Arbeit an Medikament Bald kommt die Pille gegen Jetlag
Düsseldorf (RP). Zeitumstellungen etwa nach längeren Flügen durch mehrere Zeitzonen machen vielen Menschen manchmal wochenlang zu schaffen. Wissenschaftler arbeiten nun an einem neuen Medikament für die innere Uhr, nachdem sie das System des Biorhythmus entdeckt haben.
Ob Urlauber oder Geschäftsreisender — wer mit dem Flieger mehrere Zeitzonen überquert, leidet danach tagsüber unter bleierner Müdigkeit und nachts unter aufgekratzter Schlaflosigkeit: Jetlag. Die innere Uhr, noch eingestellt im ursprünglichen Wechsel von Tag und Nacht, braucht eben ihre Zeit, um sich an die neuen Rhythmen zu gewöhnen.
Ein neuer, oder besser: ein alter Wirkstoff mit neuem Einsatzspektrum macht nun jedoch Hoffnung auf eine Lösung dieser Probleme. Metyrapon heißt der Stoff, den die aktuelle Jetlag-Forschung im Visier hat. Sein Arbeitsgebiet sind die Nebennieren, wo er die Produktion von Kortikoiden hemmt, die unter anderem für den Wasserhaushalt im Körper zuständig sind. Therapeutisch wird er daher bislang zur Behandlung von Kortikoidüberproduktionen eingesetzt, wie sie etwa beim Cushing-Syndrom auftreten.
Zwischenhirnhormon Melatonin
Das sind relativ exotische und eng begrenzte Einsatzgebiete — doch möglicherweise wird sich das ja bald ändern. Bisher war man nämlich davon ausgegangen, dass der Biorhythmus zentral im Zwischenhirn gesteuert wird und somit dort auch die Jetlag-Probleme ihren Ursprung haben. Mediziner haben daher viele Jahre versucht, den Jetlag mit dem Zwischenhirnhormon Melatonin in den Griff zu bekommen. Doch die Ergebnisse waren widersprüchlich. In einigen Studien funktionierte die Melatonintherapie, in anderen blieb sie jedoch wirkungslos.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben daher nach Jetlagen-Ursachen jenseits des Zwischenhirns gesucht. Und sie wurden fündig. An Mäusen entdeckten sie, dass nicht nur eine biologische Uhr im Körper tickt, sondern die einzelnen Organe mit eigenen Taktgebern für den Biorhythmus ausgerüstet sind, die wie in einem Räderwerk ineinandergreifen.
Räderwerk aus dem Rhythmus
Doch dieses System ist keineswegs stabil, insofern sich die einzelnen Organuhren unterschiedlich schnell an veränderte Tag- und Nachtabläufe anpassen. "Beim Jetlag scheint das Räderwerk aus dem Rhythmus zu geraten", erklärt Studienleiter Gregor Eichele. "Als Folge sind zahlreiche physiologische Vorgänge nicht mehr koordiniert."
Eine Schlüsselrolle bei diesen Rhythmusstörungen spielen offenbar, wie die Göttinger Forscher herausfanden, die Nebennieren. Wurden sie bei den Mäusen ausgeschaltet, fanden sich die Nager deutlich schneller mit den neuen Tag- und Nachtabläufen zurecht. Was man vor allem daran sah, dass sie als nachtaktive Tiere umgehend wieder dazu übergingen, ihre Laufradrunden nach Sonnenuntergang zu drehen. Es ist also die biorhythmische Unflexibilität der Nebennieren, die letzten Endes zum Jetlag führt.
Schlüsselsubstanz für Biorhythmus
Also besser, man schaltet sie vorübergehend ab. Aber natürlich nicht komplett, weil sie einfach zu wichtig für den Organismus sind. Sondern nur teilweise, im Bereich der Kortikoide, die sich im Labor als Schlüsselsubstanz für den Biorhythmus herausgestellt haben.
Hier liegt dann die große Chance für Metyrapon — und in den Labors des Max-Planck-Instituts zeigte das medizinisch bewährte Cushing-Medikament auch schon beachtliche Erfolge. "Erhielten Mäuse zum richtigen Zeitpunkt vor dem Jetlag Metyrapon, passten sie sich deutlich schneller an einen verschobenen Tag-Nachtrhythmus an", erklärt Silke Kießling, die den Test leitete. Während das häufig verwendete Schlafhormon Melatonin primär ermüden und sich daher besser für Ost- als für Westflüge eignen würde, ließe sich, so Kießling, "mit Metyrapon die innere Uhr von Mäusen sowohl vor- als auch zurückdrehen".
Metyrapon hätte zudem den Vorteil, dass es als Medikament bereits zugelassen und auf dem Markt ist. Es ist jedoch alles andere als ein Mittel für den Hausgebrauch. Im Katalog seiner potentiellen Nebenwirkungen stehen Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, Blutdruckabfall und eine Schwäche der Nebennierenrinde. Die Göttinger Forscher raten daher von einer eigenmächtigen Anwendung dringend ab.