Eine unpolierte Perle im Pazifik Papua-Neuguinea - anders als man denkt

Goroka · Wild, bunt, aufregend, arm, herzlich: "Land of the Unexpected" ist der Slogan Papua-Neuguineas - vielleicht locker zu übersetzen mit: Es kommt immer anders, als man denkt.

Papua-Neuguinea - Perle im Pazifik
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Papua-Neuguinea - Perle im Pazifik

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Ein Dschungelmädchen, das mit seinem Starrsinn ein riesiges Seeufer entwaldet. Ein Clan, der gierige Nachbarn aus Rache mit fürchterlichen Masken zu Tode erschreckt: Die Sagen in Papua-Neuguinea sind wie fast überall gruselig. Die Emotionen - Neid, Rache, Furcht, Ehre - sind in der einstigen deutschen Kolonie aber bis heute präsent wie kaum anderswo. Rituale, Feste und Tänze sind noch nicht ins folkloristische Allerleimenü für Touristen abgerutscht, sondern lebendiger Teil des Alltags.

Reisen am Ende der besiedelten Welt

Papua-Neuguinea, kurz PNG, gilt als "last frontier" - in etwa: das Ende der besiedelten Welt. Die Infrastruktur ist rudimentär, das Reisen teuer, aber dafür sind die Einblicke in die unterschiedlichen Kulturen des Landes spektakulär. Viele Regionen sind Tagesmärsche von der nächsten Straße entfernt. Wie der Yimas-See im Zulaufgebiet zum Sepik-Fluss. Das Gebiet lässt sich nur mit dem Boot erkunden.

Den Ruhm der Sepik-Region mehrten Ethnologen wie Margaret Mead:
"Der Sepik, das bedeutet Moskitos, Krokodile, Kannibalen und Leichen, die im Wasser treiben - und ich kann versichern, dass wir das alles erlebt haben", schrieb sie 1932. Der Fluss ist 1126 Kilometer lang und nach dem Amazonas und dem Kongo nach Wassermenge der drittmächtigste Fluss der Welt. Kannibalen und Leichen gibt es im 21. Jahrhundert nicht, aber noch immer jede Menge Krokodile und Moskitos.

Meist sind in den Einbaumbooten aus dem harten Merbauholz Frauen unterwegs, mit einem Feuerchen an Bord. "Um sich zu wärmen, zu grillen, und Zigaretten anzuzünden", erklärt der örtliche Reiseleiter John. Wenn Besucher kommen, machen sich die Frauen mit Blüten und Körperfarbe hübsch. Das tragen sie sonst nur bei Festen. Gefeiert wird hier oft - in der Abgeschiedenheit eine willkommene Abwechslung.

Grundnahrungsmittel ist Sago. Die Männer im Dorf Kundimam haben gerade eine Sagopalme gefällt. Auf einer Lichtung reißen sie die Rinde auf. Dann hacken sie Stunde um Stunde auf das Mark ein, bis es wie Sägemehl zerfällt. Die Schweißperlen glänzen auf ihren nackten Oberkörpern. Die Frauen stampfen dieses Mehl am Fluss mit Wasser. Der herauslaufende Saft ist Stärke und wird aufgefangen. Daraus backen sie auf offenem Feuer Pfannkuchen oder kochen Pudding - was beides nicht gerade ein geschmackliches Feuerwerk entzündet.

Die papuanische Küche ist eher fad. Süßkartoffel und Grünzeug ist weit verbreitet. Reiseführer für Individualtouristen empfehlen, diskret Salz- und Pfefferstreuer mitzunehmen.

Inselkultur der anderen Art

Am Ufer hat ein Fischer seinen Fang zum Trocknen ausgelegt. "Alles von heute", sagt der Mann stolz. Spannender als die Fische ist das elegante Narbenmuster, das sich von seiner Brust über die Schultern und den Rücken zieht. "Ein Initiationsritus", erklärt John. Die Haut wird eingeritzt, um mit dem Ausscheiden des Blutes symbolisch die Nabelschnur zur Mutter zu kappen. "Dann kommt Öl und Lehm darauf, und die Jungen liegen am rauchigen Feuer, damit sich die Wunden entzünden und die wulstigen Narben entstehen", beschreibt die in PNG lebende australische Anthropologin Nancy Sullivan das Ritual.

Rund 800 Sprachen - ein Fünftel der Weltsprachen - werden in PNG gesprochen. Die Kunstsprache Tok Pisin mit vielen englischen Wörtern sorgt dafür, dass sich trotzdem alle verständigen können. Sie entstand auf den Plantagen der Kolonialherren. Für Deutsche ist das Lesen fast ein Kinderspiel, weil die deutschen Missionare, die die Sprache erstmals aufschrieben, deutsche Schreibweisen nutzten: Eine Provinz am Sepik heißt "Sandaun" wie Sun down - wo die Sonne untergeht, "inap" heißt enough (genug) und "moni" money, Geld.

Die Clans im Hochland mit den gut 4000 Meter hohen Bergen hatten in den 1930er Jahren erstmals Kontakt zur Außenwelt. Die australischen Brüder Leahy kamen auf der Suche nach Gold. "Wie in der Steinzeit", schrieben sie über die Lebensweise der Einwohner. Die glaubten angesichts der Weißen zunächst an Ahnengeister.

