Homestories Anjas und Rainers Homestory: Stuhlasyl mit französischem Flair

Stuhlasyl, selbstgebaute Möbel und französischer Einfluss: Anja und Rainer zeigten uns ihre ungewöhnliche Wohnung, die gleichzeitig Showroom ist.

 Mit der 4ten Etage haben sich Anja und Rainer einen Traum erfüllt: es ist Wohnung und Showroom in einem.

Mit der 4ten Etage haben sich Anja und Rainer einen Traum erfüllt: es ist Wohnung und Showroom in einem.

Foto: Ronny Hendrichs

<p>Stuhlasyl, selbstgebaute Möbel und französischer Einfluss: Anja und Rainer zeigten uns ihre ungewöhnliche Wohnung, die gleichzeitig Showroom ist.

Die Idee hatte Anja schon lange. Eine Wohnung, in der die eigenen Designs und Möbel gleich ausprobiert werden können. Ob sie wirklich in eine Wohnumgebung passen und ob man sich mit ihnen wohlfühlt. Eine Art Showroom, in der man wohnt. Ein Versuchslabor für Designs, der Praxistest für die selbstgebauten Möbel. In dem die Menschen die Stühle und anderen Gegenstände nach einem gemütlichen Kaffee gleich mitnehmen können.

Mit der 4ten Etage haben sich Rainer und Anja diesen Traum verwirklicht. Zweimal im Monat laden sie ein, bieten einen geselligen Abend und bewirten potentielle Kunden. "Das Konzept funktioniert. Bei einem Kaffee schauen sich die Leute um und denken plötzlich: der Stuhl ist toll, den nehme ich mit. Und das können sie dann auch", erzählt Rainer. Das sei viel sinnlicher als in einem Möbelgeschäft die Waren auszusuchen und mitzunehmen. Neben Möbeln und Accessoires bietet die 4te Etage auch Wein- und Delikatessenverkostungen an. Wenn's schmeckt, kann ein Vorrat davon mit nach Hause genommen werden. An besonderen Tagen spielt sogar eine Jazzband neben dem Esstisch.

Wer glaubt, die Wohnung bestehe aus aneinandergereihten Ausstellungstücken, irrt. Die Räume sind sehr wohnlich eingerichtet, haben bis auf den ein oder anderen Extra-Stuhl eine reguläre Ausstattung. "Alle Einrichtungsgegenstände sind entweder von mir gebaut oder alt", sagt Anja. Ein großer Esstisch mit ineinander verschraubten Esche-Bohlen und Stahlträgern als Beinen dominiert den offenen Wohnraum. "Ursprünglich wollte ich eine ganze Tischplatte daraus machen, aber dann habe ich überlegt, dass wir ihn nie wieder aus der Wohnung herausbekommen", lächelt Anja.

Asyl für kranke und ausgesetzte Stühle

Um den Tisch herum versammeln sich die unterschiedlichsten Stühle. In ihrem Projekt "Stuhlasyl" nehmen Rainer und Anja kranke und ausgesetzte Stühle auf und schenken ihnen ein neues Leben. "Meist steht ein Stuhl eine Zeitlang an unserem Tisch, bevor ich genau weiß, wie er später aussehen soll", erzählt Anja. Dann werden sie gereinigt, bekommen einen neuen Anstrich oder werden mit verschiedenen Materialien ergänzt. Die derzeitigen Esszimmerstühle warten noch auf ihre Fertigstellung, denn das eigentliche Ensemble des Stuhlasyls befindet sich auf Reisen. "Unser Freund Joah Kraus macht Mode und hatte ein Fotoshooting mit den Stühlen. Nun stehen sie als Statisten in seinem Modegeschäft", sagt die gelernte Schlosserin und studierte Designerin.

Die 4te Etage befindet sich in einem alten Industriegebäude in Köln-Ehrenfeld. Die Wohnräume haben Rainer und Anja, die vor zwei Jahren eingezogen sind, sofort begeistert. "Nicht nur die Lage mit Wurfweite zu unserem Geschäft "Die dritte Haut" war praktisch. Der ungewöhnliche Schnitt und die liebevolle Renovierung der Böden und Wände hat uns begeistert. Und natürlich der weite Blick aus dem Fenster mitten in der Stadt", erzählt Anja. Das Bad und das Schlafzimmer sind mit geschwungenen angeordneten Glasbausteinen vom Wohnbereich getrennt. Die Lichter befinden sich in Metallschächten, die sich über die gesamte Decke der Wohnung ziehen. In der Küche hängen allerlei Küchenutensilien an diesen praktischen Befestigungen.

Die Küchenmöbel stammen aus Anjas Hand und werden durch einen kleinen Indoor-Garten ergänzt. Die Konstruktion entstand durch Zufall. Die beiden Kölner haben sich Möbel aus Frankreich liefern lassen, die auf einer alten Palette transportiert wurden. Die Palette gefiel Anja so gut, dass sie ihr einen ähnlichen Anstrich wie den restlichen Küchenmöbeln verpasste, sie auf Rollen aufbockte, mit Kieselsteinen befüllte und nun dort ihre Kräuter in den Pflanzsäcken von Bacsac zieht, die man auch bei Anja und Rainer kaufen kann. "Ich liebe es einfach, Dinge zu verändern", sagt sie.

