Couch-Surfing in Kabul Wo Katastrophentouristen Urlaub machen

Kabul · Urlaub in Afghanistan? Kaum ein Reisender wagt sich in das von Krieg und Terror erschütterte Land. Dabei sei die New Yorker Bronx gefährlicher als Kabul, sagt einer, der allen Warnungen zum Trotz als Tourist hinfuhr. Ist Katastrophentourismus ein neuer Trend?

Katastrophentouristen suchen düstere Orte
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Alexandre Hryszkiewicz hat schon Urlaub in Tschernobyl gemacht und auch in Nordkorea. In diesem Sommer reiste der 31-Jährige nach Afghanistan - als "Katastrophentourist", wie sich der IT-Spezialist aus Frankreich selbst nennt. Ob Schauplätze von Naturkatastrophen, Krieg oder Völkermord, Hryszkiewicz verbringt seine Ferien an Orten, die andere mit Tod, Zerstörung und unberechenbaren Gefahren gleichsetzen - und deshalb lieber meiden.

Mehr Menschlichkeit

"Ich mag schwierige Plätze, weil man dort mehr Menschlichkeit erlebt. Man sieht echte Menschen und eine andere Gesellschaft", erklärt Hryszkiewicz der Nachrichtenagentur dpa in Kabul. "Der Katastrophentourismus geht an Orte, die nicht touristisch sind, weil sie eine schwierige Geschichte haben", sagt er. "Was mich aber am meisten daran interessiert, ist das menschliche Überleben."

Ein breiter Trend ist der Katastrophentourismus in Afghanistan nicht. Seit Januar seien aber immerhin etwa 1400 Touristen in sichere Landesteile gereist, sagt Wais Ahmad, der für eine staatliche Tourismusstelle arbeitet. In den ersten Jahren nach der US-geführten Invasion 2001 besuchten pro Jahr Tausende Touristen Afghanistan. Heute seien es weniger, sagt ein Mitarbeiter eines privaten Reiseunternehmens. Diejenigen, die kämen, wollten oftmals historische Festungen und Paläste, Seen oder Moscheen besuchen.

Keine Couch in der Provinz Helmand

Einzelbeispiele wie das von Hryszkiewicz gibt es viele. Ein tschechischer Tourist wagte es kürzlich, als "Couch-Surfer" in das jahrelang von Krieg erschütterte Land zu reisen. In Kabul habe er eine Bleibe in einem Privathaus gefunden, sagte er der dpa. Seine Weiterreise Richtung Süden - nach Kandahar und in die Provinz Helmand - schlug jedoch fehl. Dort bot ihm niemand eine Couch an.

Oliver Heilwagens Motivation klingt weniger waghalsig. Auch der Kunst- und Kulturkritiker aus Berlin kam als Tourist nach Afghanistan. Doch hätten nicht Freunde von ihm dort gelebt, hätte er sich nie auf diese Reise begeben, gesteht Heilwagen. "Ich suche nicht nach Nervenkitzel und ich würde auch nie an anarchische Orte oder in No-go-Areas reisen", erzählt er der dpa am Flughafen von Kabul.

Die New Yorker Bronx ist gefährlicher als Kabul

"Du musst vorsichtig sein in Afghanistan. Aber eine Reise durch Afrika ist fordernder. Und die New Yorker Bronx ist gefährlicher als Kabul", sagt der Berliner. Er sei bereits in Südossetien, Bosnien, auf Madagaskar und im Kongo gewesen, denn er wolle Orte sehen, bevor die Globalisierung sie erfasse. "Ich suche normalerweise nach einer traditionellen, unberührten Infrastruktur, in der es nicht viele Touristen, Pensionen, Souvenirläden oder Lounge-Musik gibt."

Nicht jede Afghanistan-Reise nimmt ein gutes Ende

Afghanistan-Reisen nehmen nicht immer ein gutes Ende. Wegen der Rebellen gelten Teile des Landes als sehr gefährlich für Touristen. Von einem Paar aus Nordamerika - das öffentliche Transportmittel genutzt und bei Einheimischen in Dörfern übernachtet haben soll - fehlt seit Oktober jede Spur. Zuletzt wurde es in der Unruheprovinz Wardak gesehen. Immer wieder werden Ausländer ermordet oder entführt.

Der Franzose Hryszkiewicz wohnte während seines Aufenthalts in Kabul im Haus eines befreundeten europäischen Diplomaten. Er habe sich Sehenswürdigkeiten im Umland angeschaut, erzählt er. Darunter auch den beschaulichen Karga-See unweit der Hauptstadt. Erst später erfuhr er, dass der beliebte Picknickplatz am Wasser im vergangenen Jahr Ziel eines grausamen Taliban-Angriffs mit mehr als 30 Toten war. "Wir sehen Afghanistan als ein von Krieg zerrissenes Land, mit täglichen Selbstmordattentaten. Das ist nicht der Fall", sagt der Franzose. "Es ist vielleicht nicht sicher hier, aber der Alltag ist ganz anders als das, was uns die Medien zeigen."

Post in die Heimat

Von jedem Reiseort schickt Hryszkiewicz Postkarten an seine Freunde in Frankreich. "Als ich in Nordkorea war, wusste ich, dass sie die Zensur passieren müssen. Also habe ich mitgespielt und geschrieben, das Land blühe unter dem großen Führer. Die Karten gingen durch und kamen bei meinen Freunden an", sagt er.

"Ich habe gehört, dass die Post in Afghanistan die schlimmste der Welt ist. Mal schauen, ob meine Freunde Post von mir bekommen?" Zwei Monate später warteten sie noch auf die Urlaubsgrüße aus Afghanistan.

(dpa)
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