Aquitanien Mit dem Revolver unterm Kopfkissen

Küste, Kultur und Kulinarik: Aquitanien hat nicht nur Bordeaux zu bieten. Auf wenigen Kilometern warten viele Eindrücke.

Es gibt mindestens drei Gründe, nicht nach Bordeaux zu müssen. Es ist zu weit weg. Es ist zu windig. Und: Es ist nicht kuschelig genug. Alles gute Gründe - aber leider nicht sonderlich stichhaltig.

Denn man muss ja nicht zu Fuß hin, so wie es 1801 Dichter Friedrich Hölderlin gemacht hat. Acht Wochen benötigte er dafür vom schwäbischen Nürtingen aus, immer den Revolver unterm Kopfkissen. Heute geht es deutlich schneller.

Es ist auch nicht zu windig. Zwar liegt der Atlantik vor der Tür, der bringt Wellen und Stürme. Aber es gibt da noch die Sonne, sie räkelt sich förmlich in den Straßen. Eine warme, dennoch nicht aufdringlich heiße Sonne, die die Boulevards und die Cafés gleichermaßen bestrahlt.

Und Bordeaux soll nicht kuschelig sein? Das gilt, wenn überhaupt, nur dort, wo die Hauptstadt Aquitaniens Herzstück ist für die feine Art, wo prunkvolle Fassaden und klassizistischen Kulissen der Kultur, wie Börse und Grand Théâtre, wetteifern mit den wie mit der Schnur gezogenen Reihen der Platanen. Die Stadt der Silhouette.

Aber es gibt auch das klein-städtische, das winklige Bordeaux, den Patriotismus des Bistros, wo die Bordelesen ihren Bordeaux trinken. "Geh aber nun und grüße die schöne Garonne", so erinnerte sich Hölderlin zärtlich an den Fluss, der breit, aber auch anschmiegsam an Bordeaux vorbei in einer Kurve, als wäre sie eine Mondsichel, Kurs nimmt aufs Meer. Einen Fluss, an dessen Ufer heute eine weiträumige Flaniermeile zum absichtslosen Schlendern einlädt.

Lassen wir uns also treiben. Gehen wir auf diesem Laufsteg der Seele am eleganten Börsenplatz vorbei nach Norden. Und wir kommen ins Bordeaux der frischen Impulse. In einer ehemaligen Lagerhalle für Gewürze ist das CAPC, das Museum für Zeitgenössische Kunst, untergebracht - einer aufgeputzten Basilika nicht ganz unähnlich.

Aber wenn Kultur Raum braucht, richtig viel Raum, dann findet sie ihn flussabwärts in der alten deutschen U-Boot-Basis. Sagenhafte 600 000 Kubikmeter Beton wurden zwischen 1941 und 1944 verbaut. Gigantische Hallen, geheimnisvolles Licht, dröhnende Akustik: heute schauerlich schräger Kulissenzauber für Festivals der Kunst-, Film-, und Theater-Szene.

Zeit für einen Tapetenwechsel: Wie wär's mit einer Landpartie ins Weinland südlich von Bordeaux? Schauen wir beim Schloss La Brède vorbei. Es sieht nicht nur wie gemalt aus, hier wurde 1689 auch Montesquieu geboren, dessen Scharfsinn wir unser politisches Grundmuster mit Legislative, Exekutive und Judikative verdanken.

Auch auf der anderen Seite der Garonne wächst der Wein, in Saint-Émilion sogar einer der Extraklasse. Vorhang auf! Frankreich pur. Winklig, abgeblättert, charmant, ein bisschen spießig und ein bisschen wie im Schlaraffenland, farbig, üppig und mit einem der weltweit besten Rotweine gesegnet, und so heißt er auch: "Premier Grand Cru Classé".

Nach einem Gläschen zieht es uns in den Weinberg zum Wandern. Den Alltag ausblenden und sich auf das Wesentliche besinnen, das funktioniert auch zwischen Trauben und Reben. Ein bisschen geht es auch hier rauf und runter. Zudem hat man stets den Wein vor Augen. Das beschwingt.

Andernorts ruft der Berg, hier ist es der Atlantik. Also fahren wir nach Arcachon. Es riecht nach Meer. Endlich. Wer will, schnappt sich ein Fahrrad und radelt die Küste entlang. oder mietet sich eine Pinasse, ein flottes Holzbötchen, und rauscht damit über die Bucht. Wer will, erklimmt die größte Wanderdüne Europas. Bis zum Grat des drei Kilometer langen Sandbergs von Pilat sind es rund 110 Meter, das ist so hoch wie das Freiburger Münster. Eine Holztreppe hilft beim Aufstieg. Hernach lässt man es sich in einem Fischlokal gut gehen bei den berühmten Austern von Arcachon.

Aquitanien liegt im äußersten Südwesten. Hier gibt es die schönsten Strände. Weit, wild, flach, ausladend, körnig. Zum Beispiel in Hendaye, einem sympathisch familiären Seebad, wo die spanische Grenze mitten durch den Hafen verläuft und die Hotels nur halb so hoch sind wie im mondänen Biarritz nebenan. Dort waren sie alle zu Gast: Bismarck, Sissi und Picasso, Künstler, Könige, Kaiserinnen. Die Stadt: ein Ballsaal am Ufer des Meeres. Im Palasthotel geht es zu wie in der Belle Epoque. Eine Nacht in diesen Hallen muss sein. Wenigstens eine. Sie ist nicht preiswert, aber preiswürdig.

Anderntags heißt es, den Blick noch einmal auf das Meer richten. Wir müssen uns losreißen, nicht überstürzt, wie Hölderlin, wir treten die Heimreise planvoll an. "Was bleibet aber, stiften die Dichter."

Die Redaktion wurde von Atout France eingeladen.

(RP)
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