Ökotourismus in Costa Rica Zwischen Giftpfeilfrosch und Ur-Kakao

Puerto Viejo de Sarapiquí · Naturschutz statt Raubbau, Bildung statt Armee, Tierbeobachtung statt Kampftrinken am Hotelpool: In Costa Rica, einem der weltweit führenden Länder im Ökotourismus, genießen Einheimische und Urlauber gemeinsam die üppige Flora und Fauna sowie die Stabilität des Landes. Außerdem: Wo sonst kann man erst im Atlantik und nach kurzer Fahrt schon im Pazifik baden?

Costa Rica - eines der grünsten Länder der Erde
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Costa Rica - eines der grünsten Länder der Erde

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Im „Musterländle“ Zentralamerikas sind auch kleine Tiere große Stars: Ein roter Giftpfeilfrosch blinzelt am Sarapiquí-Fluss im Buschwerk nach oben in zwei Kameras. Der Winzling, der kaum so groß wie ein Daumen ist, lässt mächtig seinen Hals anschwellen.

Die beiden Touristen aus Deutschland und die anderen in der kleinen Gruppe befolgen den Rat ihrer Führerin aus der Hauptstadt San José: Sie sind still und fotografieren ohne Blitz. Das in der Regel scheue Tier mit der knalligen Farbe scheint dies zu honorieren und springt nicht weg.

Auf der Wanderung erzählt Karla Barquero, dass jedes kleinste Tier seinen Nutzen für die Balance der Natur hat: „Das lernen die Kinder bei uns in der Schule. Umweltschutz und Naturkunde spielen eine sehr große Rolle im Unterricht“, sagt die 28-jährige Biologin. Sie hat in Ulm studiert, sich auf Fledermäuse spezialisiert und bietet nun Nachtwanderungen zu den Flattertieren an.

Vor einer Hängebrücke am Fluss bleibt Karla stehen und zeigt nach unten: Zwischen wilden Orchideen, Luftwurzeln und großen Farnen hängt ein Faultier am Ast eines bemoosten Urwaldriesen. Die Augen sind fest geschlossen, die langen Krallen umschließen auch im Schlaf das Holz. Das Tier macht seinem Namen alle Ehre und lässt sich von den „Eindringlingen“ nicht stören. Die Urlauber aus Europa sind beeindruckt: „Das ist besser als im Zoo“, sagt ein Lehrer aus Rom. „Alles so nah, ohne Gitter“, freut sich eine Studentin aus Madrid.

Auch die zweistündige Bootsfahrt auf dem Fluss vom Städtchen Puerto Viejo de Sarapiquí aus bringt tierische Höhepunkte im Minutentakt: Brüllaffen verteidigen schreiend ihr Gebiet und hüpfen von Ast zu Ast. Kleine Fledermäuse hängen schlafend in einem schattigen Felsvorsprung. Der Kopf eines Kaimans lugt aus dem Wasser, zwei Tukane zeigen im Wipfelgrün ihre großen gelbgrünen Schnäbel.

Costa Rica: Göttervögel und Giftpfeilfrösche
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Costa Rica: Göttervögel und Giftpfeilfrösche

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Ausflugskapitän Juan Arrieta sieht, dass seine Touristen zufrieden sind. Er räumt aber ein: „Heute muss ich schon zeitiger - um 7.00 oder 8.00 Uhr - mit dem Boot starten, wenn ich so viele Tiere wie früher zeigen will.“ Vor 15 Jahren sah es noch ursprünglicher aus. Etliche neue Häuser und Hütten wurden inzwischen am Ufer gebaut.

Zumindest der Tukan war hier früher in größeren Gruppen zu sehen, bestätigen Anwohner. Etliche der exotischen Tiere ziehen sich aus diesem Flussabschnitt in ruhigere Gebiete zurück. Dazu haben sie aber reichlich Platz: Etwa 30 Prozent der „Reichen Küste“, wie Costa Rica aus dem Spanischen übersetzt heißt, stehen unter Naturschutz.

Studenten, Wissenschaftler und Reiseexperten

Der Bezirk Sarapiquí, der in 90 Autominuten von San José aus über eine landschaftlich reizvolle Straße durch den Braulio Carrillo Nationalpark zu erreichen ist, liegt in einer feuchtheißen, fruchtbaren Tiefebene. Auf den Weiden grasen Rinder.

In den Gärten und kleinen Plantagen gedeihen Mangos, Avocados, Papayas und Kochbananen. Riesige Anbaugebiete sorgen für den Ananas-Nachschub in Nordamerika und Europa. Auf Fiestas treffen sich die Einheimischen hier häufig hoch zu Ross: mit Cowboyhut, Stiefeln, weitem Hemd oder schicker Bluse. Ein großer Teil der Region ist intakter Urwald.

Umsichtige „Ticos“, wie die Einheimischen in der Umgangssprache heißen, sowie einige Ausländer betreiben Ökolodges und umweltfreundliche Hotels, die Solarenergie verwenden, Naturabfall in Erdgas umwandeln und Wasser zur Wiederverwertung filtern.

