Urlaub in der Savanne Die große Tierwanderung in der Serengeti

Wer sich auf die Spuren der Außenseiter im Busch begibt, lernt eine Menge über das komplexe Ökosystem der Savanne.

"Serengeti": So haben Sie Afrika noch nie gesehen
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Foto: Universum Film

Verkehrsstau in der Savanne. 14 Safariwagen haben eine Löwin umzingelt. Dutzende Kameraobjektive zielen auf das Tier. Am Abend werden die Bilder auf zig Facebook-Seiten zu sehen sein. Raubkatze im Morgenlicht, Grüße aus der Serengeti. "Aber müssen es immer die Big Five sein?", fragt Safari-Guide Elia Mollel. Es gebe Spannenderes in der Savanne zu sehen als Löwe, Leopard, Büffel, Elefant und Nashorn. "Wie wäre es zum Beispiel mit den Ugly Five, den hässlichen Fünf?", will der 24-jährige Massai wissen. Dazu zählen Warzenschwein, Marabu-storch, Geier, Hyäne und Gnu. Wer sich auf ihre Spuren begibt, lernt eine Menge über das komplexe Ökosystem.

Auf dem Weg zum Marafluss liegen Kadaver von verendeten Tieren: Fellreste, gehörnte Schädel, sonnengebleichte Knochen. Der Geruch von verwesendem Fleisch liegt in der Luft. Es ist die Zeit der großen Gnuwanderung. Jahr für Jahr wandern mit dem Wechsel der Regen- und Trockenzeiten Hunderttausende Weißbartgnus, Steppenzebras und Antilopen von der Serengeti in die angrenzende Masai Mara in Kenia. Ihnen folgen Löwen, Hyänen und Schakale. Für die Räuber ist der Tisch reich gedeckt. Unweit der Piste entdeckt Elia eine schaurige Szene: Am Kadaver eines Gnus zerren drei Tüpfelhyänen. Knurrend und winselnd balgen sich die schäferhundgroßen Tiere um das Aas. Um sie herum hat sich eine Truppe Geier formiert, die nur darauf wartet, dass die Hyänen eine Lücke freigeben. "Geier ist nicht gleich Geier", erklärt Elia. "Ohrengeier sind mit ihren mächtigen Schnäbeln in der Lage, auch die Kadaver von großen Säugetieren aufzubrechen, Weißrückengeier können mit ihren nackten Hälsen bis tief in die Gedärme vordringen. Was sie übrig lassen, holt der Kappengeier." Die Vögel schaffen das Aas aus der Welt und beugen dadurch Seuchen vor.

Elia erhält einen Funkspruch: Am nahen Marafluss haben sich Hunderte Gnus eingefunden, die den Fluss in Richtung Masai Mara überqueren wollen. Ein Spektakel, das in der Welt der Tiere seinesgleichen sucht. Der Guide tritt aufs Gaspedal. Dicht gedrängt stehen die Tiere am Ufer. Sie zögern. Der Fluss hat unberechenbare Stromschnellen, und im schlammbraunen Wasser warten meterlange Krokodile. "Es kann manchmal Stunden dauern, bis das erste Gnu den Sprung ins Wasser wagt", sagt Elia. Hunderte, bald Tausende donnernde Hufe wirbeln eine dichte Staubwolke auf. Das nervöse Grunzen erfüllt die Steppenluft.

Die große Wanderung von der Masai Mara in die Serengeti ist die letzte Massenmigration großer Säugetiere auf der Erde. Den Wanderbewegungen der Bisons in Nordamerika machte der Mensch Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb weniger Jahrzehnte ein Ende. Die Migration der Blauen Streifengnus in Botswana stoppten Anfang der 80er Jahre neuerrichtete Viehzäune in der Kalahari. Hunderttausende Tiere verendeten, weil sie ihre seit Jahrtausenden vollzogene Wanderroute nicht weiterführen konnten.

Es ist ein Wunder, dass die große Gnuwanderung Ostafrikas bis heute fortbesteht. Naturschützer kämpfen immer noch gegen immer neue Straßenbauprojekte in der Serengeti. In der Masai Mara werden Wilderer immer mehr zum Problem, seit Kenia mehrfach zum Anschlagziel von Islamisten wurde und daraufhin der Tourismus einbrach. Grzimeks alter Schlachtruf "Serengeti darf nicht sterben!" ist auch 55 Jahre nach seiner bekannten Kinodokumentation noch aktuell.

Plötzlich springt das erste Gnu mit einem Satz in den Fluss. Was nun passiert, ist so faszinierend wie dramatisch. Instinktiv folgt nun Tier für Tier. Mit meterhohen Sprüngen stürzen sie sich in die Flut, durchschwimmen dicht gedrängt den Fluss, während die Masse am Ufer ins Wasser drängt. Mit panisch aufgerissenen Augen halten sie den Kopf über Wasser, stolpern auf einer Felsinsel übereinander, bleiben teils an der Steilböschung am anderen Ufer hängen. Wer zu viel Kraft verliert, riskiert von der Strömung mitgerissen oder unter den Hufen der nachdrängenden Masse niedergewalzt zu werden.

Ein mächtiges Krokodil nähert sich dem Geschehen, wartet bis ein Gnu ihm geradezu ins Maul schwimmt. Das junge Tier versucht sich zu befreien, doch es hat keine Chance gegen das Reptil. In Sekundenschnelle wird es in die Tiefe gezogen. Unterhalb der Stromschnellen sitzen die Geier auf den toten Gnus, die die letzte Überquerung nicht überlebt haben. Etwa eine Stunde dauert das Schauspiel, bis das letzte Gnu mit gebrochenem Bein die Böschung hinauf stakst. "Das hier ist mein Büro", sagt Elia mit Blick auf den Fluss, nachdem der Donner der Hufe verhallt ist. "Ich würde es für kein anderes auf der Welt eintauschen."

Die Redaktion wurde von Afrikarma zu der Reise eingeladen.

(RP)
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