Auf dem Jakobsweg Finisterre - Abschied am Ende der Welt

Finisterre · Letzte Station auf dem Jakobsweg ist das Kap Finisterre. Die schroffe Felslandschaft hat wirklich etwas vom Ende der Welt. Früher war das Meer gefährlich ­- wegen englischer Piraten, die die Schiffe mit Pilgern gnadenlos ausplünderten.

Warum Menschen den Jakobsweg gehen
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Warum Menschen den Jakobsweg gehen

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Dem Schiffsmeister Tidemann Sticker aus Danzig erging es schlecht am Kap Finisterre. Er war 1378 in seiner Heimat aufgebrochen und wollte nach Santiago pilgern. Am Kap Finisterre wurde sein Schiff von englischen Piraten überfallen, die ihn grausam zurichteten: Sie schnitten ihm die Finger ab, um an seine Ringe zu kommen, und warfen ihn über Bord. Er überlebte knapp.

Finisterre, das Ende der Welt; rund 80 Kilometer westlich von Santiago gelegen: Es ist ein Ort von schroffer Schönheit. Dort endet der Jakobsweg, dort steht der letzte Markierungsstein, der null Kilometer anzeigt. Das Kap ist wirklich ein Kap: Klippen und Felsen sind beeindruckend, der Wind ist kühl und scharf, und jeder verharrt dort irgendwann andächtig mit einem Blick aufs Meer.

Es ist üblich, dort Teile seiner Ausrüstung zu verbrennen oder an einem Stahlmast zurückzulassen ­- das wirkt seltsam unangemessen an diesem Ort, der von Naturgewalt und Weite erzählt. Das Meer macht es dem Menschen schwer, seine Symbol-Spielchen zu treiben: Ein Feuer anzuzünden, ist bei dem Wind eine Kunst für sich.

Bei den deutschen Pilgern des 15. Jahrhunderts hatte sich für Finisterre eine Pseudo-Etymologie eingebürgert. Sebastian Ilsung von Liechtenberg zum Beispiel reiste 1446 nach Santiago und nannte Finisterre "Finster Stern”, obwohl er die korrekte Herleitung aus dem Lateinischen kannte ("zuo latein haisset es affinnis tera, ist zuo teisch ain end dez erttrichs”).

Gauner in der Pilgertracht

Im 15. und 16. Jahrhundert wurde diese Tracht immer mehr auch zur Tarnung für Kriminelle, die die Leute ausnehmen wollten. Die Verurteilung von Schwerverbrechern zu einer Strafwallfahrt sorgte zusätzlich dafür, dass auf dem Jakobsweg zwielichtiges Gesindel unterwegs war.

Pilger wurden gar zur Plage: 1523 verbot die Stadt Bern bettelnden Pilgern, in der Stadt zu übernachten. In Freiburg durften die Pilger erst in der Stadt um milde Gaben bitten, nachdem sie unter Eid geschworen hatten, dies mindestens ein Jahr nicht mehr getan zu haben. Und der Rat von Santiago de Compostela verfügte, dass bettelnde Pilger höchstens drei Tage in der Stadt bleiben durften.

Mehr als eine Bußübung

Das Erstaunliche ist: Diese massive Kritik hat dem Weg und dem Pilgern nicht den Garaus gemacht. Unter dem Eindruck der Bilder vom Kap Finisterre ahnt man, worin die Lebenskraft der Pilger-Idee liegt. Entscheidend ist: Pilgern ist keine äußerlich-formale Bußübung. Wer pilgert, setzt sich aufs Spiel. Das galt früher brutal, denn eine Pilgerreise war lebensgefährlich.

Heute ist der Camino gottlob nicht mehr gefährlich, aber es bleibt dabei: Wer pilgert, setzt sich aufs Spiel. Die saubere Trennung von Innen- und Außenseite ist nicht möglich. Das Heraustreten aus seinen Lebensbahnen, die Mühen des Laufens, Schmerz, Erschöpfung, Begegnungen mit anderen Menschen ­ all das bleibt nie nur äußerlich. Der Körper reicht seine Erfahrungen weiter nach innen.

Höhepunkt eines Tages am Kap Finisterre ist der Sonnenuntergang. Die Leute sitzen warm eingepackt, tragen Sonnenbrillen und sehen zu, wie die Sonne als roter Ball im Meer versinkt. Felsen, Meer, Himmel, Farben: Die Natur zeigt ihre Kraft, ihre Bedrohlichkeit, ihr rätselhaftes Schweigen, ihre Weite; ihre Kälte. Mittendrin: wir ­- als Beobachter, Fragende, Bangende, Glückliche, Schuldige, Endliche. Kein Kitsch. Vielmehr: das Leben.

Unsere Redakteure Jens Voss (Text) und Andreas Krebs (Fotos) waren auf dem Jakobsweg unterwegs. Von ihren Erlebnissen und Eindrücken haben sie in einer Serie berichtet. Die einzelnen Teile der Serie können Sie unten nachlesen.

(rr)
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