Neben Urlaubern kommen auch Studenten, Wissenschaftler und Reiseexperten aus aller Welt, um zu bewahren, zu forschen und zu lernen - von der Natur und vom nachhaltigem Tourismus im Lande.

Willy Aguilar schneidet vorsichtig mit dem Messer vier gelbgrüne Kakaofrüchte direkt vom Stamm. Die Bäume wachsen hier zu Lehrzwecken. Er und sein Team, zu dem auch Karla Barquero gehört, demonstrieren im gemeinnützigen „La Tirimbina Regenwald Zentrum“ westlich von Puerto Viejo de Sarapiquí, wie die Ureinwohner vor 500 Jahren das Getränk und Rohschokolade produzierten. Samengewinnung und Röstung sind ein langwieriger Prozess, der hier Gästen gezeigt wird.

"Nicht schwimmen - Krokodile im Wasser"

Der Kakao-Slogan „Las más dulce experiencia del bosque lluvioso“ („Die süßeste Erfahrung des Regenwalds“) klingt verlockend. Doch manche Besucher verziehen bei der ersten Kostprobe das Gesicht: Der Urkakao ist körnig und nicht süß. Eine mit Zucker angereicherte zweite Version trifft den Geschmack der Neuzeit-Menschen schon eher. Dagegen munden die Schokoladenbröckchen allen Gästen auf Anhieb - das Rezept der Ureinwohner wurde etwas „nachgebessert“.

Die Mitarbeiter von La Tirimbina haben alle Hände voll zu tun, ebenso ihre Kollegen der nahen „Estación Biológica La Selva“. Hier nächtigen und leben vor allem wissenschaftlich Interessierte, manche eine Woche lang, andere ein Jahr. Tafeln mit Erläuterungen gibt es viele in den Gebäuden und im Wald. Ein Warnschild am Fluss ist besonders hilfreich: „Nicht schwimmen - Krokodile im Wasser“.

Das Sarapiquí Conservation Learning Center kümmert sich auch um Kooperationen mit Kommunen, Frauengruppen, Schulen und Kindergärten. „Das Zentrum vermittelt Gästen den Besuch und die Übernachtung in einer einheimischen Familie, Schulbesuch inbegriffen“, sagt Giovanna Holbrook.

Wenn sie spricht, spürt der Zuhörer, dass die Dame mit den italienischen Wurzeln die Natur und die „Ticos“ liebt. Giovanna Holbrook ist Mitbegründerin des gemeinnützigen Lernzentrums und eines Ökohotels und lebt schon seit 30 Jahren in der Region. „Die Nachfrage nach nachhaltigem Tourismus wächst. Die Menschen lernen, die Natur zu achten und zu bewahren“, ist ihre Beobachtung.

Ein weiteres Beispiel für die Entwicklung zum Ökotourismus ist die Geschichte von Alberto Quintana. Er züchtete früher Rinder, heute betreibt er eine Öko-Hacienda mit Restaurant, Gästezimmern, alternativer Energiegewinnung, organischem Anbau, Schmetterlingszucht sowie einem Urwald mit 500 Vogelarten. „Wir sind ein echtes Tico-Familienunternehmen“, sagt der Mittfünfziger. Das Interesse sei groß: „Wir brauchen mehr Zimmer in unserer Region“, sagt Quintana.

Neben den Umweltthemen kommen in Costa Rica aber auch das Vergnügen und sportliche Abenteuer nicht zu kurz: Ausritte, Wanderungen zu Vulkanen wie dem ständige rauchenden 1633 Meter hohen Arenal, Kajakttrips, Wildwasserfahrten und Seilbahntouren sind nur einige der Möglichkeiten.

Atlantik oder Pazifik?

Und wer in Costa Rica baden will, hat die Qual der Wahl: Atlantik mit lässigem Karibikflair oder Pazifik mit den vielen neuen Hotelanlagen? Wer es ganz eilig hat, kann sogar morgens an der Karibikküste surfen und abends im Pazifik in den Sonnenuntergang schwimmen.

Die Ozeane liegen an der schmalsten Stelle des Landes nur 120 Kilometer auseinander. Wegen der Bergketten dauert die Fahrt von Limón nach Playa Jacó am Pazifik aber bis zu sechs Stunden.

Costa Rica mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern wird wegen seiner stabilen politischen und wirtschaftlichen Lage oft die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt. Jeder „Tico“ ist stolz, dass Lebensstandard und Bildungsniveau seines Landes zu den höchsten in Lateinamerika zählen und das Land kein Geld für das Militär ausgibt.

Costa Rica war nicht in die Bürgerkriege Mittelamerikas verwickelt, und der damalige und heutige Staatspräsident Óscar Arias Sánchez bekam für seinen Einsatz um den Frieden bei den Nachbarn 1987 den Friedensnobelpreis.

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