Durchbruch am Gotthard Ein Tunnel für Europa

Sedrun (RP). Nach fast 20-jähriger Bauzeit feiert die Schweiz den Durchschlag des Gotthard-Basistunnels. Durch den mit 57 Kilometern längsten Tunnel der Welt sollen einmal Hochgeschwindigkeitszüge fahren und helfen, in großem Umfang den Gütertransport von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Die gigantische Röhre soll Nord- und Südeuropa enger zusammenbringen.

Rekordbauwerk Gotthard-Tunnel
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Um 14.17 Uhr war es vollbracht: Bohrmaschine "Sissi" hatte die letzten Meter des Basistunnels in wenigen Sekunden durchbrochen. Der längste Tunnel der Welt war damit durchstoßen. Die Feierlichkeiten wurden live im Fernsehen übertragen.

Rund 200 Tunnelbauer, Schweizer Politiker und Honoratioren applaudierten begeistert, als sich die gigantische Bohrmaschine mit ihren 9,5 Meter großen Bohrköpfen durch die letzten 1,50 Meter Fels fraß. Anschließend ertönte der "Triumphzug" aus Aida, Feuerwerkskörper wurden gezündet, Bergleute fielen sich jubelnd in die Arme. Verkehrsminister Moritz Leuenberger war überwältigt und hatte nach eigenen Worten Tränen in den Augen. Er hätte nicht gedacht, "dass, wenn ein Berg zusammenstürzt, mir das Augenwasser kommt".

Der "Mythos Gotthard" sei ein weiteres Mal gebrochen worden, erklärte Peter Fueglistaler, Chef des Schweizer Verkehrsamtes. Durch den Berg gibt es bereits zwei weitere Durchbrüche - einen Schienentunnel vom Ende des 19. Jahrhunderts und einen Straßentunnel aus den 1970er Jahren.

Mit seiner gigantischen Länge überragt das neue Mammut-Bauwerk den 53,8 Kilometer langen Seikan-Eisenbahntunnel zwischen den japanischen Hauptinseln Honshu und Hokkaido und den mit 24,5 Kilometern weltweit längsten Straßentunnel bei Laerdal in Norwegen deutlich. Seit rund 15 Jahren werden für die "Jahrhundert-Baustelle", wie Schweizer Medien das Projekt getauft haben, Bohrköpfe mit einem Durchmesser von 9,5 Metern durch das Gebirge getrieben.

Europas größtes Infrastrukturprojekt

Es war der bisher wichtigste Schritt zur Vollendung des größten Infrastrukturprojekts in Europa: Mehr als zehn Jahre haben 2500 Menschen an der Untertunnelung des Gotthards gearbeitet, vorsichtig, von verschiedenen Stellen des Berges aus, stets im Kampf gegen die Naturkräfte. Acht Menschen verloren ihr Leben bei der Arbeit am Basistunnel, der am Freitag seine finale Länge von 57 Kilometern erreichte: Mit dem von einem Festakt begleiteten Durchbruch der Oströhre wurde der Gotthard-Tunnel zum längsten Eisenbahntunnel der Welt.

Bis zu 300 Schnell- und Güterzüge sollen spätestens ab 2017 täglich mit bis zu 250 km/h durch den ausgebauten Basistunnel rauschen. Zwei Röhren werden dann Erstfeld im Urner Talboden und Bodio im Tessin verbinden. Die Zugfahrt von Zürich nach Mailand soll sich um eine Stunde verkürzen. "Neue Alpentransversale" ("Neat") nennen die Eidgenossen den Tunnel, der das von Jahr zu Jahr größer werdende Transit-Problem in den Alpen lösen soll. "Der Gotthard-Basistunnel ist ein Meilenstein auf dem Weg, mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen", sagt Peter Füglistaler, Direktor des eidgenössischen Bundesamtes für Verkehr. Güterzüge können durch den Tunnel 4000 Tonnen pro Fahrt befördern. Bislang sind es gerade 2000 Tonnen.

Ergänzt wird der Basistunnel im Norden bei Zürich durch den 20 Kilometer langen Zimmerberg-, im Süden bei Lugano durch den 15 Kilometer langen Ceneri-Tunnel, der 2019 in Betrieb gehen soll. Das passt zu einem ehrgeizigen Ziel: 2019 sollen die Lastwagen-Transitfahrten durch die Schweiz von 1,1 Millionen (Stand 2009) auf 650.000 pro Jahr reduziert werden. Für Autofahrer könnte das Entlastung bedeuten. Staus von zehn Kilometer Länge sind am Gotthard derzeit keine Seltenheit.

Eröffnung Ende 2016 möglich

Momentan sieht es so aus, als könne der Zeitplan für den Gotthard-Basistunnel eingehalten werden — nicht nur wegen des Durchstoßes der Oströhre. Renzo Simoni, Chef der Alptransit Gotthard AG und damit Bauherr, stellte gar eine frühere Eröffnung der Neat-Strecke in Aussicht: "Wir prüfen derzeit intensiv, den Tunnel vor dem geplanten Termin im Dezember 2017 zu übergeben. Ich persönlich halte eine Eröffnung Ende 2016 für machbar."

Die Kosten für das Mammutprojekt am Gotthard belaufen sich laut Alptransit bislang auf 7,3 Milliarden Euro, hinzu kommen 1,8 Milliarden Euro für den Ceneri-Tunnel. Die Gesamtkosten werden bisher auf 14,2 Milliarden Euro geschätzt.

Der Bau am Gotthardmassiv ist nicht nur auf Grund seiner Kosten und seiner Größe imposant, sondern auch die Vorgehensweise beim Bau: Der Berg wurde nicht, wie bei kleineren Tunnels üblich, von zwei Seiten angebohrt. Stattdessen wurden fünf Bauabschnitte eingerichtet. Dazu wurden seitliche Zugänge angelegt. Schon das war aufwändig: In Sedrun (Graubünden) zum Beispiel wurde weit oberhalb des Tunnelmassivs zunächst ein 1000 Meter langer Zugangsstollen in den Berg gelegt. An dessen Ende führten zwei Schächte mit einem Lift 800 Meter tief Richtung Tunnel-Baustelle.

Innen nimmt sich der Berg an manchen Stellen übrigens so luftig aus wie ein guter Schweizer Käse: 180 Querstollen verbinden die beiden Röhren des Gotthard-Basistunnels. Im Internet wird seit Tagen ständig aktualisiert, wie groß die Entfernung bis zum Durchbruch ist. Gestern waren es noch 1,80 Meter. Ein Klacks für die Tunnelbohrmaschinen, die heute zum finalen Akt ansetzen.

(RP, afp/mais)
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