Mr. Burns, verbotene Bars und die Bronx

Lärm, Hektik, Reizüberflutung - wer sich Manhattan und die Bronx zu Fuß anschaut, braucht starke Nerven und gute Turnschuhe. Der Puls der Stadt rast wie die gelben Taxis über die Stadtautobahnen. Ein Streifzug durch New York.

Die Nackten über den Eingängen verabscheute er. Wenn John Davison Rockefeller jr. das Hauptgebäude des Rockefeller Centers, seines Rockefeller Centers, betrat, dann nur durch einen einzigen Eingang. Den, an dem seine Frau Abby keine kommunistischen oder nudistischen Kunstwerke hatte anbringen lassen. Der milliardenschwere Sohn des Öl-Tycoons John D. Rockefeller trank nicht, spielte nicht und mochte keine Nacktheit. Er war ein ruheloser Geschäftsmann und die Vorlage für die Figur des Mr. Burns bei der Serie "Die Simpsons". Seine Ehefrau dagegen trank, spielte, mochte Kunst und liebte es, ihren Mann zu provozieren.

Zur Zeit der Prohibition war es allerdings kein Leichtes, weltlichen Genüssen zu frönen. Und so wurden in den 1930er Jahren nicht nur jene Wolkenkratzer, die der Stadt ihr markantes Gesicht geben, gebaut, sondern auch viele geheime Türen in Keller- und Lagerräume eingelassen, die dem Volk den Zugang zum Verbotenen gewähren sollten. Nicht nur reiche Unternehmergattinnen, auch Salvador Dali und Mae West waren Stammgäste in den Flüsterkneipen, den "Speakeasy" genannten, geheimen Bars, in denen Hochprozentiges ausgeschenkt wurde, während auf der Straße Fässer mit Gin und Rum in die Gosse geschüttet wurden.

Im legendären Manhattaner "21 Club" kann man sich heute noch auf die Spuren der Gangster, Trinker und Lebemänner begeben - allerdings nur mit Hilfe des Wirtschaftsdirektors Liu Cionci, ansonsten würde man die Bar gar nicht finden. Immerhin hat sie zahlreiche Razzien unentdeckt überstanden. Durch die Küche des Restaurants geht es eine Metalltreppe runter - auf der Ernest Hemingway sich in den 1940er Jahren mit einer Gangsterbraut vergnügte - bis zu einer grau gestrichenen Backsteinwand. Eine Sackgasse? Mitnichten. Cionci drückt einen Metallstab in winzige Löchlein, um das Schloss der zwei Tonnen schweren Tür zu öffnen. Dahinter: antike Regale mit Wein, wohin man blickt.

Portwein von 1908, Medoc von 1934, staubige Weinflaschen der Präsidenten Ford und Nixon sowie von Sammy Davis Jr. lagern dort. Statt kühler Kelleratmosphäre gibt es hier Schummerlicht, einen edlen Speisesaal und den gediegenen Charme vergangener Tage. Eine Etage höher im Restaurant geht es noch heimeliger zu. Von der Decke baumelt eine gewaltige Spielzeugsammlung: Flugzeuge, Sporthelme, Modellautos, gestiftet von Promis und Sportstars. Die Kellner sind hilfsbereit und schlagfertig, die Steaks ein Traum und die betagte Toilettendame wirkt, als würde sie zum Inventar gehören und ihre Gäste am liebsten nicht mehr gehen lassen. Aristoteles Onassis bestellte im Restaurant seinerzeit immer nur den "21"-Burger mit Haussoße, und Joe DiMaggio liebte das Ragout.

DiMaggio, Kurzzeit-Ehemann von Marilyn Monroe, hatte es im Stadion der New York Yankees zum US-Baseball-Helden der 1930er und -40er Jahre gebracht. In dieser Zeit erlebte er die Bronx, wo das Stadion steht, noch von ihrer lauschigen Seite: Als die Mittelschicht dort in roten Backsteinhäusern lebte und die Hauptstraße, der Grand Councourse, noch der Broadway des nördlichsten Bezirks werden sollte. Ein Prachtboulevard wurde er nie, heute säumen ihn anonyme Wohnblocks, die sich nur durch die Farbe ihrer Feuertreppen unterscheiden.

