Über den Dächern von Nizza

Auf Spurensuche an den Drehorten des berühmten Kino-Klassikers mit Cary Grant und Grace Kelly.

John Robie hätte es heute schwerer als damals. Inzwischen gibt es massive Riegel in Gold an den Zimmerfenstern und Überwachungskameras in den Korridoren. Aber wenn irgendjemand die Fenster des Hotels Carlton bei Nacht einen Spalt offen lässt, damit er das Meeresrauschen und die Autos unten auf der Croisette hören kann, flattern die Vorhänge noch genau so im Wind wie damals Mitte der 1950er Jahre vor der Film-Kamera. Wie damals, als erst nur ein Arm von draußen in die Zimmer griff, die Gardinen zur Seite strich und schließlich ein schwarzer Schatten im Mondlicht hereinsprang und Juwelen raubte.

Auch die niedrigen Metallgitter zwischen den kleinen Balkonen im sechsten Stock erinnern an den Filmklassiker. Allesamt leicht überwindbar für einen geübten Kletterer wie John Robie alias "die Katze" - der erfolgreichster Juwelendieb seiner Zeit an der französischen Riviera. Alfred Hitchcock hat ihn mit seiner Verfilmung von "To Catch a Thief", die in deutschen Kinos unter dem Titel "Über den Dächern von Nizza" lief, dazu gemacht.

"Hier? Bei uns in den Zimmern? Hier ist in all den Jahren seitdem nichts passiert. Keine spektakulären Diebstähle, kein Schaden für die Gäste. Das gab es nur im Film", erinnert sich Louis Menin, der 1946 als Etagenkellner im Room Service angefangen, diese Abteilung später geleitet und das Filmteam damals bedient hat. Heute ist er fast 90 Jahre alt und weiß es noch ganz genau: "Damals, im Frühsommer 1954, da wurde gestohlen - aber nur für die Kamera. Nur, weil Alfred Hitchcock es so wollte. Und am Ende war es ja gar nicht John Robie, gar nicht Cary Grant, obwohl die Leute im Kino das zunächst glauben sollten." Den Gentleman-Schauspieler Grant hat Menin als freundlichen Herren im Gedächtnis, als im "Carlton" direkt an der Croisette von Cannes der Streifen gedreht wurde.

Wie das damals bei Hitchcocks Dreharbeiten war? Das weiß Menin noch ziemlich genau. Viel Aufwand, die Kameras und Scheinwerfer, die vielen Leute. Erst haben sie in Zimmer 623 gedreht, dann unten am Strand vor dem Hotel, wo Cary Grant und Grace Kelly zu einem Ponton schwimmen mussten. Einen Monat lang, erinnert sich Menin, sei Hitchcock hier gewesen. Und was alle Bilder aus der Vergangenheit überlagert, ist dies: "Grace Kelly war sehr, sehr schön. Magnifique! Mehr noch als auf der Leinwand!"

Ob dieser Film auch Einfluss auf die Leidenschaft von Fabrice Le Roy genommen hat? Ein langgezogenes "Ouuii" ist die Antwort, während er den Zündschlüssel seines roten 1967er Mercedes 250 SL Pagoda umdreht. Denn Le Roy sammelt flotte Oldtimer - solche, die bei "To Catch a Thief" zu sehen waren. Typische Riviera-Autos. Wagen wie das Cabrio vom Typ Sunbeam Alpine Mark III, in dem Grace Kelly als Francie Stevens den vermeintlichen Juwelendieb John Robie alias Cary Grant im Rallye-Tempo über die Serpentinen der hochgelegenen Grand Corniche zwischen Nizza und Monaco chauffiert hat, um ihn schließlich in einer Kurve mit Blick auf das Meer und Monte Carlo zu küssen.

25 Auto-Klassiker hat er inzwischen in seiner Garage stehen und vermietet sie neuerdings. Sein Geschäft würde auch so funktionieren, aber im Sog dieses Filmes funktioniert es mehr als ein halbes Jahrhundert nach dessen Kinopremiere umso besser. Warum? "Weil diese Gegend Klasse hat. Weil meine Autos hierher passen. Weil hier 'To Catch a Thief' gedreht wurde. Weil man an der Riviera nicht schnell fahren kann, aber mit Stil."

Und wenn es zu Louis Menins aktiver Zeit und selbst in den Jahrzehnten danach tatsächlich keine Schmuckdiebstähle im Carlton gegeben haben mag, ausgerechnet 2013, im Jahr des 100. Hotel-Geburtstages, war es doch so weit. Der Täter musste dafür weder klettern können noch über mehr als drei Treppenstufen steigen. Katzenhafte Eleganz war nicht gefragt. Er marschierte ins Gebäude, wo in einem der Veranstaltungsräume gerade eine Juwelen-Ausstellung stattfand. Ohne einen Schuss abzugeben, räumte er in Windeseile die Vitrinen leer und entkam unerkannt mit einem Koffer voller Juwelen. Der Täter ist flüchtig, die Beute wird auf 103 Millionen Euro geschätzt. Filmreifer Stoff.

(RP)
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