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Dinslaken Ein Kosmonaut im Fontane-Universum

Dinslaken · Der Dinslakener Autor Hans-Peter Fischer setzt seine Forschungen über den Roman "Irrungen, Wirrungen" fort. Sein neues Buch "Okuli, da kommen sie" ist im Verlag Königshausen & Neumann erschienen.

 So stellt sich Barbara Grimm "Die kleine Meerjungfrau" vor. Eine von acht Illustrationen aus dem Buch "Okuli, da kommen sie", erschienen im Verlag Königshausen & Neumann.

So stellt sich Barbara Grimm "Die kleine Meerjungfrau" vor. Eine von acht Illustrationen aus dem Buch "Okuli, da kommen sie", erschienen im Verlag Königshausen & Neumann.

Foto: Verlag Königshausen & Neumann

Theodor Fontane war ein Tüftler. Er liebte Codiertes, kluge Versteckspiele. Vieles von dem, was er geschrieben hat, ist nicht das, was es zu sein scheint. Es gibt immer ein Dahinter, eine Parallelität von Ereignissen, die sich dem oberflächlichen Leser kaum erschließt und auch den profunden Kenner seiner Werke in Erstaunen versetzt und ihm Rätsel aufgibt.

Hans-Peter Fischer löst diese Rätsel seit Jahren. Immer und immer wieder begibt er sich auf eine neue Expedition in die Welt des Theodor Fontane, um Überraschendes aufzustöbern und unter doppelten Böden Schätze zu entdecken. Sinn und Zweck der Übung ist zum einen die Freude, sich Dichter und Werk Stück um Stück anzunähern. Zum anderen ist es dem früheren Deutschlehrer am Otto-Hahn-Gymnasium ein Anliegen, der Literaturwissenschaft klar vor Augen zu führen, warum es sich lohnt, weniger oberflächlich durch das Fontane-Universum zu surfen, als dies für gewöhnlich getan wird. Der wache Blick, das ständige Hinterfragen von Gesagtem und Gemeintem vermag nicht nur Verständnis für die Schreibkunst des Dichters zu wecken, sondern echtes Interesse.

In bislang zwei Büchern hat Fischer "Durchs Camera Obscura-Glas" den Blick auf Fontanes 1888 erschienenen Roman "Irrungen, Wirrungen" gelenkt, um "überraschende Einblicke" zu gewinnen. In seinem soeben bei Königshausen & Neumann erschienen Buch "Okuli, da kommen sie" tut er es wieder. Er begibt sich in das Geflecht allseits bekannter Geschichten, misstraut aber dem Märchenton des Dichters. Warum? "Weil es im Roman keinen Satz gibt, der nicht der Doppelbödigkeit verdächtigt werden müsste", schreibt Fischer im Vorwort. "Was vergnüglich ist, birgt zugleich die Gefahr, dass einem beim Lesen so manch gewichtiger Hinweis entgeht."

Das lässt sich schon am Titel festmachen. "Okuli" ist der dritte Sonntag der Passionszeit. Und der galt bei den Jägern als der Tag, an dem sich die ersten Schnepfen auf den so genannten Schnepfenstrich begaben, also zum Balzflug aufbrachen (oder piepend durch den Bruchwald strichen), wo sie dann — damals war dies noch ohne Einschränkung erlaubt — über Kimme und Korn erlegt werden konnten. Bei Fontane ist der "Okuli"-Spruch die "hübsch versteckte Botschaft", so Fischer, dass gewisse Damen aus der Berliner Halbwelt (Schnepfen) eintreffen und einen geplanten Segeltörn des Liebespaares ins Wasser fallen lassen.

Hans-Peter Fischer will nicht belehren, er möchte beim Leser gewisse Sichtweisen verändern — oder besser: korrigieren. Zum Beispiel die Sicht auf das Erotische. "Die Fähigkeit zu erotischen Schilderungen wird seiner Feder mehr oder weniger abgesprochen", schreibt Fischer. Dass ausgerechnet ein Autor wie Fontane, der skandalöse Ehebruchgeschichten aufgriff, um daran gesellschaftlich Relevantes festzumachen, sich auf versteckte Anspielungen beschränken sollte, konnte Fischer nicht glauben. Er suchte und fand, stieß auf Zeichen, die auf eine intime Männerfreundschaft hindeuten, auf Phallussymbole und homoerotisches Geplauder zwischen der Hauptfigur Botho und einem polnischen Weiberhasser, die ihn schließlich zu der Überzeugung bringen: "Botho ist schwul." Dass auch Käthe dem eigenen Geschlecht zugetan ist, belegt er an anderer Stelle, wo sich Frau für Frau aufhübscht und dies nicht, um Männern zu gefallen.

Hans-Peter Fischer weiß, wie ungeheuerlich dies in den Ohren mancher Fontane-Kenner klingen mag. Abrücken tut er von seiner These nicht. Fontane habe gefunden, nicht erfunden. Er habe reale Skandale, die sich ereignet haben, dichterisch umgeformt. Diese Dichtung zu entschlüsseln, bereitet dem Autor Freude, sie amüsiert ihn auf höchstem Niveau. Wenngleich Fischer unumwunden zugibt: "Was ich schreibe, ist eine unglaubliche Frechheit. Aus einer schönen Liebesgeschichte mache ich eine Schwulen- und Lesbenstory."

Fischer macht noch mehr. Er geht der Frage nach, wie versteckt Fontane Grimms und Andersens Märchen adaptiert. Bezüge zum "Eisenhans" oder zu "Dornröschen", "Frau Holle" oder der "kleinen Meerjungfrau" seien oft bloß angedeutet und schweben im Raum. Aber wer wie Fischer "den goldenen Schlüssel" dazu findet, der versteht es auch, eine ganze Reihe tiefgreifender Analysen anzustellen. Dies geschieht niemals lehrmeisterhaft oder gar nüchtern. Fischers Buch ist von einer Leichtigkeit, wie sie in der Sekundärliteratur nur selten zu finden ist. Dazu tragen auch die von Barbara Grimm beigesteuerten Illustrationen bei — Märchenmotive in Schwarz-Weiß, die "Okuli" auf sehr charmante Weise adeln.

(RP)
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