Riace in Süditalien Das Paradies für Kriegsflüchtlinge

Riace (RPO). Leise schwatzend hocken drei Afrikanerinnen im Schatten und sticken, im Hintergrund läuft ein äthiopischer Popsong. Doch sie sitzen nicht etwa irgendwo in Afrika, sondern in Riace im äußersten Süden Italiens.

 "Diese Menschen sind vor dem Krieg geflohen, sie haben Folter erlitten und Dramatisches erlebt", erzählt Riaces Bürgermeister Domenico Lucano in seinem Büro.

"Diese Menschen sind vor dem Krieg geflohen, sie haben Folter erlitten und Dramatisches erlebt", erzählt Riaces Bürgermeister Domenico Lucano in seinem Büro.

Foto: AFP, AFP

Die 1800-Seelen-Stadt in Kalabrien hat sich zum Musterbeispiel der Integration von Flüchtlingen gemausert. Rund 200 Einwanderer leben und arbeiten derzeit hier, sie kamen einst aus Eritrea, Äthiopien und dem Irak, aus Afghanistan und dem Balkan. Schon bald werden wieder 130 Menschen erwartet, die vor dem Bürgerkrieg in Libyen geflohen sind.

Zurück nach Riace

"Die Menschen in der Stadt haben so ein großes Herz, sie sind wie meine Familie", freut sich Asadullah Ahmadsai, der vor vier Jahren aus Afghanistan in das relativ arme Riace am Ionischen Meer gekommen ist. Asadullah verkauft in dem Ort Schmuck und Taschen aus seinem Heimatland. Er hat es auch in Ancona an der wohlhabenderen Adriaküste versucht und dort im Restaurant von Freunden monatlich bis zu 2000 Euro verdient. "Aber mein Sohn hat die ganze Zeit geweint. Er wollte zurück nach Riace", sagt er. "In Ancona werden Ausländer schlecht behandelt und beschimpft."

In Riace dagegen arbeiten sie entspannt Seite an Seite mit den Einheimischen. "Diese Menschen sind vor dem Krieg geflohen, sie haben Folter erlitten und Dramatisches erlebt", erzählt Riaces Bürgermeister Domenico Lucano in seinem Büro, wo schon der Putz von den Wänden bröckelt. Um sie aufnehmen zu können, wurden dutzende Steinhäuser in Riace saniert. Sie standen leer, denn aus Riace sind die Menschen in den vergangenen Jahren in Massen abgewandert - in die USA, nach Argentinien und in den reicheren Norden Italiens, um Arbeit zu finden.

Sticken und Teppichknüpfen

Die Flüchtlinge haben das Städtchen nun nicht nur wiederbevölkert sondern ihm auch zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen. Bäckereien, Tabakshops und Gemüseläden boomen wieder, die Schule wurde wieder geöffnet, das örtliche Handwerk neu belebt. Es gibt Töpfer- und Webkurse. Helen aus Äthiopien etwa hat neben Italienisch auch Sticken und Teppichknüpfen gelernt und verdient sich so monatlich bis zu 500 Euro extra zu ihren 200 Euro dazu, die sie als Asylsuchende von der Regierung bekommt. "Ich will nicht zurück. Weder nach Äthiopien, wo meine Mutter herkommt, noch nach Eritrea, woher mein Vater stammt", sagt die 29-Jährige. "Die beiden Länder bekriegen sich nur."

Gemanagt wird die erfolgreiche Integration von der Vereinigung "Citta Futura", die von der Region Kalabrien finanziell unterstützt wird und der größte Arbeitgeber in Riace ist. Bürgermeister Lucano, ein Vertreter der Linken, ist es gelungen, die sperrige Einwanderungspolitik Italiens erfolgreich zu umschiffen. Für diese hat er nur markige Worte übrig. "Gefangenenlager" seien die Flüchtlingszentren, fast schon "Konzentrationslager". Letztlich sei es deutlich billiger, die Menschen auf kleine Städte wie seine zu verteilen, wo es genug Arbeit gebe.

Workshops als Therapie

"Viele hier haben wieder die Möglichkeit bekommen, zu arbeiten", erzählt auch Cosimina Ierino, die vormittags Erwachsenen Lesen beibringt und nachmittags Kindern bei den Hausaufgaben hilft. "Und die Workshops sind für die Einwanderer außerdem wie eine Therapie. Sie sind beschäftigt, sozialisieren sich mit anderen und lernen ein Handwerk." Auch Touristen sind mittlerweile auf Riace aufmerksam geworden und unterstützen das Städtchen so zusätzlich.

Für Lucano, der 2010 zum weltweit drittbesten Bürgermeister gewählt wurde, zählt aber noch etwas anderes: "Wir haben eine Botschaft der Menschlichkeit in die Welt entsandt", sagt er. "Dieser Ort der Abwanderung ist ein Ort der Ankunft geworden."

(AFP/erer)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort