Cocachimba Kuelap - das Machu Picchu des Nordens

95 Prozent der Peru-Besucher bereisen den Süden mit den Unesco-Welterbestätten Cusco, Machu Picchu und Nasca. Wesentlich ruhiger geht es im Norden zu, obwohl auch hier fantastische Schätze auf ihre Wiederentdeckung warten.

Im unwegsamen Norden Perus, dort wo die Zuflüsse des Amazonas 3000 Meter hohe Gebirgskämme mit tiefen Schluchten zerschneiden, wo unterschiedliche Vegetationszonen aufeinandertreffen und die Anden unüberwindlich scheinen, lebte vor 1000 Jahren die Volksgruppe der Wolkenmenschen (Chachapoya), deren Herkunft noch heute von Mystik umwoben ist. Groß und hellhäutig sollen sie gewesen sein. Abenteuerliche Hypothesen vermuteten in den Wolkenmenschen die Nachkommen von Wikingern, die über Grönland und Neufundland entlang der amerikanischen Küste bis ins Amazonasgebiet gelangten. Noch steckt die Erforschung ihrer Geschichte in den Kinderschuhen, doch die beeindruckenden Zeugnisse ihrer außergewöhnlichen Architektur ziehen mehr und mehr Menschen in ihren Bann.

Den aus Dunningen in Baden-Württemberg stammenden Andreas Haag verschlug es vor 15 Jahren als Entwicklungshelfer nach Chachapoyas, die Hauptstadt der Amazonas-Region im Norden Perus. Eines Tages nahm ihn ein Bekannter mit auf eine Tour, die er nicht vergessen sollte. "Von Chachapoyas ging es ins Utcubambatal bis Tingo", erinnert sich Andreas Haag heute. "Von dort galt es, noch über 1000 Höhenmeter zu überwinden, eine Trekkingtour von etwa fünf Stunden, wenn man gut zu Fuß ist."

Was Haag auf etwa 3000 HöhenMetern zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache: Eine 600 mal 110 Meter große festungsähnliche Anlage, umgeben von bis zu 19 Meter hohen und 1,5 Kilometer langen Steinwänden - von den Einheimischen Kuelap genannt.

Gemeinsam mit Haag geht es an einem sonnigen Morgen per Kleinbus auf einer inzwischen ausgebauten Schotterstraße in Richtung Kuelap. Terrassenförmige Mais- und Kartoffelfelder bedecken die steilen Berghänge der östlichen Kordilleren, manchmal sind Bohnen und Lúcuma-Früchte auszumachen. "Dem Berliner Archäologen Klaus Koschmieder zufolge waren es genau diese Pflanzen, die schon damals von den Chachapoyas angebaut wurden", bemerkt Haag während der Fahrt. Damals wie heute eine äußerst anstrengende Arbeit auf Handtuchfeldern, oft Stundenmärsche von den Siedlungen entfernt und tief in den Tälern gelegen. "Dennoch hatte die Wahl dieser schwer zugänglichen Region einen entscheidenden Vorteil", berichtet Haag.

"Von hier aus waren die unterschiedlichsten Vegetationszonen gut zu erreichen, die über das gesamte Jahr Nahrungsmittel bereitstellen konnten: tropische Täler, gemäßigte Zonen für Mais, Bohnen, Kürbis, Avocado und Obst sowie kühle Hochregionen für Kartoffeln. Im Osten erstrecken sich Feuchtgebiete, im Westen trockene Täler und bei einer Höhe von über 1000 Metern gibt es nahezu keine Krankheitserreger."

An einem Parkplatz mit einem kleinen Museum hat die Fahrt ein Ende. Von hier aus führt ein halbstündiger Fußweg, den man sich mit Hilfe eines Maultiers erleichtern kann, weiter bergauf, bis man auf eine gewaltige, fast 20 Meter hohe Mauer trifft, die jedem Festungsbauer zur Ehre gereichen würde. Anders als die Inka benutzten die Wolkenmenschen eine Art Mörtel, um die Steine aneinander zu binden. Parallel zur Mauer zieht sich der Wanderweg bis zu einem schmalen Eingang, dessen Treppenschlucht im oberen Teil so eng wird, dass ihn nur eine einzelne Person passieren kann. Zu Beginn und zum Ende der Regenzeit schien die Sonne durch diesen Haupteingang. Einige Hundert Meter weiter ein zweiter, ähnlicher Zugang, der heute als offizieller Besuchereingang dient.

Wenige Neugierige und Wissensdurstige sind außer einer Gruppe von Studenten auf den oberen Plattformen der Anlage anzutreffen, die von den Wolkenmenschen in Etappen vom 5. bis zum 15. Jahrhundert errichtet wurde. "Jährlich besuchen vielleicht 25 000 Leute die Anlage, in Machu Picchu wird diese Zahl innerhalb von zehn Tagen erreicht."

Ähnlich Machu Picchu am anderen Ende Perus liegt auch Kuelap auf einem langgezogenen Bergrücken, umfasste einst etwa 400 Gebäude und bot Platz für bis zu 3000 Bewohner. .Erst 1843 entdeckte man die Zitadelle wieder, und seit dem Jahr 2004 wird sie nach und nach wissenschaftlich erschlossen

Die heimische Natur hatte Jahrhunderte Zeit, um den bebauten Bergrücken zurückzuerobern. Hohe Bäume mit weit ausgestreckten Ästen voller Bromelien und wilden Orchideen bilden ein mystisches Ambiente, in dem die verteilt angeordneten kleinen Rundbautenruinen der Chachapoyas teilweise einen recht verlorenen Eindruck hinterlassen. Farne und Gebüsch machen den Zugang zu einzelnen Komplexen beschwerlich und man denkt unwillkürlich an Indiana-Jones. Am Wachturm La Atalaya im Norden erhält man einen ersten Eindruck von den Ausmaßen der Anlage.

"Der deutsche Anthropologe Peter Lerche, der seit 1983 in Chachapoyas lebt, fand bei seinen Erkundungen und Studien heraus, dass die Wolkenmenschen in Häuptlingstümern organisiert waren, die sich bei Gefahr von außen zusammenschlossen", klärt Haag auf. "Die Wissenschaftler vermuten zudem, dass Kuelap als Zeremonie- und Begräbnisstätte diente und die wichtigste erhaltene Kulturstätte der Chachapoya-Zivilisation darstellt."

Auf dem Weg in den südlichen Teil passiert man religiöse und administrative Bauten, Zeremonieplätze, Wohngebäude, in denen einst Eliten, Bauarbeiter, Handwerker und Bauern wohnten, sowie Speicher.

Architektonisch außergewöhnlich ist der Haupttempel El Tintero mit 13,5 Metern Durchmesser und etwa fünf Metern Höhe. Er hat die Form eines sich nach unten verjüngenden Kegels, in dessen flaschenförmiger Grube im Inneren man auf Samen, Tier- und Menschenknochen, Obsidian und Keramikgefäße stieß, was auf zeremonielle Zwecke hindeutet.

Vom El Castillo im Süden öffnet sich ein majestätischer Blick auf die von tiefen Tälern zerrissene Berglandschaft. Haag deutet in einem breiten Radius mit seiner Hand auf das nicht enden wollende Grün: "Dort warten überall noch viele verborgene Siedlungsreste der Chachapoyas auf ihre Wiederentdeckung. Aber angesichts klammer Forschungsbudgets wird die Natur noch Jahrzehnte ihr verhüllendes Tuch über die Geheimnisse der Wolkenmenschen decken."

Wenige Kilometer von Kuelap entfernt sind die Ruinen von Macro oder die Skulpturen von Karajia zu besichtigen, 30 Fahrminuten weiter ergießt sich der drittgrößte Wasserfall der Erde in Gocta in die Tiefe.

Die Redaktion wurde von dem Veranstalter Viventura zu der Reise eingeladen.

(RP)
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