"Get on Apps" Kann eine App gegen Flugangst helfen?

Jeder Dritte leidet laut einer Studie unter Aviophobie - der Angst vor dem Fliegen. Ich bin einer davon. Vor meinem ersten Langstreckenflug habe ich versucht, meine Nerven mit einer Hypnose-App statt mit Beruhigungstabletten in den Griff zu bekommen. Ein Erfahrungsbericht.

Zehn Tipps gegen Flugangst
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Foto: dpa, Andrea Warnecke

Vorfreude ist die schönste Freude - heißt es zumindest. Das gilt eigentlich auch für die Urlaubsplanung. Mehr als ein Jahr haben mein Mann und ich auf unsere Flitterwochen gewartet. Das Traumziel stand schon vor dem Ja-Wort fest: Jamaika. Doch je intensiver wir den Trip planten, je mehr Ausflugsziele wir auswählten und je konkreter unser Traumurlaub wurde, umso heftiger meldete sich eine Stimme in meinem Kopf: Flugangst. Zwar bin ich schon einige Male geflogen, aber noch nie Langstrecke, nicht quer über den Atlantik und erst recht keine elf Stunden am Stück. Selbst nach Spanien bestand meine Strategie bisher aus vom Arzt verschriebenen Beruhigungsmitteln und einem Glas Sekt - jedoch ohne großen Erfolg. Nach Jamaika wollte ich deshalb eine Alternative testen: Hypnose per Smartphone-App.

Die Flugangst quasi im Schlaf bekämpfen, verspricht Hypnosetherapeutin Kim Fleckenstein. Unter dem Namen "Get on Apps" bietet sie Hypnoseprogramme zum Beispiel für das Smartphone an - jeweils für rund fünf Euro. Ob Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören oder Schwanger werden: Mehr als 50 Apps hat die Münchenerin mittlerweile entwickelt. Warum sollte es dann nicht auch mit der Flugangst klappen, denke ich mir.

Vier Wochen lang habe ich mir einmal täglich die 20-minütige App angehört, das erziele den größten Effekt. Jetzt ist der Tag der Wahrheit gekommen. Auf diesen Moment hat mich die sanfte Frauenstimme von Kim Fleckenstein vorbereitet. Als ich in das Flugzeug steige, glaube ich selbst daran, dass ich den Flug gut überstehe und alles halb so wild wird. Dann der Start: Mein Herz pocht, ich schwitze am Rücken, umklammere die Hand meines Mannes. Doch Angst habe ich nicht. Ich genieße mein neu gewonnenes Selbstvertrauen. Ungefähr acht Stunden...

Dann setzen die ersten Turbulenzen ein. Das Flugzeug wackelt, die Gepäckfächer über meinem Kopf klappern. Jetzt ganz ruhig bleiben, denke ich mir, ich weiß genau, was zu tun ist. Die Hypnosetherapeutin hat mir zu sanfter Elektromusik in Dauerschleife empfohlen: "Einatmen und doppelt so lang wieder ausatmen." Ich versuche, die Atemübungen umzusetzen. Vergeblich. Mein Herz rast. Ich schnaufe, umklammere die Hand meines Mannes immer fester, bis die Knöchel hervortreten. In meinem Kopf höre ich weiter die Worte der Therapeutin: eine Stimme aus dem Abgrund.

Bing. Es knarzt aus den Lautsprechern, die Stewardess fordert die Passagiere auf, sich anzuschnallen und ihr Handgepäck sicher zu verstauen. Mein Puls geht in die Höhe, während die meisten Fluggäste vor sich hindösen. Zwei Reihen vor mir schläft ein Kleinkind seelenruhig in den Armen seiner Mutter. Daran ist für mich nicht mal annähernd zu denken. Stattdessen versuche ich mich krampfhaft, an die Anweisungen der Hypnose-App zu erinnern. Das Thema Fliegen spielte während der gesamten Therapie keine Rolle. Keine beruhigenden Verkehrsstatistiken, nichts zum Thema Flugsicherheit oder warum der Flugzeugrumpf immer wieder diese beängstigenden Geräusche von sich gibt. Somit ist die App generell etwas für Menschen mit Angstzuständen - ob im Flieger, Aufzug oder beim Zahnarzt.

Stattdessen solle ich mir meinen persönlichen Sicherheitsraum vorstellen, hat mir Therapeutin Fleckenstein empfohlen. Mein Raum ist komplett in hellem Holz ausgekleidet. Ein warmes Licht schimmert von den Wänden. Ich sitze in der Mitte in einem weißen Ledersessel. Über mir ziehen flauschige Wolken am blauen Himmel vorüber. Ich schließe die Augen und beruhige mich nach einigen Minuten tatsächlich etwas. "Ruhe und Entspannung kann ganz einfach ein- und unliebsame Gedanken können ganz einfach ausgeatmet werden", hat mir die Stimme versichert. Ich werde langsam etwas ruhiger, auch wenn mein Herz immer noch heftig in meiner Brust pocht. Ich öffne die Augen.

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Ein Luftloch. Das Flugzeug sackt kurz ab. Mein Magen auch. Ich kralle meine Finger in die Hand meines Mannes und kneife die Augen wieder fest zusammen. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Turbulenzen schon andauern. Ich würde jetzt alles für eine Beruhigungstablette tun, die ich mir kurz vor dem Abflug noch bei meinem Arzt geholt habe. Sicher ist sicher. Aber ich denke nicht mal im Traum daran, jetzt aufzustehen und meinen Rucksack aus dem Ablagefach zu holen. Außerdem kommt diese Idee ungefähr eine Stunde zu spät. Stattdessen versuche ich mich an die positiven Sätze der App zu erinnern. Suggestionen, die mich beruhigen sollen: "Ich besitze die notwendige Gelassenheit, ich sehe mich selbst gesund am Ziel." Ich erinnere mich aber an kaum einen der Sätze - auch, weil immer gleichzeitig gesprochen wird, die Stimmen miteinander verschmelzen.

So überstehe ich eine Ewigkeit - zumindest fühlt es sich für mich so an. Inzwischen klappt aber die Atemübung immer besser. Einatmen und doppelt so lang wieder ausatmen. Mein Puls beruhigt sich langsam. Ebenso wie das Flugzeug. Nur noch gelegentlich ist ein kleiner Wackler zu spüren, während ich mich langsam wieder traue, die Augen zu öffnen. Ich stelle fest, dass die ganze Aufregung gerade mal zehn Minuten gedauert hat. Um mich herum schlafen die meisten Passagiere immer noch tief und fest. Ich beneide sie. Denn von meiner Flugangst bin ich nicht geheilt. Die App hat mir zwar ein wenig geholfen, aber ein mulmiges Gefühl beim Fliegen werde ich wohl behalten. Und künftig setzte ich wieder auf mein ganz persönliches Mittel: Beruhigungstabletten und ein Gläschen Sekt.

(RP)
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