Marokko Trek ins Tal der Glücklichen

Verborgen hinter Bergen liegt das Ait Bougmez-Tal, mitten im hohen Atlasgebirge Marokkos. Eine Trekkingtour dorthin ist eine Reise in ein zeitloses Land mit sattgrünen Seen, roter Erde und Heiligen in Kornspeichern.

Die Hölle riecht wunderbar. Nach Wacholder und nach Rosmarin. Auch ein wenig nach Myrte, wenn der Wind die Sträucher schüttelt. Und nach Thymian, wenn man einen der Zweige von den Büschen zupft und ihn zwischen den Fingern zerreibt. Ein immergrüner Pflanzenteppich überzieht ihre Hänge und durch die Ebenen winden sich Flüsse wie silbrige Aale. Eigentlich wunderschön hier in der Hölle. Lahoucine lacht. "Die Berber sehen das halt anders", sagt er. "Der Alltag in so einer rauen Region ist hart und beschwerlich."

Lahoucine Taha ist Reiseführer aus Marrakesch, 42 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Ein drahtiger Mann mit freundlichem Lächeln, der sich vor Jahren in eine Schweizerin verliebt hat und sie trotz missbilligender Kommentare einiger Verwandter geheiratet hat. Taha ist hier aufgewachsen, im Ait Bougmez-Tal, mitten im marokkanischen Atlasgebirge. Und wenn er beizeiten mit einer Trekkinggruppe über die Berge in seine alte Heimat wandert und unterwegs einen seiner früheren Nachbarn trifft, schüttelt dieser bloß verständnislos den Kopf: "Was wollen die Leute hier, die wohnen doch im Paradies - warum reisen sie in die Hölle?"

Die Hölle ist gigantisch. Hat man erstmal ihre Hänge erklommen, breiten sich ihre Hügel wie ein Ozean aus roter Erde vor einem aus. Wolken jagen sich am Himmel und treiben ihre Schatten über die kargen Plateaus. Nur wenige Büsche krallen sich hier oben noch im Staub fest. Und abends, wenn sich die Winde von den Kuppen werfen und die Wärme des Tages vertreiben, verdunkeln sich die Berge im schwachen Licht, bis sich ihre Silhouetten wie schwarze Scherenschnitte auf dunkelblauem Himmelsgrund abzeichnen. Der Mond hängt tief über dem Zeltplatz, kugelrund und groß, ein dicker weißer Scheinwerfer, der hier heller zu strahlen scheint als anderswo, als wolle er die märchenhafte Kulisse angemessen ausleuchten.

Abendbrotzeit: Das Lager ist aufgeschlagen, die Zelte stehen, die Mulis sind versorgt - das Team kocht. Es gibt Couscous mit Gemüse, Marokkos Traditionsgericht, dazu frisch gebackenes Brot und Tee. Gegessen wird im Gemeinschaftszelt, im Kreis, auf Teppichen und Matratzen. Wie die Berber halt. Taha gießt Minztee in ein Glas. Er hält die Kanne dabei so hoch, dass der Tee im Glas kräftig aufschäumt. "So wird das bei uns seit jeher gemacht", erklärt er. "Und es hat sich hier nicht viel geändert, seit ich klein war."

Trekking ins Ait Bougmez-Tal ist eine Reise in ein zeitloses Land. Verborgen hinter den Bergen des hohen Atlas tut es sich ganz plötzlich vor einem auf, wenn man auf dem letzten Pass der Trekkingroute erschöpft den Rucksack von den Schultern wirft: ein sattgrüner See aus Feldern und Nussbäumen, an dessen Rand sich die Häuser drängeln wie Tiere an einer Wasserstelle. Seit Jahrhunderten versorgen sich die Bewohner des Tales fast komplett selbst, viele wohnen noch in den traditionellen strohgedeckten Lehmhäusern. Wenig hat sich am Leben der Menschen hier je geändert, es geht halt alles so seinen Gang, tagaus, tagein: Brot backen, Ziegen hüten, Feldarbeit. "Die Berber nennen es ,das glückliche Tal'", erzählt Taha. "Weil das Klima hier so gut ist, dass man zweimal im Jahr ernten kann." Als Junge habe auch er bei der Ernte helfen müssen und die Kornsäcke danach in den Agadir Sidi Moussa geschleppt.

Sidi Moussa ist eine runde Speicherburg auf einer Anhöhe mitten im Tal. Benannt ist sie nach einem heiligen Mann: dem Marabout Sidi Moussa, der in dem Speicher begraben ist. Bis heute wacht ein runzliger Alter von morgens bis abends in der Dunkelheit des fensterlosen Baus über seine Ruhestätte. Und wenn eine Touristin sich dazu überreden lässt, ihm die Hand zu geben, zieht er sie unvermittelt zu sich heran und küsst sie schmatzend auf die Wange. Dann lacht Taha laut auf. Reingefallen. Taha hält es nie lang in Marrakesch aus. Ein paar Wochen vielleicht, schon zieht es ihn zurück in den Atlas. Im Sommer, wenn er hier Urlaub mit seiner Familie macht, klettert er manchmal auf einen der Gipfel am Rand des Tales. Dort hockt er dann mit geschlossenen Augen hinter einem Felsbrocken und atmet. Eine Biene summt. Der Wind zerrt an einer Bergblume. Die Steine glitzern in der Sonne. Nichts ändert sich jemals hier oben. Es ist alles wie immer. Zeitlos. Es ist der Atlas. Es ist sein Paradies.

Die Redaktion wurde von dem Veranstalter Weltweitwandern zu der Reise eingeladen.

(RP)
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