Inselzeit ohne Auto Amrum — kleines Eiland mit Europas größtem Strand

Amrum · Weicher, feinsandiger Kniepsand, soweit das Auge reicht. Er macht Amrum zum Urlaubsparadies mit dem breitesten Sandstrand in Europa. Dieses besondere Attribut aber sei ergaunert, sagen augenzwinkernd böse Zungen.

Amrum – unendliche Weite auf kleinem Eiland
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Amrum – unendliche Weite auf kleinem Eiland

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Foto: Kai Quedens

Satt und dickbäuchig liegt sie in der Nordsee, die kleine Schwester Sylts, wie Amrum auch genannt wird. Jeden Zentimeter ihrer ruhigen und autofreien Insel beanspruchen die dort lebenden Friesen für sich und mögen gar nicht gerne hören, dass sie ihr Land von den Inselnachbarn stibitzen.

Tatsächlich ist es zwar so, dass das Sylter Eiland jährlich an Land verliert und Amrums Kniepsand immer breiter wird. Doch haben geologische Untersuchungen das Geheimnis um die wandernden Sandmassen gelüftet. Die einzigartige dynamische Kniepsandlandschaft wird hauptsächlich von Westen und Südwesten her angespült. Mit den Abbrüchen auf der nördlich gelegenen größeren Schwesterinsel kann das also nicht viel zu tun haben.

Dennoch hält sich diese Mär beharrlich und mag auch etwas mit der freundschaftlichen "Feindschaft" und Unterschiedlichkeit der beiden Inseln zu tun haben. Gerade so, wie sie auch zwischen Köln und Düsseldorf besteht. Dem ein oder anderen Reisenden, der in Dagebüll vom Festland aus auf die Fähre geht, sieht man an, wo er aussteigen wird. Die Sylter Badegäste gewanden sich ein bisschen mondäner. Amrum lockt dafür die Familien, Natur- und Freiheitsverbundenen.

Ruhe trotz Hochsaison

Einmal angeschwemmt auf den nur gut 20 Quadratkilometer Land, fällt der Stress wie von selbst von den Schultern. Denn wer sich vom südlichen Zipfel Wittdün lossagt und sich durch die ankommenden Massen hindurchwindet, um ins Inselinnere vorzustoßen, der spürt sie schnell, die Ruhe. Zu ruhig sei es, finden manche, die der Tourismus auf das Eiland zog und die dort schon einmal überwintert haben. Aber die als mürrisch verrufenen, doch warmherzigen Friesen schätzen auch die dunkle Jahreszeit. Sie wissen mit Herbst- und Winterstürmen umzugehen, zünden ein Kaminfeuer an, trinken sich vielleicht einen Korn und ein herbes Bier oder gern ein gutes Tässchen friesischen Tee und sind mal ganz unter sich.

Das ist man freilich in der Hochsaison kaum und dennoch findet jeder auf Amrum ein Plätzchen, an dem er nur mit sich selbst sein kann. Legt die Ebbe die feine Kniepsandbank frei, die übrigens genau genommen vor der Insel liegt und gar nicht zu ihr gehört, dann ist der Blick offen auf einen rund 1,5 Kilometer breiten und 15 Kilometer langen feinsandigen Strand. Vor dem Leuchtturmbau im Jahr 1875 strandeten viele Schiffe und Mannschaften auf den breiten Bänken. Unzertrennlich sind mit diesem Zipfel Land bis heute zahlreiche Strandräubergeschichten verbunden. Auf fette Beute bedacht, so heißt es, zündeten sie früher in der Nähe tückischer Sandbänke Feuer an, die die Kapitäne für Richtungsmarken hielten und in die Irre geführt landeten.

Lecker essen an der Steenodder Mole

Solchen Geschichten lässt sich heute im gemütlichen Restaurant Likedeeler nachspüren, das direkt an der Steenodder Mole liegt und seinen Namen von den Gefolgsleuten des berühmten Seeräuber Klaus Störtebecker leiht. Direkt am Rad- und Wanderweg gelegen, sitzt man drinnen wie draußen idyllisch, kann sich richtig wohlfühlen und in Ruhe inseltypisch speisen. Wer am richtigen Tag zur rechten Uhrzeit einen Tisch reserviert hat, der bekommt zuvor an der Mole frische Krabben zu akzeptablem Preis. Die schmecken selbstgepult als Mitternachtsmahl am Wasser oder auch auf der Terrasse der Ferienwohnung.

Nicht weit von Steenodde entfernt, liegt als einer der fünf kleinen Inselorte Nebel. Mit der undurchsichtigen Wettererscheinung hat der Name allerdings nichts zu tun. Er geht zurück auf die Bezeichnung "Neues Bohl", eine erste freie Ansiedlung um eine der beiden Inselkirchen. St. Clemens bildet auch heute noch den Ortsmittelpunkt. Ein Besuch in der kleinen Kirche lohnt sich besonders dann, wenn Gemeindesprecher Frank Hansen eine seiner rund anderthalbstündigen Führungen durch die Kirche und über den alten Seemannsfriedhof macht. Da gibt es so vieles zu erzählen, dass diese Rundgänge auch einmal doppelt so lange dauern können. Er ist auch nicht böse, wenn sich dann der ein oder andere davonschleicht.

Seemannsfriedhof — Ort der Geschichten

Für alle, die die Führung verpasst haben, lohnt sich der Besuch des Seemannfriedhofs auch ohne dies. Die alten Grabsteine sind zwar zum Teil schon sehr verwittert, geben aber mit noch lesbaren Texten ausführlich Zeugnis über die alte Seefahrerzeit, in der sich viele Seeleute und Kapitäne in Nebel zur Ruhe setzten. Die Namen zahlreicher Häuschen erinnern daran. Nach einem Rundgang durch den idyllischen Ort mit seinen puppigen Reetdachhäuschen ist eine Stippvisite im Friesencafé genau das richtige. Dort kann man hausgemachte Kuchen und vor allem die ortstypische Spezialität "Friesenwaffeln" mit Pflaumenmus und Sahne kosten. So gestärkt kann man locker aufs Rad steigen, denn es ist das Verkehrsmittel der Wahl. Schneller als auf zwei Rädern kommt man hier kaum von einem Ort zum nächsten. Es sei denn, der Wind kommt von vorn. Für diesen Fall kann man leicht auf den Inselbus zurückgreifen, der sich auf immer gleicher Route über das Stückchen Land schlängelt.

Bevor es nach erfüllten Tagen des Nichtstuns wieder auf die Fähre Richtung Dagebüll geht, empfiehlt es sich vom Leuchtturm einen atemberaubenden Rundblick zu genießen. Amrums Leuchtturm ist der höchste, begehbare an der Nordseeküste: 63 Meter über den Meeresspiegel und rot-weiß gestreift, wie es sich gehört. Mit 295 Stufen muss der Besucher es aufnehmen, bevor er einen traumhaften Rundblick zu den Halligen und Nachbarinseln Föhr und Sylt genießen kann. Romantikern sei eine Nachtführung dort empfohlen. Mit funkelnden Insellichtern im Herzen wird man dann allerdings nur schwermütig die Abreise antreten.

(wat)
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