Möbel werden zu Gestalten

Häufig erwachen Gegenstände unter Anjas Hand zum Leben. Denn viele ihrer Möbelstücke und Designs erhalten eine Gestalt und einen originellen Namen, wie die roten Klotzköppe, die die Küchenwand zieren. "Ich habe ein animistisches Weltbild und glaube, dass alles beseelt ist", sagt Anja. So schauen die Frühstücksbrettchen einen fragend an und die Hockleuchte kniet neben dem Esstisch. Das Glas hing lange in der Krefelder Stadtbibliothek und wurde mit Stahlbeinen ausgestattet.

Die Klotzköppe sind übrigens in der Farbe "Sonnenaufgang" gestrichen, während die Couch der Ton "Himbeereis" ziert. Gemeinsam mit der Firma Biofa hat Anja Farbtöne gemischt und ihnen Namen gegeben. Die Holz-Muster der naturbelassenen Wandfarben und Lacke wurden kurzerhand zu neuen Sitzmöbeln verarbeitet und ergänzen das "Stuhlasyl".

Französischer Einfluss

Beim Rundgang durch die Wohnung entdeckt der Besucher das ein oder andere Schätzchen. Ein Manner-Automat im Vintage-Stil ziert eine Wand und ist stilecht mit Manner-Päckchen gefüllt. Ein besonderes Schmuckstück hängt neben dem großen Fenster. Eine Michelinfigur, die durch LED-Lichter leuchtet. "Da hatten wir Glück. Diese Figuren kosten unbeschädigt bis zu 1000 Euro. Wir konnten für das Michelin-Männchen mit nur leichten Kratzern auf einem belgischen Flohmarkt einen guten Preis aushandeln", erzählt Rainer.

Regelmäßig besuchen die beiden Trödelmärkte in Belgien und Frankreich. "In Frankreich gibt es sogenannte Brocantes. Das ist eine Mischung aus Design-Flohmarkt, schlechtem Trödel und antiken Stücken. Dort macht es besonders viel Spaß nach verborgenen Klassikern und alten Schätzchen zu stöbern", sagt Anja.

Die beiden mögen das typisch Französische an Möbeln. "Die Franzosen haben sich noch etwas Eigenes bewahrt und halten zusammen. Sie sind einfach stolzer auf ihre Kultur als die Deutschen", sagt Rainer. In vielen französischen Städten gebe es zwar auch Straßen mit den Standard-Kleidungsketten, aber sobald man um die Ecke biege, befinde man sich in einer eigenen Welt. In ihren Augen sind die französischen Trödelmärkte spannender als die deutschen. "Vielleicht weil einem die Sachen ein wenig fremder sind", sagt Anja. Die bunten Teller auf dem großen Esstisch sind ebenfalls indirekt durch französischen Einfluss entstanden. Der Wettbewerb einer französischen Zeitschrift war der Anlass für Anja, sich die fröhlichen Muster auszudenken.

Die Teller sind nicht die einzigen Stücke, die nicht für den eigenen Hausgebrauch bestimmt waren. Der besondere Geschirrschrank ist ein Überbleibsel des Festivals für Design und Nachhaltigkeit "Ökorausch". "Ich habe den alten Kleiderschrank meiner Mutter zu einem Wohnobjekt umgebaut. Vom Solardach über runde Fenster bis hin zur Sitzecke am integrierten Kamin war alles vorhanden. Als der Ökorausch vorbei war, fand ich es schade, ihn wegzuwerfen", sagt Anja. So wurde der Schrank vom Wohnobjekt wieder zum Schrank, nun mit außergewöhnlichem Design.

Pures, widerspenstiges Design

Die Ideen für die Gestaltung der Wohnung und der Möbel kommen meist von allein. "Design ist unsere große Leidenschaft, dadurch geht man automatisch mit offenen Augen durch die Welt. Das kann die Einrichtung eines Ladens sein, die Wohnung von Freunden oder die Kulisse von Filmen, die Inspirationen liefern", sagt sie. Design muss für Anja etwas Ehrliches, Pures haben, vielleicht sogar Widerborstiges. Sie mag keine Camouflage, wenn man dem Gegenstand nicht ansieht, was er kann. Oder wenn sie das Gefühl hat, dass jemand sie mit seiner Wohnung beeindrucken will. In solchen Räumen fühle sie sich nicht wohl.

Das nächste Projekt mit ehrlichem Design für die Wohnung steht schon im Schlafzimmer bereit. Die große Badewanne soll durch einen rustikalen Waschtisch ergänzt werden. Der Schrank, der mit einem Gitterboden ausgestattet und hochgebockt werden soll, ist schon gekauft. Die alte Waschschüssel hat ein Loch für den Abfluss bekommen und auch die moderne, französische Armatur liegt daneben.

Die 4te Etage ist der verlängerte Arm von Rainers und Anjas Geschäft "Die Dritte Haut". Was einmal eine Art ökologischer Baumarkt war, soll künftig Ideenwerkstatt, Farbberatung, Design-Inspirationsquelle und Hilfe zur Selbsthilfe sein. Denn neben den behaglichen Abenden in Rainers und Anjas Wohnung gibt es in dem Laden Workshops, wie man Dinge selbst bauen oder nachbauen kann. Und wenn es doch zu schwer ist, nimmt man sich einfach ein schon fertiges Möbelstück aus der 4ten Etage mit nach Hause.

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