Im Himmel für Kirschkuchen

Mit seiner TV-Serie "Twin Peaks" schrieb David Lynch Ende der 80er Jahre Fernsehgeschichte. Nun startet die Fortsetzung. Eine Spurensuche in den Kleinstädten und geheimnisvollen Wäldern des Nordwestens der USA.

Eine Plakette, die an den Fund einer Leiche erinnert, ist schon ungewöhnlich. Dass vor dem Zedernstamm an der Kiana Lodge aber hin und wieder Personen auftauchen, die sich an dieser Stelle umhüllt mit Plastikplane im Kieselsand fotografieren lassen, gibt es wohl nirgendwo sonst. "Ich habe hier sogar mal eine ganze Busladung beobachtet, die Bilder von sich als Leichen gemacht haben", erinnert sich Red lachend, einer der Angestellten der Lodge westlich von Seattle. Doch es handelt sich ja nicht um irgendeine Tote, die hier 1989 in Plane eingewickelt angespült wurde, sondern eine der berühmtesten der Fernsehgeschichte: Laura Palmer, die Highschool-Schönheit aus David Lynchs bahnbrechendem Serienklassiker "Twin Peaks". Der FBI-Spezialagent Dale Cooper und Sheriff Harry Truman suchten damals ihren Mörder und stießen in der Kleinstadt im Lauf der 30 Episoden auf reichlich finstere Abgründe und Obsessionen.

Trotz der Begeisterung wurde die Serie, die alte Sehgewohnheiten mit ihrem surrealen Mix aus Seifenoper, Krimi und Übernatürlichem herausforderte, aber nach dem Ende der zweiten Staffel abgesetzt - mit einem gemeinen Cliffhanger. Schon damals allerdings deutete Laura Palmer dem Agenten in einer Traumsequenz eine Rückkehr an. "Wir sehen uns in 25 Jahren", flüsterte sie ihm ins Ohr. Keiner hat wirklich damit gerechnet. Doch Lynch und sein Co-Autor Mark Frost hielten Wort - morgen startet die dritte Staffel. Dafür drehte der Regisseur wieder vor Ort: In der Kleinstadt Everett, wo das Haus der Familie Palmer steht. Vor allem aber in Snoqualmie und North Bend, rund eine Autostunde von Seattle entfernt.

Wer die Serie kennt und in die Gegend fährt, wird bei einer Spurensuche das Gefühl haben, schon einmal da gewesen zu sein. So vertraut fühlt sich die US-Kleinstadt-Atmosphäre an: rustikal, beschaulich, entschleunigt. Und immer wieder geheimnisvoll bei der Fahrt über die Landstraßen, die sich durch die dichten Wälder mit mächtigen Douglas-Tannen schlängeln. Wenn dazu noch Angelo Badalamentis jazziger Soundtrack aus den Autolautsprechern kommt, ist das endgültig wie der Eintritt in eine Serienparallelwelt - auch wenn das berühmte Ortsschild nach dem Dreh längst wieder abgebaut wurde.

Die Salish Lodge, einst von außen als Great Northern Hotel in der Serie verewigt, gehört zu den wenigen Orten, wo man schon zeitig für den kommenden Hype vorgesorgt hat. Im Shop des gehobenen Spa-Hotels findet man geschmackvolles Merchandising; in der Bar kann man einen "Dale Cooper"-Cocktail bestellen. Auch die anderen, wichtigsten Drehorte von einst existieren mehr oder weniger unverändert: Das Roadhouse in Fall City, das erneut die Außenkulisse der gleichnamigen "Twin Peaks"-Bar lieferte. Und die rostige Eisenbahnbrücke, auf der die junge Ronette Pulaski einst misshandelt entlang schlich und Fans seitdem vielfach das Twin-Peaks-Symbol ans Geländer gekritzelt haben.

Der Wasserfall, dessen Wassermassen gleich vor der Salish Lodge 82 Meter in die Tiefe stürzen, ist mit jährlich über anderthalb Millionen Besuchern eine der größten Touristenattraktionen im Staat Washington. Im hypnotischen "Twin Peaks"-Vorspann war er genauso zu sehen wie die alte Sägemühle ein paar Meilen weiter, deren Schornsteine längst nicht mehr rauchen.

Nur ein Schlot steht als trotziger Rest in Sichtweite eines weiteren Peaks-Hot-Spots, des kleinen Flachbaus, der einst als Sheriff-Station diente. Darin befindet sich seit ein paar Jahren die "Dirtfish Rally School", wo Adrenalinjunkies mit Rally-Autos über den Parkour vor der Tür heizen können. "Sagt allen Fans, sie können gern hier reinkommen und sich umschauen", erklärt die Empfangsdame Lisa, die so etwas ist wie die reale Version von Lucy, der "Twin Peaks"-Sheriff-Sekretärin.

Mehr noch als hier verschwimmen im legendären Twede's Cafe in North Bend die Grenzen zwischen Kleinstadt-Wirklichkeit und Drehkulisse vollends. In der Serie ist es das Double R Diner, laut Agent Cooper "der Himmel für Kirschkuchen" und ein ganz typisches American Diner im Retro-Stil mit roten Kunstleder-Sitznischen und einer langen Theke. Auch in der Realität trinken hier viele Einheimische ihren Kaffee oder essen Pancakes. Doch dazwischen sind auch immer wieder Peaks-Fans, die sich ganz auffällig unauffällig umschauen. So ehrfürchtig wie aufgeregt versenken sie ihre Gabel in die berühmte, süße Cherry Pie und lassen sich gern häufiger von den Kellnerinnen im "Twin Peaks"-Shirt den "verdammt guten Kaffee" nachschenken.

Was in der Serie sonst noch so sein wird wie einst? Darüber ist wenig bekannt. Lynch liebt Geheimnisse, und das nicht nur in seinen Filmen. Auch über die dritte Staffel wurden bislang sehr wenige Details an die Öffentlichkeit gebracht - so wie die Liste mit satten 217 Darstellernamen, auf der viele der alten Darsteller ebenso auftauchen wie etliche neue Namen - von Naomi Watts bis zum Musiker Trent Reznor. Was durchsickert, erhöht nur noch die Spannung, bis einer der gemeinsten Cliffhanger der Fernsehgeschichte endlich aufgelöst wird.

Die Redaktion wurde von Visit Seattle zu der Reise eingeladen.

(RP)
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