Große Teile der Bronx hatten ihre Beschaulichkeit verloren, nachdem immer mehr Bewohner den Bezirk verließen und ärmere nachzogen. Drogen, Gewalt und Armut prägten über Jahrzehnte das Bild des Stadtteils, in den sich die Polizei lange nicht hineintraute. Mieter sollen damals immer wieder Feuer in ihren eigenen vier Wänden gelegt haben, um eine begehrte Sozialwohnung zu ergattern und ihrem Milieu zu entkommen. "In den 70er Jahren brannten hier 200 Blocks. Kinder spielten Basketball, während nebenan Häuser in Flammen standen. Das war ja nichts Ungewöhnliches", sagt Stadtführer Volker Hanke.

Der Wahl-New-Yorker will seinen Gästen bei Spaziergängen die Vielfalt der heutigen Bronx vermitteln: Er zeigt die Sozialbauten, in die man sich vor allem nachts besser nicht verirren sollte, und das Bezirkskrankenhaus, dessen Ärzte zur Zeit des Golfkriegs viele Schulungen geben mussten - weil sie sich am besten mit Schussverletzungen auskannten. Aber auch die Gemeinschaftsgärten und die Umsiedelungsprojekte: Schmale Reihenhäuser, in denen die Bewohner erstmals lernen sollen, ihre eigene Scholle zu pflegen und nicht aus Langeweile die Fußmatten im Treppenhaus anzuzünden oder den Müll aus dem Fenster zu kippen. "New York war nie ein ,melting pot', hier lebten schon immer alle Gruppen nebeneinander", sagt Hanke. Vorbei geht es an spanisch sprechenden Straßenhändlern, an Geschäften, die gewagte Leggings und stramme Jeans anpreisen, an herumlungernden Jugendlichen, an Kindern, die an einem sprudelnden Hydranten spielen, an Autowerkstätten mit lauter Salsa-Musik, zur Metrostation am Yankee-Stadion. Dort ist es schwül, dreckig, marode, hektisch. In den Zügen werden Arbeitsvermittlungen und Anwaltshotlines für unschuldig Inhaftierte und Immigranten beworben, aber auch das Museum of Modern Art. Ein Gitarrist singt in der Bahn für seine kranke Mutter und ein Vorleser rät den Mitreisenden, sich sein neuestes Buch für zehn Dollar zuzulegen, bevor er bei Oprah ganz groß rauskommt. Das Ziel der Fahrt: die Arthur Avenue, wo es das "wahre" Little Italy New Yorks geben soll, mitten in der Bronx. Tatsächlich gibt es dort urige Bäckereien, Metzger, in denen noch ganze, gehäutete Lämmer hängen und eine Markthalle mit dem angeblich besten Cappuccino New Yorks.

Das andere Little Italy in Manhattan verliert dagegen immer mehr seine Ursprünglichkeit und wird allmählich vom benachbarten Chinatown verdrängt. Nicht weit davon entfernt ist der empfindlichste Ort der Stadt. Das Mahnmal am Ground Zero, das an die Anschläge vom 11. September 2001 erinnern soll, führt dem Besucher würdevoll vor Augen, das etwas fehlt: Zwei große, rechteckige Bassins, in die von allen Seiten Wasser strömt, bis es in einen Abgrund hinabfällt. In die Ränder der Mahnmale sind die Namen der Opfer eingraviert, an manchen stecken Blumen. Die meisten Besucher können den Blick nicht vom unaufhörlich in die Tiefe prasselnden Wasser nehmen. Beim Blick in die Höhe fällt auf, dass sich der Turm des neu errichteten One World Trade Centers komplett in einem Hochhaus spiegelt - fast wirkt es so, als gäbe es die Zwillingstürme noch.

Das One World Trade Center ist das höchste Gebäude der Stadt, sogar das höchste der Vereinigten Staaten. Vom Wasser aus gesehen ragt es deutlich über die anderen Hochhäuser hinaus. Bei einem Segeltörn über den Hudson River wird der neuen Skyline fast mehr Beachtung geschenkt als der Freiheitsstatue auf Liberty Island. Die Frage, warum das neue Gebäude wieder eine so exponierte Rolle einnehmen musste, drängt sich auf. "Ja, es ist ein gutes Ziel", sagt Robert Levin, ein aus New Jersey angereister Privatier, der an Bord des Schiffes ein Familienfest feiert. Genauso wie die steinreichen Rockefellers ihre Wolkenkratzer zur Zeit der Großen Depression, als die Wirtschaft am Boden lag, errichteten, braucht die Stadt heute das One WTC als Beweis ihrer Größe. Ein Statement aus Stahl und Glas. "Es ist eine reine Ego-Geschichte, aber es war nötig", sagt Levin und blickt weiter auf die Skyline. "There's no city like New York."

(RP)
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