Duisburg "Antisemitische Betonköpfe"

Duisburg · Der Veranstaltungssaal im Jüdischen Gemeindezentrum war beim traditionellen Neujahrsempfang gut gefüllt. Duisburger Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Religion, Honoratioren und Wissenschaftler feierten das Jahr 5772, das für alle Juden in der Welt offiziell am 28. September 2011 begonnen hat. Zum ersten Mal besuchte aus diesem Anlass der neue Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann, die Jüdische Gemeinde Duisburg, Mülheim, Oberhausen, die am Duisburger Innenhafen ihr Domizil hat.

Graumann, der in freier Rede elegant sprach, verband Freundliches mit Kritischem. Er heiterte die Zuhörer mit der Bemerkung auf, dass man den Jüdischen Kalender detailliert und kompliziert oder kurz und vereinfachend erklären könne: "Ich wähle den goldenen Mittelweg und erkläre ihn überhaupt nicht. Wir haben eben das Jahr 5772." Dann jedoch wurde er substanziell: Es gebe, nicht zuletzt durch die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, nun ein "neues plurales Judentum in Deutschland". Diesen neuen Schub müsse man nutzen. Die Juden in Deutschland verstünden sich immer mehr als Impulsgeber, nicht mehr als "Jüdisches Dauer-Mahnwesen". Das heiße aber nicht, dass man die Schoah vergessen und aktuelle antisemitische Anfeindungen ignorieren dürfe.

Grenze wird überschritten

Als Beispiel für Antisemitismus in Deutschland nannte Graumann die aktuelle Diskussion in Teilen der Linkspartei, "auch in Duisburg", womit er auf den Duisburger Kommunalpolitiker Hermann Dierkes anspielte. Graumann forderte die Linkspartei auf, sich von Parteiangehörigen zu trennen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Dabei werde die Grenze zwischen legitimer Kritik an der israelischen Politik und Israelfeindlichkeit überschritten. Graumann forderte die Linkspartei, "die nicht generell antisemitisch ist", auf, sich von ihren "Betonköpfen" zu trennen, die sich nicht scheuten, den Jargon der Nazis ("Kauft nicht bei Juden!") in abgewandelter Form zu übernehmen.

Antisemitische Tendenzen habe er, Graumann, aber auch in einem Pfarrerblatt der evangelischen Kirche lesen müssen. Er sei betroffen gewesen, dass sich gegen den entsprechenden Artikel zunächst so wenig Widerstand geregt habe.

Präses Nikolaus Schneider, der als Gastredner geladen war und der ein fast freundschaftliches Verhältnis zu Graumann pflegt, griff diesen Punkt auf. Er distanzierte sich deutlich von diesem Artikel, zeigte sich gleichfalls schockiert darüber, dass jemand mit fragwürdigen, ja falschen Argumentationsaufbauten das Existenzrecht des Staates Israel anzweifeln könne.

Der höchste Repräsentant der evangelischen Christen rief dazu auf, das jüdische Leben in Deutschland als Schatzkammer zu begreifen. Er sehe deutliche Fortschritte im christlich-jüdischen Dialog. Als eindringliches Wort der Versöhnung zitierte Nikolaus Schneider seine Vorgängerin Margot Käßmann, die bei einem ähnlichen Anlass wie dem Duisburger gesagt hatte: "Alles wird gut!"

(RP)
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