Die Leahys kamen ins Wahgi-Tal, in der Nähe des kommerziellen Zentrums Mount Hagen. Die Stadt ist benannt nach dem Preußen Curt von Hagen, Ende des 18. Jahrhunderts Landeshauptmann der Kolonie.

Leben mit den Ureinwohnern

Wanderführer Michael erzählt von der Bedeutung der Clans. Der Clan hilft immer aus - umgekehrt ist jeder Verdiener verpflichtet, seinen Lohn mit weniger Betuchten zu teilen. "Menschen sind wie Zuckerrohr", erklärt Michael. "Einer allein wird vom Wind umgeweht, es müssen immer viele zusammenstehen." Das Problem seien Schnorrer und Kriminelle - es herrscht nämlich Sippenhaft.

Michael ist auf Brautsuche, natürlich im Clan. "Bei den Agilka, seinem Stamm, gibt es A-, B- und C-Bräute", sagt er. "A hat einen Uni-Abschluss, da muss der Mann 60 Schweine und 50 000 Kina zahlen.
C-Bräute sind Mädels vom Dorf, die kosten nur 15 Schweine und 10 000 Kina."

Chief Andrew Noki führt Besucher in Festmontur mit prachtvollem Haarschmuck durch sein Dorf Tokua in der Nähe. Vor einer Hütte weist er auf eine Keulenlilie mit starken Wurzeln. "Bei der Geburt eines Jungen wird die Nabelschnur an einer Keulenlilie vergraben - das ist seine Lebenspflanze. Wenn ihm im Dorf jemand den Platz streitig machen will, fordert er sie heraus: Wer die Pflanze nicht entwurzeln kann, kann ihm auch nichts anhaben." Der Kumunw - der Geisterbeschwörer - zeigt, wie er in Trance aus heiligen Steinen ersehen kann, welches Opfer ein Kranker bringen muss, um geheilt zu werden. Meist geht es um Schweineschlachten.

Das Hochland ist ein Mekka für Pflanzen- und Tierkundler. Nirgends gibt es in freier Natur so viele Paradiesvogelarten - mehr als drei Dutzend. Dazu gehört der Sachsenkönig, eines der sprachlichen Überbleibsel der Kolonialzeit. Orchideen wachsen wie Geranien in Deutschland. Das Wahgi-Tal ist auch das Tor zum 4509 Meter hohen Wilhelmsberg, benannt nach einem Sohn Bismarcks.

Tari im Hochland ist die Heimat der Huli - legendär wegen ihrer bei Festen aufgelegten leuchtend gelben Gesichtsbemalung und des Perückenkults. Die Perückenschule hat gerade drei Schüler, "jungfräuliche" Männer, die ihr krauses Haar monatelang nach heiligen Ritualen wässern und pflegen müssen, ehe sie sie abscheren und verkaufen. Der jüngste ist an diesem Tag nicht so gut drauf. Ständig fährt er sich vorsichtig mit einem Holzstab in das wollige Haar.
Juckt es? "Schon", räumt er ein. Im Dorf der Huli-Männer zeigen Frauen, wie sie Männer mit Kräutermixturen bei der Stange halten.
"Garantiert wirksam", sagt Rita über ihre stinkende Paste.

In der Nähe sind auch die berühmten Lehmmänner zu Hause. Der Legende nach schlug der Clan gierigen Nachbarn, die ihm die Weiden geklaut hatten, in die Flucht, indem sie sie mit Lehm beschmiert und mit Fratzenmasken auf dem Kopf zu Tode erschreckten. Für Touristen spielen manche Dörfer die Szenen nach. Auch hier sind die gezeigten Emotionen nicht nur Schauspiel: Im Hochland sind Hexenjagd und Clankriege mit Dutzenden Toten im Jahr noch üblich.

Mit großen Schritten durch das Land

Überall im Land sind die Leute barfuß unterwegs, was die teils gigantisch breiten Füße erklärt. Frauen tragen Einkäufe und Babys in Bilums, geflochtenen Taschen, auf dem Rücken, den Henkel über die Stirn gehängt. Sonntags zum Kirchgang sind sie mit Puffärmelblusen und Röcken herausgeputzt. Große Palmblätter als Schirm sind keine Seltenheit. Bauern verkaufen ihr Gemüse am Straßenrand. Alle paar Meter gibt es Betelnüsse. Das Betelnuss-Kauen ist eine Volksplage.
Fast jeder, der lacht, offenbart vom roten Betelsaft verschmierte schwarze Zahnstummel. Und Papuaner lachen viel.

Das ist sehr hilfreich, wenn Geduld gefragt ist: Der Bus kommt manchmal spät, das Flugzeug fliegt früher ab, die Tanztruppe hat noch einen Familienstreit zu schlichten. Ein Bach ist ein reißender Strom und lässt sich nicht überqueren, ein Lkw hat sich im Brückenpfeiler verkeilt, nach einem Sturzregen bleibt selbst der Landrover in der steilen Lehmpiste stecken. Am Ende wird alles gut - meistens.

(dpa)
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