Nordnorwegen Skifahren nördlich des Polarkreises

Tromsø · Im Winter herrscht an Europas nördlichstem Zipfel fast vollständige Dunkelheit. Wo sich im Sommer die Touristen tummeln, herrscht Einsamkeit. Perfekte Bedingungen für Touren per Schlitten oder auf Skiern durch die Wildnis.

Skifahren in Nordnorwegen
8 Bilder

Skifahren in Nordnorwegen

8 Bilder

"Das alles ist mein Büro", sagt Roar Nyheim. Dabei deutet er mit seinen Händen auf eine Landschaft, die von schneebedeckten Bergen, zugefrorenen Seen und kleinwüchsiger Tundravegetation geprägt ist. Nyheim gehört zur Minderheit der Samen und ist Rentierhirte. Erst vor fünf Jahren hatte er beschlossen, seine Arbeit in einer Fabrik aufzugeben und die Tradition seiner Vorfahren fortzusetzen. "Es war wie ein Befreiungsschlag. Nun bin ich mit ganzem Herzen bei meiner Familie und unseren Rentieren", sagt der 35-Jährige. Da im langen Winter weniger Arbeit anfällt, begleitet er dann Touristen bei Touren in die Wildnis.

Gabba (das Weiße), Sietnja (die helle Nase) und vier weitere Rentiere gehören zu seiner Schlittenmannschaft, die Touristen einen Eindruck von der menschenleeren Wunderwelt der nördlichen Tundra vermittelt. Die Sonne lässt sich vom 21. November bis 21. Januar überhaupt nicht blicken. Die zweistündige Schlittentour wird auch ohne gleißendes Licht zu einer Genussfahrt.

Die Tiere kennen den Weg

Beim Tanz der Schneeflocken und dem gleichmäßigen Tritt der Rentiere schaltet der Organismus automatisch einen Gang zurück. Gemütlich kann man sich auf dem Rentierfell des Schlittens ausbreiten. Lenken muss man die Tiere nicht, sie kennen ihren Weg.

Am Ziel warten schon 54 Hunde auf ein Abenteuer der etwas schnelleren Art. Die bereits eingebrochene Dunkelheit tut dem Bewegungsdrang der Huskymischlinge keinen Abbruch. Im Vierergespann jagen sie durch den im Licht der Stirnlampen glitzernden Neuschnee. Rasante Kurven und Abhänge lassen den Adrenalinspiegel auf den schmalen Wegen durch die Birkenwäldchen steigen und die Herzen der Freizeitmusher höherschlagen. Schneeflocken peitschen ins Gesicht. Nach weniger als 90 Minuten ist die knapp 20 Kilometer lange Tour schon wieder zu Ende.

Nach dem Abendessen in einem Lavvu, einem samischen Zelt, geht es wieder ruhiger zu. Die Gäste schrauben ihre Kameras auf Stative und warten auf die Nordlichter, die auch nicht lange auf sich warten lassen. Hier, inmitten der Dunkelheit der Tundra, weitab von jeglicher Lichtverunreinigung, sieht man den Himmel völlig anders als gewohnt.

Die Kuppel des Himmelszelts ist voller heller Sterne, im Fünfminutentakt ziehen Sternschnuppen in Richtung Erde, und oberhalb des Horizonts im Norden tanzen die grünen Polarlichter - mal als Wolke, mal als Vorhang über den Bergketten. Grazil und beeindruckender als jedes Feuerwerk. In warmen Overalls und dicken Stiefeln eingepackt verharren einige Gäste bis in die frühen Morgenstunden um Freien, ehe sie doch die Müdigkeit überkommt und in ihr Lavvu mit einem kleinen Kanonenofen und einer Koje mit Rentierfellen und Schlafsack treibt.

Der im 100 Kilometer entfernten Tromsø lebende Öystein Storslett hat sein eigenes Rezept gegen jeden Anflug von Tristesse in der dunklen Jahreszeit. "Du musst dich viel in freier Natur bewegen, dann bleiben Geist und Körper frisch", sagt er. Da die Umgebung von Tromsø ein Paradies für Skifreunde ist, bietet er traditionelle Bergskitouren an.

Fell unterm Ski

Die Bretter sind etwas breiter als Langlaufskier, und man klebt ein künstliches Fell auf die Laufsohle, um steile Anstiege ohne Rückrutscheffekt meistern zu können. "Schon als Schüler haben wir uns mit Freunden - und auch den ersten Freundinnen - eher zu einer Wochenendbergtour verabredet, als uns im Café zu treffen", erinnert er sich. "Hier draußen bleibt man nicht an der Oberfläche hängen, hier zeigt sich der Charakter des Menschen." Schon nach wenigen Kilometern außerhalb des Zentrums Tromsøs ist man inmitten einer abwechslungsreichen Berg- und Fjordwelt. Die Länge der Bergskitouren hängt lediglich von Kondition und Tagesverfassung ab.

In Tromsø laufen derweil die letzten Vorbereitungen für den 10. Polar-Halbmarathon. 915 Läufer aus 29 Nationen, darunter mehr als 20 deutsche Freizeitläufer, sind zu einer der spektakulärsten Laufveranstaltungen der Welt angetreten. Mit "Heja, Heja" lautstark von sportbegeisterten Zuschauern angefeuert, geht es von den Straßen der Stadt hinaus auf die von Fackellichtern gesäumte Strecke entlang des Fjordes.

Unter den Teilnehmern ist auch die Hamburgerin Ingrid Meyer-Schall. "Die Stimmung ist fantastisch, die Atmosphäre familiär, man trifft sich und feiert vor und nach dem Rennen gemeinsam, und die Natur ist einfach überwältigend", sagt die 72-Jährige. Auch im nächsten Jahr will sie wieder dabei sein. Zwei Stunden und 25 Minuten nach Beginn des Rennens beendet sie es als Siegerin in ihrer Altersklasse.

Es scheint ein besonderer Schlag von Menschen zu sein, den es immer wieder in den hohen Norden Europas zieht - gerade in der Zeit der Dunkelheit. Früher waren es die Robben-, Eisbären- und Polarfuchsjäger, die von hier aus in die Jagdgründe der Arktis vorstießen. Es folgten Polarforscher, wie Fridtjof Nansen und Roald Amundsen, auf Entdeckungsfahrten durch die Nord-Ost- und Nord-West-Passage sowie zu den Polen. Heute sind es Abenteurer und Aktivtouristen.

(dpa/anch)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort