Nicht nur Natur, auch Kunst und Architektur lohnen eine Reise Umbrien wird Italiens grünes Herz genannt

Nie mehr werde ich Touristen durch diese Kirche führen." Im Herbst 1997 hatte es für die Touristenführerin Anne Claire Bour nicht den Hauch eines Zweifels gegeben: Die Zerstörungen, die das Erdbeben vom 26. September 1997 in der Basilika des Heiligen Franziskus von Assisi - vor allem in der Oberkirche - verursacht hat, sind so gewaltig, dass das Gotteshaus niemals mehr die Touristenattraktion sein wird, die es vor der Naturkatastrophe war.

Die gebürtige Französin, die seit fast 20 Jahren Urlaubern Umbriens Schönheiten zeigt, hat sich geirrt. Fünf Jahre nach dem Beben sprechen nicht nur Restauratoren von einem Wunder, das sich in Assisi ereignet hat: Das eingestürzte Deckengewölbe der Oberkirche ist restauriert. Die in Tausende Stückchen zersplitterten Fresken (die Schätzungen schwanken zwischen 80000 bis 200000 Teilchen) der Vorkirche sind wiederhergestellt - wenn es auch einige weiße Flecken in den Bildern gibt, die der Florentiner Giotto (1266 bis 1337) gemalt haben soll. Und noch haben die Restauratoren viel Arbeit vor sich: das Fresko des Giotto-Lehrmeisters Cimabue (1240 bis 1302) über dem Altar der Basilika liegt in Kisten verpackt - in über 120000 Einzelteilen. Zur Zeit ist die Frage unbeantwortet, ob das Bild jemals wieder zusammengesetzt wird - was auch (und wohl vor allem) eine Kostenfrage ist. Insgesamt aber sollen 95 Prozent der Restaurierungsarbeiten vollendet sein.

Anne Claire Bour führt schon längst wieder Besucher durch die Basilika. Und die verantwortlichen Touristiker in Assisi sowie in Umbrien überhaupt sorgen sich nicht mehr so sehr, wie sie vom Erdbeben Zerstörtes restaurieren können, sondern schmieden Zukunftspläne. Mario Romagnoli, in Assisi für den Tourismus zuständig, wünscht sich zum Beispiel als Gäste nicht mehr nur in erster Linie Pilger, die in seiner Stadt nur einige Stunden, höchstens ein, zwei Tage bleiben und relativ wenig Geld ausgeben, sondern vielseitig interessierte Urlauber, die sich die Zeit nehmen, die Schätze der Region zu entdecken - und auch ein bißchen tiefer in ihre Reisekasse greifen.

Schon in Assisi gibt es mehr zu erkunden als die gewaltige, meist furchtbar überlaufene Basilika. Eine Stimmung, die dem asketischen Leben des Franziskus eher entspricht als das in der Stadt allgegenwärtige Sakral-Business mit Andenkenkitsch vom Salzstreuern in Form von Franziskaner-Mönchen bis zur Schneekugel mit der heiligen Klara findet der Reisende vor den Stadtmauern: im Kloster San Damiano, wo Christus vom Kreuz aus Franziskus aufgefordert haben soll, die Kirche zu reformieren, und wo später die Heilige Klara über 40 Jahre lang lebte, oder in der Einsiedelei am Monte Subasio auf etwa 800 Meter Höhe, wo Franziskus mit seinen Anhängern in Steingrotten schlief.

Auch für denjenigen Reisenden, den wie einst Johann Wolfgang von Goethe ("...die ungeheuren Substruktionen der babylonisch übereinander getürmten Kirchen, wo der heilige Franziskus ruht, ließ ich links, mit Abneigung...") jeder Pilger-Kult kalt lässt, gibt es in der Stadt etwas zu sehen: den römischen Minerva-Tempel, der an der Piazza del Comune in die mittelalterliche Bebauung integriert ist, und das Foro Romano (unterirdisch).

Für Touristen aus den USA und Japan, aber auch für manch anderen ist Assisi, nach Rom der bedeutendste Pilgerort des Landes, das einzige umbrische Ziel ihrer Italien-Reise - und das auch oft nur für zwei, drei Stunden. Dabei bietet nahezu jede Stadt, jede noch so kleine Ortschaft der Region Sehenswertes.

In Bevagna zum Beispiel die Piazza Filippo Silvestri. Sie gilt als einer der schönsten mittelalterlichen Plätze Umbriens. Lebendig werden die längst vergangenen Zeiten dort alljährlich in der zweiten Junihälfte, wenn sich Einheimische in nach historischen Vorbildern geschneiderten Kostümen an mittelalterlichen Handwerkerbuden frisch geschöpftes Büttenpapier oder selbst geflochtene Körbe kaufen und verkaufen.

