Mit sechs Knoten quer durch Schottland

Schottland vom Wasser aus entdecken: mit der "Lord of the Glens" durch den Kaledonischen Kanal und zu den Inneren Hebriden im Atlantik schippern.

Schiffe haben es Struan angetan. Sobald sich eines über den Meeresarm "Loch Nevis" dem Küstenort Inverie nähert, läuft der Neunjährige mit seinem Vater hinunter zum Anleger und hilft, das Boot am Pier zu vertäuen. Ein Schiff ist auch die einzige Möglichkeit, den 80-Einwohner-Ort zu erreichen. Nach Inverie auf der Halbinsel Knoydart im Nordwesten Schottlands führen weder Autostraßen noch Schienen. Struans Vater, Ian Robertson, diente einst bei der britischen Armee. Danach wählte er die Abgeschiedenheit. 21 Jahre lang betrieb er den entlegendsten Pub des britischen Festlands: "The Old Forge Inn". "In Inverie leben alle, weil sie wollen, nicht weil sie müssen", meint Robertson. Am späten Nachmittag wird Struan der "Lord of the Glens" beim Anlegen helfen. Das blau-weiße Schiff im Yachtstil ist vor fünf Tagen an der Ostküste in Inverness im Kaledonischen Kanal gestartet. "Zwischen 1803 und 1822 ließ der schottische Ingenieur Thomas Telford den Kanal errichten, der die Nordsee mit dem Atlantik verbindet und Schiffen die lange Fahrt um Schottlands stürmischen Norden ersparen sollte", erklärt Bordreiseleiterin Konstanze Tack: "Der 97 Kilometer lange Kanal verbindet die vier Seen Dochfour, Ness, Oich und Lochy miteinander. Ihre Höhenunterschiede werden mit 29 Schleusen ausgeglichen."

Mit sechs Knoten (elf Kilometern pro Stunde) steuert Kapitän Anthony Reading die "Lord of the Glens" über den zweitgrößten See Schottlands: Loch Ness. Auf 36 Kilometern haben die Passagiere Gelegenheit, Nessie zu sehen. 4000 Sichtungen wurden bis heute registriert. Doch eine Chance, einen Blick auf das "Ungeheuer" zu erhaschen, bietet am Ende doch nur der Souvenirshop in Fort Augustus. Spannender ist die Schleusentreppe mit fünf hintereinander gereihten Schleusen. Jede von ihnen hebt oder senkt das Wasser des Kanals um 2,4 Meter. Eine Stunde dauert die Durchfahrt. Während die 47 Gäste sich auf den Weg ins "Robert-Louis-Stevenson"-Restaurant zum Drei-Gänge-Dinner begeben, hat die "Lord of the Glens" direkt hinter der "Himmelsleiter" festgemacht.

Am folgenden Morgen startet das Schiff zur zweiten Etappe durch den Kanal. Zwischen Loch Oich und Loch Lochy manövriert Kapitän Reading das Schiff konzentriert durch eine 2,5 Kilometer lange, schmale Baumallee, die Laggan Avenue. Kiefern, Eschen, Erlen, Birken, Weiden und Vogelbeerbäume säumen den Kanal über weite Strecken. Bei Banavie nahe Fort William schält sich Großbritanniens höchster Berg aus einer Wolkenwand: der 1343 Meter hohe Ben Nevis. "Neptun's Staircase" mit acht hintereinander liegenden Schleusenkammern ist noch einmal eine Präzisionsaufgabe für die Crew. Über den Loch Linnhe schippert das Schiff Richtung Innere Hebriden im Atlantik. Auf der Insel Mull heißt es eintauchen in die Welt der Clans. "Clan bedeutet Kinder", berichtet Konstanze Tack: "Ab dem 12. Jahrhundert schlossen sich im bergigen Hochland größere Gruppen zusammen, die über den Familienverband hinaus gingen." Seit mehr als 700 Jahren ist das "Duart Castle" Hauptsitz des MacLean Clans. Fichten und grüne Farne, die so hell leuchten, als habe jemand unter ihnen ein Licht angeknipst, prägen das Eiland. Schafe und zottelige Hochlandrinder dösen auf mit weißen Gänseblümchen und gelben Butterblumen übersäten Weiden.

An Muck, Eigg und Rum schaukelt die "Lord of the Glens" vorbei nach Canna, dem kleinsten Eiland der Inselgruppe der "Small Isles" ("kleine Inseln"). Eine Kirche, eine Kapelle, ein keltisches Kreuz, ein paar Bauernhöfe, Kaninchen, Schafe, Rinder, ein Postamt mit roter Telefonzelle, ein Café, feinster, heller Sandstrand, dümpelnde Fischerboote und ganz viel Grün - das ist Canna. Auf der Rückfahrt entlang der Insel Skye springen zwei Delfine neben dem Bug aus dem Wasser. Seehunde räkeln sich auf einer Sandbank.

Als sich das Schiff der Halbinsel Knoydart nähert, warten Struan und sein Vater bereits am Hafen von Inverie. Einer der Matrosen wirft ihnen das Tau zu. Mit leuchtenden Augen legt Struan es um den Poller am Kai.

Wie die meisten Dorfbewohner spazieren die Passagiere der "Lord of the Glens" nach dem Abendessen zum "Old Forge Inn", um ein "Caledonia Best" zu genießen, bevor die Sonne hinter den grasgrünen Bergen am Loch Nevis untergeht. Die Redaktion wurde von dem Veranstalter Lernidee Erlebnisreisen und Visit Britain zu der Reise eingeladen.

(RP)
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