Soller: Wohnort von Menschen aus 48 Nationen Wo das Herz Mallorquin spricht

Mallorca ist nicht nur der Deutschen liebste Ferieninsel im Ausland - viele versuchen dort auch, zu leben und zu arbeiten.

Soller - "Hauptstadt" der Tramuntana im Nord-Westen Mallorcas, kennen viele Urlauber nur als Stopp während einer Inselrundfahrt: ein Bummel durch die engen Straßen der gemütlich-lebendigen Stadt, vorbei an ehrwürdigen Bürgerhäusern und Modernisme-Gebäuden, ein cafe con leche oder ein Bier samt einer tapa auf der Placa de Sa Constitucio mit Blick auf die Kirche St. Bartomeu, die der Gaudi-geprägte Architekt Joan Rubio 1904 schuf, vielleicht noch eine Fahrt mit der nostalgischen Straßenbahn nach Port de Soller - mehr ist meist nicht drin.

Relativ wenige Touristen verbringen mehrere Ferientage in dem Tal voller Oliven-, Mandel-, Orangen- und Zitronenbäume, deren Export den Einheimischen schon im 19. Jahrhundert zu Wohlstand verhalf. Was der Urlauber nicht ahnt: In der 11000 Einwohner zählenden Stadt leben Menschen aus 48 Nationen. Was hat die Fremden zum Bleiben veranlasst? Und ist Soller auch noch schön, wenn man dort arbeiten will und muss, wird es zur neuen Heimat?

Spontane Entscheidungen

Dass es so ist, glaubten Friederike (60) und Günter Jursch (76) 1994 nach einem einzigen cafe solo auf der Placa de Sa Constitucio zu wissen. Gefangen von der Atmosphäre des Platzes - sicher kam noch manch anderes dazu, aber diese besondere Stimmung war quasi ein Symbol dafür -, ging alles schnell: Innerhalb weniger Tage kaufte der ehemalige Unternehmer, der seit Jahren als Transaktionsanalytiker und Heilpraktiker tätig war, mit seiner Frau ein verfallenes Stadthaus. Zwei Jahre später waren die Jurschs nach Soller übergesiedelt.

Ähnlich spontan entschied sich 1993 Silke Reinhold für ein Leben in Soller. Sie machte damals mit ihrer Schwester in Port de Soller 14 Tage Ferien und erlebte "Sa Fira" in Soller, das Volksfest der Stadt. "Es war die lustigste Zeit meines Lebens, wir haben in zwei Tagen den ganzen Ort kennen gelernt", schwärmt die inzwischen 33-Jährige noch heute. Zwei Wochen nach dem Urlaub waren Silke Reinhold und ihre Schwester wieder in Soller. Drei Monate wollten die Studentinnen bleiben. Aus drei Monaten wurden zehn Jahre - die Schwestern haben in Soller ihre Männer fürs Leben gefunden.

Einmaligkeit des Ortes

Liebe zog auch Franz Kraus 1990 nach Soller. Seine Frau lernte er dort auf einer Fete kennen, zu der er erstmals nach Mallorca gereist war. Für den Rheinländer, damals sehr erfolgreich in der Lebensmittelindustrie tätig, war das Tal, damals noch nicht durch einen Straßentunnel an den Rest Mallorcas angebunden, eine andere Welt. "Da gab's nur uralte, verrostete Seats, nicht neueste BMW", erinnert sich Franz Kraus. Aber er - damals zwar mehr Yuppie, aber eigentlich ein "Landmensch" - sei von Beginn durch die Einmaligkeit des Ortes, die Kraft der Berge und des nahen Meeres sowie vor allem durch die sehr herzliche Art der Menschen beeindruckt gewesen. Monatelang flog er jedes Wochenende nach Mallorca, dann blieb er dort - nicht nur der Liebe wegen.

"Öfter mal was Neues", dieses Motto führte Dieter Rahmel (53) und Thomas vom Hofe (39) nach Soller. Auch ihnen gefielen Ort, Landschaft, Klima. Aber eigentlich kauften die Kölner Werbekaufleute 1995 eine alte Finca in den Bergen oberhalb von Soller, weil sie etwas ausprobieren wollten - etwas Neues: Erst sollte es eine Art Seminarhaus für Großfirmen werden, dann ein Finca-Hotel der anderen Art (ohne Rezeption, ohne Kellner).

Britta Plönzkes Hotel war schon fertig, als sie nach Soller kam. Ihr Vater hatte dort Mitte der 90er Jahre ein altes Stadthaus gekauft, renoviert und mit Starkoch Witzigmann zum Nobel-Restaurant samt feiner Herberge gemacht. Später schuf er ähnliches in den Bergen oberhalb der Stadt. Britta, die Betriebswirtschaft studiert, sich ein Jahr in den USA mit Marketing befasst hatte und "sowieso" nicht in Deutschland arbeiten wollte, nahm nach kurzer Bedenkzeit Vaters Offerte an und leitet seither beide Häuser.