Das benachbarte Spello ist bekannt für seine gut erhaltene römische Stadtmauer und steile mittelalterliche Kopfstein- und Treppengassen. Als Meisterwerk gilt das Verkündigungsgemälde von Pinturicchio in der Baglioni-Kapelle in Santa Maria Maggiore. Ein weiteres Werk dieses Malers, der ein Schüler/Mitarbeiter von Perugino (Pietro Vannucci) war, ist in südlich gelegenen Spoleto im Dom Santa Maria Assunta zu bewundern. Auch in Spoleto gerät der Stadtrundgang zu einem Wandel durch die Geschichte. Schon die alten Römer liebten die Stadt, hatten dort Zweitwohnsitze und bauten - sie wussten, das Leben zu genießen - Amphitheater und Thermen. Goethe, der auf seiner Reise durch Italien ebenfalls in Spoleto Station machte, war in erster Linie von der Ponte delle Torri begeistert, einem 230 Meter langen und 80 Meter hohen Aquädukt (13./14. Jahrhundert). Heutzutage zieht das Städtchen vor allem im Juni/Juli Besucher aus aller Herren Länder an - zum Festival dei Due Mondi, das 1958 vom Komponisten Giancarlo Menotti ins Leben gerufen wurde und seither alljährlich hochkarätige Opern- und Theateraufführungen, Musik und Ballett, Filme und Ausstellungen bietet. Wer mitfeiern will, sollte sich frühzeitig um Karten bemühen. Der Andrang ist zur Festival-Zeit in Spoleto riesig.

Ansonsten drückt die Stadt - wie viele andere mittelalterliche Orte in Umbrien - ein Problem anderer Art: das der Entvölkerung. Wohnten 1948 in der Altstadt von Spoleto noch 15000 Menschen, so sind es heute nur etwa 6000. Was für Touristen schön anzusehen ist - alte Bausubstanz, enge Gassen, steile Treppen -, das bedeutet für die Einheimischen nicht unbedingt Lebensqualität. Viele Häuser stehen leer, andere haben Auswärtige gekauft und zu nur zeitweise benutzten Ferienwohnungen umgebaut.

In den ländlichen Gebieten soll das touristische Angebot (Agrotourismus) ausgeweitet und verbessert werden. Für 26 Gemeinden, die besonders von dem Erdbeben 1997 betroffen waren, ist erst kürzlich ein Förderprojekt gestartet worden, das Europäische Union und italienischer Staat mit 70 Millionen Euro finanzieren. Kernpunkte sind laut Cleofe Guardigli, Dozentin an der Universität Perugia und an der Leitung des Projektes beteiligt, die Förderung heimischer Produktionszweige und einer neuen Gastlichkeit, die durch persönliche Begegnung zwischen Gast und Gastgeber gekennzeichnet sein soll. Wandern, Reiten, Mountainbiken, Gleitschirmfliegen - für aktive Naturfreunde gibt es beispielsweise im Naturpark Monte Subasio viele Möglichkeiten.

Wer an traditionellen, bäuerlichen Produktionsweisen interessiert ist, kann beim Getreidemahlen in einer alten wassergetriebenen Mühle, beim Weinkeltern oder bei der Olivenpressung zusehen. Passend dazu gibt es in Torgiano, bekannt durch das Weingut der Familie Lungarotti, ein Wein- und ein Oliven-Museum. Beide sind sehenswert.

Spannend kann im Herbst und Winter die Trüffelsuche sein. Speziell ausgebildete Mischlingshunde schnuppern im Wald nach den kostbaren Pilzen. Je nach Angebot auf dem Markt kosten weiße Trüffel etwa 1500 Euro je Kilo. Preiswerter - 60 bis 80 Euro je Kilo - sind schwarze Trüffel. Sie zu finden, ist allerdings auch nicht mehr so schwierig: Nach langen Versuchen können die Pflanzen, die schwarzen Pilze erzeugen, angebaut werden. Trüffelsuche - ein Abenteuer, das es so bald nicht mehr geben wird?

Zum Glück gibt's in Umbrien noch viele andere Schätze zu entdecken: Orvieto, Todi, Trevi, Bolsena, Montefalco, Gubbio, Narni, Amélia, San Gémini, natürlich die Haupt- und Universitätsstadt Perugia, den Trasimenischen See. Fremdenführerin Anne Claire Bour schwärmt von den Sonnenuntergängen an seinen Ufern: "Da muss man sich dann einfach verlieben..."

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