel zum nächsten bis zum Eingang des Nationalparks kann eine Stunde dauern. Fahren die Jeeps endlich in den Dschungel hinein, sind die meisten Gäste wegen der erstaunlich niedrigen Temperaturen durchgefroren. Die Tortur ist überstanden, die Schönheit der Landschaft im ersten Morgenlicht überwältigend. Am Eingang des Reservats wird jedem Safari-Fahrzeug ein Ranger zugeteilt. Das erfolgt nach dem Zufallsprinzip, genauso wie die Zuweisung der Sektoren. Der Park ist in Areale aufgeteilt. In jeden Sektor wird nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen geschickt, damit es im Park nicht zum Stau kommt.
Mit dem Ranger an Bord geht es endlich in den Park, in dem sich auf der dreistündigen Fahrt außer ein paar Rehen und vielen Pfauen jedoch nichts zeigt. Manchmal zeigt der Ranger in Richtung eines Rehs, das er "Tiger-Food" nennt, ansonsten schweigt er. Die Gäste schweigen ernüchtert mit ihm. Immer wieder hält der Jeep an. Aufmerksam lauscht der Ranger in den Dschungel hinein, aber es ist kein Knacken eines Astes, kein Warnruf von Affen und Vögeln, kein Getrappel von flüchtenden Rehen zu hören. Heute zeigt sich in dem Sektor kein einziger Tiger. "No Tiger", stellt der Ranger kurz und treffend fest.
Dass überhaupt noch einige Dutzend Tiger im Rathambhore Park zu finden sind, ist der Indischen Regierung zu verdanken, die das Areal schon 1973 zum Tiger-Schutzgebiet erklärte und der Wilderei in den 1990er-Jahren Einhalt gebot. Damals hatten Geschäftemacher die Zahl der Tiger in Indien von einst fast 4000 auf rund 1400 reduziert. Die mehr als 50 Tiger des Ranthambore Nationalparks sind alle auf Fotos erfasst und durchnummeriert. Einigen hat man sogar Namen gegeben.
Die berühmteste Katze ist Machali - neunfache Mutter, Fotomodel und Filmstar. Die "Königin von Rathambhore" wurde weltweit bekannt, weil sie über ein Dutzend bis zu drei Meter lange Krokodile an den Seeufern getötet hat. Auf der Morgensafari aber zeigt sie sich nicht. Genauso wenig wie ihre Artgenossen. Auch die Nachmittagssafari bringt keine Foto-Ausbeute. Nicht mal etwas mehr Informationen. Der diesmal zugeteilte Ranger spricht kein Wort Englisch.
Am nächsten Tag haben die Gäste aber Glück: Beim Losverfahren bekommen sie Ranger Mazhar Khan zugeteilt. Der junge Mann weiß alles über die Tiger und alle anderen Tiere im Nationalpark vom indischen Leoparden bis hin zu den über 260 Vogelarten. Jede Minute der Safari-Tour wird zum Genuss, die vier Stunden vergehen wie im Flug, und dann zeigt sich tatsächlich auch noch ein Tiger. Es ist T 24, der bereits drei Menschen getötet hat. "Das waren Leute aus den Dörfern, die in den Park eingedrungen sind, um Holz zu sammeln. Das war nicht die Schuld des Tigers", flüstert Khan beruhigend. So lange alle ruhig im offenen Jeep sitzen bleiben, bestehe keine Gefahr, meint Khan. Wie beruhigend. Weder er noch der Fahrer des Jeeps haben eine Waffe.
Vorsichtig lässt Khan den Jeep bis auf wenige Meter an die Katze heranrollen. Ustad, der Tiger mit der Nummer 24, ist tatsächlich entspannt. Er ist offenbar an die Menschen in den Jeeps gewöhnt. Als sich aber das vierte Safari-Fahrzeug nähert, faucht er, steht auf und geht - gelassen, majestätisch und so beeindruckend, dass alle Strapazen vergessen sind.