Natur und Asphalt im perfekten Einklang

Norwegen hat einige spektakuläre Landschaften zu bieten. Manche davon erschließen sich wunderbar per Auto. Zuweilen ist die Straße selbst der Star.

Gleich hinter Bjorli schlägt die Natur gewaltig zu. Auf dem Weg von Dombås nach Åndalsnes schlängelt sich die E 136 durch den wildesten Abschnitt des romantischen Romsdals. Eine mitunter ziemlich schmale Schlucht, durch die sich der eisblaue Lachsfluss Rauma seinen Weg bahnt. Auf beiden Seiten eingezwängt von den fast 2000 Meter hohen, schroffen Romsdalsalpen. An ihren Steilflanken stürzen Wasserfälle hinab. Mächtige Brücken wie der "Tigersprung in Stein" bei Kylling machen den Weg frei für die bequeme Eroberung des Tals. Die norwegische Mischung aus wilder Landschaft und architektonischer Präzision lässt sich am besten mit dem Auto erkunden.

Fast am Ende des Tals gibt es zwei beeindruckende Naturphänomene: das markante und senkrecht emporsteigende Romsdalshorn und die gezackte Trollwand. Mit 1000 Metern Höhe ist das Romsdalshorn Europas höchstes senkrecht aufsteigendes Felsmassiv, einzelne Stellen haben bis zu 50 Meter Überhang.

Nur ein paar Kilometer weiter ist die Straße selbst der Star. 1936 eröffnete König Håkon VII. nach elfjähriger Bauzeit mit dem Trollstigen eine der extremsten Gebirgsstraßen Europas. Eine der populärsten Touristenattraktion des Landes befahren gut 600 000 Besucher jedes Jahr zwischen Ende Mai und Anfang Oktober.

Schon der Blick von unten verrät die Extreme: An der steilen Gebirgswand entlang windet sich der Trollstigen über elf Haarnadelkurven hinauf zum Aussichtspunkt auf 852 Meter. An einigen Stellen wurde die Straße ins Gestein geschlagen. Auf halber Höhe passiert sie den Wasserfall Stigfossen über eine Natursteinbrücke.

Selbst mit dem Auto gerät man bei zwölf Prozent Steigung tüchtig ins Schwitzen. Zum einen wegen der schwindelerregenden Tiefe. Zum anderen wegen der engen Kurven und der schmalen Fahrbahn, die oft keinen Gegenverkehr zulässt. Im Vergleich zum betriebsamen Hochsommer kann man außerhalb der Saison aber Glück haben: Nur gelegentlich zwingt ein herunter-fahrender Bus zum Rückfahrmanöver bis zu einer markierten Ausweichstelle. Endlich oben angelangt, werden Besucher mit einem atemberaubenden Panorama belohnt. Der Blick auf die umliegenden Bergketten sowie die teilweise fast übereinander liegenden Etagen der Serpentinen ist schlicht überwältigend.

Nur wenige Steinwürfe entfernt von der berüchtigten Meeresstrecke Hustadvika, auf deren Grund unzählige Schiffswracks liegen, windet sich eine der schönsten Autostraßen weltweit wie eine Seeschlange über Inseln, Schären und Holme, die durch Steindämme und acht Brücken miteinander verbunden sind. Zur mehr als acht Kilometer langen Atlantikstraße gehören architektonische Wunderwerke wie die steil aufragende und seltsam verdrehte Storseisundbrua, die zudem so raffiniert in die Landschaft gebaut wurde, dass sie der Rundung eines Berggipfels akkurat folgt.

Das Gesamtkunstwerk Atlantikstraße lässt sich am besten genießen, wenn man reichlich Zeit mitbringt und die Strecke mehrmals und aus beiden Richtungen unter die Räder nimmt. Und wenn man Pausen macht auf diversen Rast- und Aussichtsplätzen, die meist vor und nach den Brücken auf den Felseninselchen angelegt wurden. Und wenn man sich Zeit nimmt für Spaziergänge und Kraxeleien in der kargen Landschaft mit stets neuen Blicken auf diese wahrhaft einzigartige Königin der Straßenbaukunst.

Fast einen kompletten Tag können Besucher an diesem Gebilde verbringen, dessen Reiz noch gesteigert wird durch die Kontraste des Wetters. Hier ist alles drin: windstille Sonnenfahrten bei glatter See und glitzerndem Wasser, schauerliche Regenduschen oder gruselige Nebelwände, und Nordwest-Stürme natürlich mit tosenden Wellen. Kein Wunder, dass die Atlantikstraße gerade im Herbst höchst populär ist, wenn gewaltige Brecher über die Felsen schwappen und die Straße in Gischt duschen.

Von Kristiansund Richtung Trondheim entpuppt sich auch die E 39 als Straße von erstaunlicher Panorama-Qualität. Schon die Fährpassage über den schönen Halsafjord sorgt für ausgiebigen Landschaftsgenuss. An Ufern und Hängen des fischreichen Valsøyfjords bilden die winzigen Örtchen mit bunten Häusern, blühenden Gärten und weidenden Kühen einen wunderbaren Kontrast zum Blaugrün-grau der Wasser- und Bergkulisse dahinter. Idylle pur mit Variationen nach jeder Kurve: Mal leuchten ein paar rotbraune Anglerhütten am Wasser, mal reckt sich eine schlanke weiße Kirche gen Himmel. Bei menschenleerer Straße können Touristen einmal mehr ganz bewusst die oft verfluchten 80 km/h Höchstgeschwindigkeit unterschreiten, was auch dem Fahrer ausgiebige Seitenblicke erlaubt.

(RP)
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