Dinslaken Lichter für die Menschlichkeit

Dinslaken · Vor 73 Jahren verprügelten die Nazis in Dinslaken Juden, zertrümmerten ihre Geschäfte und brannten die Synagoge nieder. Am Mahnmal im Stadtpark gedachten Menschen am Donnerstag der Opfer der Pogromnacht.

 Jürgen Leipner entzündete mit den Pfarrern Armin von Eynern und Gerhard Greiner (von rechts) Kerzen für Menschen, die den Mut hatten, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Juden vor dem Tod zu retten.

Jürgen Leipner entzündete mit den Pfarrern Armin von Eynern und Gerhard Greiner (von rechts) Kerzen für Menschen, die den Mut hatten, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Juden vor dem Tod zu retten.

Foto: Angelika Barth

Glockengeläut im Novembernebel, stille Gebete, leise Musik — wenn sich die Menschen am jüdischen Mahnmal im Dinslakener Stadtpark versammeln, um der Ereignisse des 10. November 1938 zu gedenken, liegt stets eine besondere Trauer in der Luft. Die Erinnerung an die Nacht, in der Nazis auch in Dinslaken prügelnd und brandschatzend über jüdische Bürger herfielen, sie misshandelten, Wohnungen und Hausrat zerstörten, lassen Schüler, Lehrer, Vertreter von Politik und Verwaltung und Bürger still werden.

Überleben im Untergrund

Das war auch gestern wieder so. Der Arbeitskreis für christlich-jüdisches Gespräch hatte aber nicht nur eingeladen, um die schrecklichen Bilder der Pogromnacht ins Gedächtnis zurückzurufen. Neben der Mahnung, solche Verbrechen nie wieder zuzulassen, stand auch die klare Botschaft, dass jeder Einzelne etwas dafür tun kann, dass sich Geschichte nicht wiederholt.

Jürgen Leipner und Pfarrerin Kristina Wegmann beleuchteten das Schicksal von Marianne Strauß, einer jüdischen Frau aus Essen, der kurz vor ihrer Deportation die Flucht gelang. Sie überlebte im Untergrund, weil es Menschen gab, die den Mut hatten, sie zu verstecken und ihr zu essen zu geben. Mariannes Großvater Leopold Strauß, ein Rabbi und Rektor der jüdischen Schule in Dinslaken, rettete niemand. Er war Stadtratsmitglied, engagierte sich für die Wohlfahrt, war nach der Pensionierung 1927 zum Ehrendirektor der städtischen Berufsschule ernannt worden. In der Nacht auf den 10. November 1938 schlugen ihn die Nazis krankenhausreif. Seine Wohnung an der Duisburger Straße 100 verwüstete der braune Mob. Strauß starb sieben Monate später in Essen. Die Enkelin flüchtete nach dem Krieg nach England, heiratete und starb im Alter von 73 Jahren in Liverpool.

Dass bei der Gedenkstunde am Mahnmal Lichter entzündet werden, ist nichts Ungewöhnliches. Gestern brannten die Kerzen jedoch nicht für die Opfer. Sie brannten für die, die nicht weggesehen haben, die nicht zu Brandstiftern, Plünderern, Dieben und Lästerern wurden, die ihr eigenes Lebens riskiert haben, um Menschlichkeit zu üben und Menschen wie Marianne Strauß zu retten. Auf dass eine Frage, wie sie Pfarrer Armin von Eynern gestern in seinem Abschlussgebet mit Blick auf Millionen ermordeter Juden formulierte, nie wieder gestellt werden muss: "Herr, wie war das nur möglich?"

(RP)
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