Ärger mit Behörden

Rund ein Jahrzehnt leben und arbeiten diese Soller-Zuwanderer nun im Tal, wo Orangen und Zitronen blühen. Die Motive, die sie in Soller bleiben ließen, sind ähnliche und auch unterschiedliche. Heimisch geworden sind die einen mehr, die anderen weniger. Thomas vom Hofe berichtet nicht nur von eitel Sonnenschein. Groß, manchmal katastrophal sei der Ärger mit den Behörden gewesen, heftig die Ressentiments von Seiten der Einheimischen. "Man muss sich auf die Lebensart einlassen. Einige akzeptieren, dass wir manches nicht wollen, andere tun das nicht. Da gibt's keine Lösung", meint der Kölner. Die Sprache sei ein Beispiel. Es gebe viele Einheimische, die erwarten würden, dass man Mallorquin spreche.

Mangelnde Sprachkenntnisse (Spanisch) verhinderten engere Kontakte, Freundschaften mit Einheimischen. Mehrfach hätten sie an einen Verkauf der Finca gedacht. Noch immer haben sie auch engen Kontakt nach Deutschland, führen dort eine Cocktailbar und ein Theater. Die Finca ist inzwischen fertig und gut gebucht. Aber Thomas vom Hofe gibt zu: "Nach dem ganzen Ärger sind die Emotionen raus. Es ist fast schon wieder langweilig."

Probleme mit Nachbarn und Einheimischen hatte das Ehepaar Jursch nicht. "Das war so super, so angenehm hatten wir es nicht erwartet", berichten sie. Allerdings: Beide sprechen Spanisch, sogar ein paar Brocken Mallorquin. Beide sind auch in Soller berufstätig: er als Heilpraktiker und Psychotherapeut, sie als Angestellte bei einem großen Immobilienmakler. Dementsprechend haben sie Wurzeln geschlagen - sowohl in der Szene der Ausländer als auch bei den Einheimischen. Gerade diese Mischung, diese Internationalität mache Soller für sie zu einer "sehr anregenden" Stadt. "Hier kommt es zu tollen Mischungen. Gestern haben wir zum Beispiel mit Deutschen, Iren, Franzosen und Mallorquinern gefeiert", schwärmt Friederike Jursch. Langeweile fürchtet sie jedenfalls nicht: Und wenn's ihnen tatsächlich doch mal zu eng im Tal werde, könnten sie durch den Tunnel in 20 Minuten ins "cosmopolitische" Palma fahren.

Flucht nach Palma

Ein Leben in Soller ohne den Tunnel, ohne die Anbindung an Palma, an den Rest der Welt - das wäre für Britta Plönzke kaum vorstellbar. Soller sei "ganz süß, verspielt, idyllisch". Aber das Klima im Winter nerve, und es sei eben doch "zu wenig los". Oft bleibe nur die Flucht nach Palma. Auch wenn Britta Plönzke nicht weiß, ob sie in Mallorca bleiben wird, fest steht für die 32-Jährige: "Zurück in einen Job in Deutschland gehe ich nicht."

Auf jeden Fall auf Mallorca bleiben wollen Silke Reinhold und ihre Schwester. Als Ehefrauen einheimischer Männer und Mütter seien sie voll integriert. Manchmal sprechen die beiden Schwestern sogar untereinander Spanisch. "Da denke ich schon: So weit muss es nun auch nicht gehen", erzählt Silke Reinhold.

Verantwortung übernehmen

Genauso wenig wie sich die Reinhold-Schwestern eine Rückkehr nach Deutschland vorstellen können, denkt Franz Kraus daran, Soller zu verlassen. "Die Frage stellt sich gar nicht. Soller - das ist mein Platz", versichert der Rheinländer, der schon optisch sehr spanisch wirkt. "An seinem Platz sein", das bedeutet für Franz Kraus (nicht nur, wenn der Platz Soller ist), Verantwortung zu übernehmen. "Verantwortung dafür, dass es mir und den Menschen um mich herum gut geht - eben, damit es mir gut geht." Entsprechend konsequent hat sich Franz Kraus in Soller eingebracht. In den ersten Jahren baute er basierend auf alten mallorquinischen Traditionen und seinem Wissen aus der Lebensmittelbranche die Eisfabrik "Sa Fabrica" auf. Verarbeitet werden vor allem Produkte, die im Tal von Soller angebaut werden. Inzwischen wird die süße Köstlichkeit aus Soller auf ganz Mallorca verkauft, zeitweise auch in Deutschland, der Umsatz verdoppelte sich alle zwei Jahre, die Zahl der Mitarbeiter stieg von zwei auf 20.

Ehrenbürger der Stadt

Franz Kraus' Engagement in Soller ging noch weiter. In der Stadt entstand auf seine Anregung und mit seiner Hilfe "Fet a Soller" - eine weitgehend selbst verwaltete Organisation, in der Behinderte aus dem Ort Beschäftigung finden. In Keramikwerkstätten, in der Straßenreinigung, in der Marmeladenproduktion, in der Pflege städtischer Grünanlagen und anderem mehr gibt es inzwischen rund 70 Arbeitsplätze. Der Rat der Stadt Soller ernannte Franz Kraus zum "geehrten Ausländer", einer Art Ehrenbürger - aber darüber spricht Kraus nicht gern.

Vor allem über die Sprache kommt man nach seiner Meinung in Kontakt zu anderen. Wer kein Spanisch spreche, habe es schwer in Soller - und ziehe nach ein, zwei Jahren wieder weg. Franz Kraus hat nicht nur Spanisch, sondern auch Mallorquin gelernt. Um in Soller glücklich und akzeptiert zu werden, müsse man kein Mallorquin können, meint er: "Aber das Herz der Menschen hier spricht Mallorquin."

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