Köstlichkeiten, die das Herz berühren

In kaum einer Stadt gibt es so viele Lokale wie in Hongkong. Die Vielfalt ist groß - vom einfachen Straßenimbiss bis zur Sterneküche. Und weil die Chinesen so gerne essen, bieten sie inzwischen auch eine Essens-Tour durch Hongkong an.

Das Essen spielt im Leben der Chinesen eine zentrale Rolle, vor allem im wohlhabenden Hongkong. Mittags stehen die Leute vor den Restaurants geduldig Schlange. Und so klingt denn auch die Begrüßung konsequenterweise: "Chi fan le ma - Haben Sie heute schon gegessen?" Das entspricht in etwa unserem Guten Tag oder Hallo.

Berühmt ist die kantonesische Küche für ihre Dim Sum - übersetzt: kleine Köstlichkeiten, die das Herz berühren. Der Chinese isst die mundgerechten Happen - ob gedünstet, frittiert oder gebraten - zum Frühstück oder mittags. Aber die kantonesische Küche hat noch wesentlich mehr zu bieten. Sie ist vielfältig, sehr wohlschmeckend, und manches ist für den Europäer auch gewöhnungsbedürftig, wenn es beispielsweise um Hühnerfüßchen, Seegurken- oder Schlangengerichte geht.

Um einen Überblick - ohne Schlange - über die fantastische kantonesische Küche zu bekommen, gibt es in Hongkong eine kulinarische Stadtführung: die Foodie-Tour.

Treffpunkt ist um 14 Uhr auf Hongkong Island im Finanzdistrikt. Dann ist der Hochbetrieb für die Mittagszeit vorbei. Mit der Buchungsbestätigung haben die Teilnehmer den Hinweis bekommen, vorab nur eine Kleinigkeit zu essen. Mit maximal zwölf Personen geht es zu Fuß dreieinhalb bis vier Stunden durch den Distrikt. Heute sind es nur ein paar Liebhaber der chinesischen Küche, darunter Andrew aus England und Deborah aus Los Angeles.

Betty und Yu Li, zwei junge Chinesinnen, empfangen ihre Gäste und berichten in perfektem Englisch, was sie erwartet: Sechs kulinarische Stationen, die der Tourist auf eigene Faust wahrscheinlich nie entdecken würde. Erster Stopp, nur 200 Meter vom Treffpunkt entfernt, an der Queen's Road: Tsim Chai Kee Noodle House. Es geht eine steile Treppe hinunter. Vor dem Eingang prangt das Zeichen für eine Michelin-Empfehlung. Und schon kommen die Suppen - heiß und wohlriechend. In der Brühe schwimmen klassische Bandnudeln und die Spezialität des Hauses: Wan Tan - gefüllte Teigtaschen, wahlweise mit Shrimps, Fisch oder Rindfleisch gefüllt. Köstlich. Während wir die Suppe löffeln und die Nudeln mit Stäbchen essen, können wir in die Küche blicken, wo hinter Glas noch jedes Wan Tan von Hand zubereitet wird.

Weiter geht es nach einem zehnminütigen Fußweg ins Dragon House. Im Schaufenster hängen knusprig geröstete Enten, Gänse und Schweinefleisch-Stücke. Mitarbeiter sind fleißig bei der Arbeit, schneiden, portionieren. Der Andrang ist groß. Ein Geheimtipp. Nur Chinesen sitzen an den Tischen. Wir, die einzigen Langnasen, gehen hinein und die steile Treppe hinauf in die erste Etage. Kurz darauf bekommen wir das saftigste, knusprigste und fein gewürzte Schweinefleisch serviert, das wir seit langem gegessen haben.

Betty fragt: "Was glaubt ihr, wie lange das Schwein gebraten wurde? Acht, zwölf Stunden, mit Niedrigtemperatur?" Sie schüttelt den Kopf. Nur 90 Minuten gegrillt am heißen Feuer. Nach dem Essen geht es für die Foodie-Tour-Gäste in die Küche, oder besser zur Feuerstelle. Viel verrät der Küchenmeister nicht. Nur: Die Marinade sei ein Geheimrezept.

Zwecks Verdauung geht es bergauf zu den wundervollen Straßenmärkten, die nicht mehr lange existieren werden, wie Yu Li berichtet, weil die Grundstücke mitten im Finanzdistrikt heiß begehrt seien. Hongkong boomt, es wachsen Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden. Und das in einer atemberaubenden Schnelligkeit. Die Gruppe hat sich inzwischen vertraut gemacht und redet - hauptsächlich - übers Essen. Auch im Zuckerrohrladen. Ein Traditionsgeschäft, das Kung Lee in der vierten Generation führt. Hier wird der Saft noch manuell hergestellt. Andrew ist ganz begeistert, weil er noch nie Zuckerrohrsaft probiert hat.

Es folgt ein längerer Spaziergang durch die Straßenschluchten bergauf und bergab, vorbei an kleinen Tempeln, historischen Gebäuden und Antikläden. Inzwischen sind wir schon mehr als zwei Stunden unterwegs und der nächste Stopp naht. Ein Laden mit kandierten Früchten, oder besser: mit allem, was man kandieren kann. Wieder gibt es reichlich Kostproben, ehe es weiter geht zum Dim Sum Square - ein Laden, der auch nachmittags die "himmlischen Köstlichkeiten" offeriert. Das Restaurant ist modern eingerichtet, die Küche ist traditionell.

Es gibt Har Kau, gedämpfte hauchdünne Teigtaschen mit Garnelenfüllung und selbstverständlich Shiu Mai -Schweinefleisch und Granelen - mit Kohl umwickelt. Da hat jede chinesische Familie noch ihr eigenes Rezept. Die größte Überraschung: Char Siu Bao - das sind Hefeklöße mit einer süßlichen Schweinefleisch-Füllung. Diese Pork Buns haben wir zum ersten Mal in knuspriger Form gegessen, weil sie kurz in die Friteuse kamen - sensationell.

Letzter Stopp, als es schon dunkel wird, bei einer Bäckerei. Zum Abschluss gibt es ein Dessert. Die Bäckerei ist berühmt für ihre Eier-Tarte. Kleine Mürbeteigküchlein gefüllt mir eine süßen Ei-Masse. Eine Kalorienbombe. Wer bei der Foodie-Tour noch nicht satt geworden ist: Spätestens jetzt ist es so weit.

(RP)
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