Süße Sünden aus dem Kloster

Die Rezepte sind streng geheim, die Köstlichkeiten Kult - Puddingtörtchen und Kirschlikör machen Portugals melancholische Hauptstädter seit 180 Jahren glücklich.

Golden glänzt die schwere Messingglocke in ihrem verbogenen schmiedeeisernen Ständer. Bruna holt sie flink unter der Ladentheke hervor, geht einen Schritt vor die Tür und läutet, was das Zeug hält. "Dingdongdingdong", schallt es über den Platz Luís Camões, der nach dem portugiesischen Nationaldichter benannt ist. Sollen alle in der Umgebung wissen: Es ist wieder so weit.

Gerade wird ein Blech voll mit Pastéis de Nata aus dem Backofen geholt. Es duftet nach Karamell. Der handtellergroße Blätterteig ist knusprig braun, die Füllung fluffig cremig, kurz vor dem Genuss mit einer Prise Zimt und Puderzucker bestreut - so schmeckt Lissabons raffinierteste Verführung.

Im Stehen werden die warmen Törtchen mit einem Bica, dem portugiesischen Espresso, serviert. Zum Sitzen ist kein Platz in dem schmalen Laden "Manteigaria", der sich selbstbewusst Fabrik nennt. Eine Glaswand teilt den Raum. Dahinter rühren zwei Bäcker die Creme und kneten den Teig. Der wird von einer Frau sorgsam in die kleinen, runden Formen gedrückt. Diese Arbeitsaufteilung zwischen den Geschlechtern ist Tradition.

Erst vor ein paar Jahren wurde die "Manteigaria" im In-Viertel Bairro Alto eröffnet. An jeder Ecke Lissabons gibt es Pastéis de Nata. Hier aber sollen die besten aus dem Backofen kommen. Eine Jury kürt jedes Jahr den Champion der Törtchen, doch die "Manteigaria" beteiligt sich nicht an dem Wettbewerb. "Wir hören nur auf die Meinung unserer Kunden", sagt Miguel, der die Pastéis verkauft. "Wir arbeiten jeden Tag daran." Die Zahlen sprechen für sich: 4000 Törtchen wandern täglich über die kleine Ladentheke.

Die originalen Pastéis werden im Westen der Stadt in Belém gebacken. Gleich neben dem mächtigen Hieronymuskloster. In dem prachtvollen Bau fand der portugiesische Seefahrer und Entdecker Vasco da Gama seine letzte Ruhestätte. Er hatte den Grundstein dafür gelegt, dass einst von Lissabon aus die halbe Welt regiert wurde. Lang ist's her. Ein Hauch von Melancholie schwebt nun über der Stadt, als würde sie ihrer reichen und mächtigen Vergangenheit nachtrauern.

Süßes lindert den Seelenschmerz. Das wussten schon die Mönche. Sie sollen die cremigen Köstlichkeiten im Hieronymuskloster erfunden und das Rezept der benachbarten Zuckerraffinerie verkauft haben. Aus der wurde 1837 die Bäckerei von Belém. Dort ist alles riesig. In großen, verwinkelten Hallen, die Wände weiß-blau gefliest, werden die Gäste auf von Bändern markierten Wegen an die Tische mit den plastikbezogenen Stühlen geschleust. In der gläsernen Backstube entstehen jeden Tag 20.000 handgefertigte Törtchen. Die haben einen eigenen Namen, den kein anderer verwenden darf: Pastéis de Belém.

Die Zutaten kennen nur drei Menschen: Miguel Clarinha, der das Geheimnis bereits in sechster Generation hütet, und seine beiden Chefkonditoren. Versteckt hinter einer schweren Eisentür, auf der das Schild prangt "Oficina do Secredo", Geheimwerkstatt, wird das Rezept gemischt. Nur so viel will Clarinha verraten: "Sahne kommt keine hinein." Die Mischung sei aus Ei, Mehl, Zucker und Milch. "Die ganze Welt will es nachmachen", sagt Touristenführerin Maria do Carmo Botelho. Das sei wie bei Coca-Cola und Pepsi.

Darauf ein Schlückchen in Ehren. Wie die Pastéis, so gehört auch der Ginjinha, der süße Sauerkirschlikör, zum täglichen Leben in Lissabon. Auch hier hatte ein Kirchenmann seine Finger im Spiel. 1840 kreierten ein Kapuzinermönch und der aus Galizien stammende Kaufmann Francisco Espinheira einen Likör. Sauerkirschen werden mindestens zwei Monate lang in Brandy eingelegt und mit Zucker und Zimt versüßt. Das Original wird gleich neben der Kirche des Dominikanerklosters am Largo de São Domingos ausgeschenkt. Nur drei mal drei Meter misst der winzige Schankraum. Seit fünf Generationen ist er in Familienbesitz. "Mit oder ohne?", fragt José Paiva beim Eingießen in die Likörgläser. Wer mit Sauerkirsche ordert und ihren Kern in das Gitter zwischen den Pflastersteinen spuckt, kommt wieder, heißt es.

Lissabon hat seine älteste Ginjinha-Bar längst zum offiziellen Kulturgut erhoben und neben der Tür wie in einem Museum ein graues Metallschild mit der Geschichte des Likörs aufgestellt. Gegenüber an der Hauswand hängt ein historisches Werbeplakat, das alles sagt: "Es ist einfacher, mit einer Hand zehn Sterne zu greifen, die Sonne erkalten zu lassen oder die Welt zu zerstören, als einen Sauerkirschlikör mit dieser Qualität zu finden."

Die Redaktion wurde von Tourismo de Lisboa zu der Reise eingeladen.

(RP)
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