Schon der große Dichter verliebte sich Ilmenau: Goethe über allen Gipfeln

Johann Wolfgang von Goethe schrieb in Ilmenau das "Wandrers Nachtlied". Noch heute erinnert manches an ihn.

In Ilmenau, da ist der Himmel blau, da tanzt der Ziegenbock mit seiner Frau. - Das ist nicht von Goethe, sondern ein Kinderreim, dem zu Ehren in Ilmenau eigens ein Brunnen aufgestellt wurde. Ansonsten aber hat der Herr Geheimrat aus Weimar für die ansehnliche Stadt im Thüringer Wald viel Poetisches und Zugkräftiges getan. Die Ilmenauer machen davon gern Gebrauch. Einen solchen Werbechef hat schließlich nicht jeder. Bekann-testes Ergebnis der Verbindung ist "Wandrers Nachtlied", vielleicht das schönste Gedicht deutscher Sprache, geschrieben 1780 an die Bretterwand der Jagdhütte auf dem Kickel-hahn oberhalb der Stadt:

Über allen Gipfeln/ Ist Ruh" ,/ In allen Wipfeln/ Spürest du/ Kaum einen Hauch;/ Die Vögelein schweigen im Walde./ Warte nur, balde/ Ruhest du auch.

Ein anderes, wesentlich umfangreicheres Poem von 1783 heißt direkt "Ilmenau" und enthält eine Art Liebeserklärung an diesen Landstrich: Anmutig Tal! Du immergrü-ner Hain!/ Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste. . .

Der Dichter war dienstlich als Minister seines Herzogs Karl August unterwegs, als er 1776 - also gerade 27 Jahre alt - zum ersten Mal nach Ilmenau kam. 28 Mal kam er später noch nach Ilmenau, wie Wiebke Rammelt vom Fremdenverkehrsamt berichtet. Im August 1831 feierte er noch einmal mit seinen Enkeln in Ilmenau den letzten Geburtstag. Der 82-Jährige kutschierte zum Kickelhahn hinauf und entdeckte - zu Tränen gerührt - in der Jagdhütte tatsächlich die verwaschene Inschrift wieder: Über allen Gipfeln ist Ruh" . . .

Wer heute nach Ilmenau kommt, begegnet einem eher kühlen Geheimrat - als Denkmal von Klaus Gluting, Aachen, vor dem alten Amtshaus am Marktplatz, das im ersten Stock als Goethe-Museum eingerichtet ist. Auf einer Bank sitzt er dort seit sechs Jahren, ganz unheroisch dösend wie ein betagter Mitbürger, dem sich jedermann gern zu-gesellen kann. Wenn er sprechen könnte, würde er vielleicht den Blick auf die verschwundenen Gasthöfe Zum Adler und Zur Sonne schildern, die im "Wilhelm Meister" zur Beschreibung des Marktplatzes dienten. Oder er würde vom nahen Friedhof berichten, wo Corona Schröter (1751-1802) begraben liegt, die schöne und gefeierte Schauspielerin, die als erste Iphigenie berühmt wurde. Natur und Kunst, so würde er wohl sagen, seien in Ilmenau eng verbunden. Was Goethe nicht wissen konnte: Seit 1992 ist Ilmenau auch Universitätsstadt. Die TU hat das Erbe der Technischen Hochschule (1953) angetreten und weiterentwickelt. Rund 7000 Studenten leben heute in der Stadt, deren Einwohnerzahl mit 33 000 angegeben wird.

Ein Goethe-Wanderweg, den ein schwungvolles G markiert, zeichnet die alten Stationen nach. Kulturwanderer scheuen keine weite Anreise. Den Naturgenuss können in dieser schönen Landschaft gar Banausen nachempfinden. Der Weg von Ilmenau aus führt vorbei am Schwalbenstein, wo der Meister den vierten Akt der Iphigenie in der Prosafassung niederschrieb, und am Großen Hermannstein, zu dessen Höhle er auch Charlotte von Stein mitnahm, zum 861 Meter hohen Kickelhahn.

Da wäre der Wanderer dann endlich am Tatort, an jenem Pirschhäuschen mit der beschriebenen Bretterwand. Die alte Hütte gibt es nicht mehr; sie ist schon 1870 abgebrannt und durch ein Nachfolge-Häuschen ersetzt worden. Aber der Geist des Ortes ist geblieben. Dass Goethe den Blick von dort "herrlich" fand, lässt sich nachfühlen, auch wenn man kein Dichter ist: Das Auge schweift über die sanften Höhen des Thüringer Waldes, die sich in immer wechselndem Grün wandeln, bevor sie am Horizont mit dem Himmel verschmelzen. Wer Glück und ein gutes Fernglas hat, kann vom Aussichtsturm (Restaurant) auf der Bergspitze bis zum Harz oder nach Eisenach und zur Wartburg blicken. Schöner kann deutsche Mittelgebirgslandschaft nicht sein. Etwas tiefer liegt das Jagdhaus Gabelbach, ebenfalls als Goethe-Gedenkstätte eingerichtet. Es dient vor allem der Darstellung seiner naturwissenschaftlichen Studien im Thüringer Wald.

18 Kilometer lang ist der Goethe-Wanderweg über Täler und Höhen. Er endet in Stützerbach, wo es im Gundelachschen Haus noch eine Gedenkstätte gibt. Der Dichter hat wiederholt dort gewohnt. Für den Marsch tut etwas Kondition gut. Man sollte zwischendurch nicht vergessen, eine Rast einzulegen, die Augen zu schließen und durchzuatmen: Über allen Gipfeln ist Ruh" . . .

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort