Irlands Norden Wattebäusche am Bonsai-Fujiyama

Alles, was Irland ausmacht, bekommt man in Donegal gebündelt zu sehen: baumlose Bergregionen, die stark an die schottischen Highlands erinnern, gespenstische Hochmoore, trostloses Felsland und gigantische Klippen.

Ein Wattebausch wandert gemächlich mitten auf der Straße entlang. Ein paar andere folgen ihm. Plötzlich stoppt ein Windstoß die Formation. Pustet die Bäusche einmal kräftig durch und bläht sie auf zu luftigen weißen Kugeln. Gleich steigen sie empor wie Ballons - möchte man meinen. Doch sie rütteln und schütteln sich nur, dann geht es weiter im Trott. Dass ein Autofahrer vorbei möchte, aber auf der engen Straße nicht kann, interessiert den Chef-Wattebausch nicht die Bohne. Er hat alle Zeit der Welt. Schließlich lebt er in Donegal.

Irlands nördlichstes County ist eine Welt für sich. Es ist der westliche Nachbar von Nordirland und das größte Gaeltacht-Gebiet der Republik. Das heißt, es wird in erster Linie Irisch gesprochen. Der Tourist merkt das vor allem an den Straßenschildern. Aus Donegal wird Dún na nGall, das Hotel in Gweedore liegt plötzlich in Gaoth Dobhair, und auch das Besucherzentrum von Dunlewy findet er nicht auf Anhieb, denn es hat sich als Dún Lúiche getarnt. Doch der Ärger hält sich in Grenzen: Wann immer der Reisende jemanden fragt, nach Weg, Ort, Tankstelle oder Sehenswürdigkeit - ihm wird umgehend und freundlich geholfen. Oft freilich in einem Englisch, das keinen Deut besser klingt als Irisch.

Donegals Besonderheit Nummer zwei: die Metamorphose der Wattebäusche. Was sie am Leib tragen, ist allerfeinste Wolle. Diese ist dem irischen Klima perfekt angepasst und so "gestrickt", dass sie Wasser fast vollständig aus der Luft absorbieren kann, ohne sich feucht anzufühlen. Aus diesem fabelhaften Rohstoff nun wird Tweed in rauen Mengen gewebt; jener robuste Stoff, der einem Wind und Kälte wirkungsvoll vom Leibe hält, kaum knittert und nicht wirklich kaputt zu kriegen ist. Im Dunlewy Centre zeigt Seamus Gallagher nicht nur, dass seine uralten Webstühle tadellos funktionieren, er präsentiert auch Tweed-Decken, -Jacken, -Schlipse und -Anzüge, die noch immer so aussehen wie am ersten Tag - und der liegt bei manchem Exponat noch vor dem Zweiten Weltkrieg.

Andererseits: Was immer man von Irland landschaftlich erwartet, in Donegal bekommt man es gebündelt: sattgrüne Wiesenlandschaften mit unzähligen Schafen und baumlose Bergregionen, die stark an die schottischen Highlands erinnern; gespenstische Hochmoore und trostloses Felsland, das romantischen Gemütern Gruselschauer über die Rücken jagt; gigantische Klippen wie Slieve League, die sich mit ihren berühmten Geschwistern Cliffs of Moher oder Giant's Causeway um den Rang als irischer Platzhirsch streiten; den Atlantik, der zeitlos seine schaumigen Süppchen aus tiefblauem Wasser kocht. Nicht zuletzt goldfarbene Strände: Immerhin zwölf von ihnen dürfen sich der Blauen EU-Flagge rühmen, womit ihnen allerbeste Sand-und Wasserqualität bescheinigt wird.

Stolz sind sie hier auch auf ihren Bonsai-Fujiyama. Errigal Mountain heißt er und misst 752 Meter, für Donegal ist das einsame Spitze. Seine solitäre, konische Form und die hell gemaserten Flanken verleihen ihm tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem japanischen Original. In seinem Schlagschatten liegt Donegals größter Schatz: der Glenveagh National Park. Eine einsame Berg- und Moorlandschaft rund um den fjordgleichen Lough Beagh, unberührt von Menschenhand. Zentrum des Parks ist Glenveagh Castle, ein 1870 im normannischen Stil erbautes Schloss. Und wirklich umwerfend sind die Gärten drum herum, aus denen selbst Blumenmuffel geläutert auftauchen. Vor allem die Rhododendren mit ihren teils blumenkohlgroßen Blüten sind grandios, auch als Kontrast zur kargen Bergkulisse.

Was fürs Gemüt, gleich um die Ecke, ist Leo's Taverne in Crolly. Ein Pub mit nationalem Kultstatus. Nicht nur, weil der kürzlich im Alter von 90 Jahren verstorbene Leo Brennan als begnadeter Musiker und Geschichtenerzähler jedes Wochenende auf die Pauke haute; ohne ihn hätte es so berühmte irische Export-Artikel wie den Folkpop von Clannad oder den postmodernen gälischen Klangtapeten-Sound von Enya nie gegeben. Die simple Erklärung: Leo war der Vater von Clannad-Leadsängerin Maíre und ihrer noch berühmteren kleinen Schwester Eithne Ni Bhraonain, wie Enya richtig heißt. Einige ihrer goldenen, silbernen und Platin-Schallplatten sind in der Tábhairne Leo zu bewundern.

Mit einem kleinen Stück nationalem Erbe hat auch Glencolumbkille zu tun. Seinen Namen erhielt es vom Heiligen Columba, einem Donegaler Mönch, der sich im 6. Jahrhundert seinen meditativen Mittelpunkt an diesem damals besonders einsamen und unwirtlichen Platz suchte. Vermutlich hätte sich daran bis heute nicht viel geändert, wäre nicht fast anderthalb Jahrtausende später Father James McDyer auf die Idee gekommen, das Dorf zu neuem Leben zu erwecken. Zu diesem Zweck gründete er nicht nur eine Kooperative für Strick- und Webwaren, sondern 1967 auch das Folk Village Museum - und leitete damit eine bescheidene touristische Entwicklung ein.

(RP)
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