Serie 25 Jahre Krupp-Arbeitskampf Die ganze Welt bekundet ihre Solidarität

Duisburg · Während der Mahnwache an Tor 1 lag ein unscheinbares "Gästebuch" aus, das zu einem wichtigen Dokument der Zeitgeschichte wurde.

 Mahnwache im Mai 1988 an Tor 1. Ganz links im Bild ist das Zelt zu sehen, in dem das Solidaritätsbuch auslag.

Mahnwache im Mai 1988 an Tor 1. Ganz links im Bild ist das Zelt zu sehen, in dem das Solidaritätsbuch auslag.

Foto: Probst

Rheinhausen Es sieht recht unscheinbar aus. DIN-A4, karierte Seiten, abgegriffener roter Kunstlederumschlag. In aller Eile hat jemand mit Kugelschreiber "Gästebuch" auf das Cover geschrieben. Darunter klebt ein grasgrüner Aufkleber mit den Worten "Rheinhausen muß leben!"

 Manfred Bruckschen hat noch viele Erinnerungsstücke zu Hause. Das Mahnwachenbuch hat er lange unter Verschluss gehalten.

Manfred Bruckschen hat noch viele Erinnerungsstücke zu Hause. Das Mahnwachenbuch hat er lange unter Verschluss gehalten.

Foto: probst

Viele wollten es schon in die Finger bekommen. Gewerkschaftsvertreter, Unternehmer, Historiker, Politiker, Medienhäuser. Doch bislang wurde es unter Verschluss gehalten: das Solidaritätsbuch, das in jenem Zelt an Tor 1 auslag, in dem die 158 Tage andauernde Mahnwache gegen die Schließung des Rheinhauser Stahlwerks stattfand und in das sich Menschen aus der ganzen Welt, bekannt und unbekannt, eingetragen haben. Angelegt hat es Manfred Bruckschen, damaliger Betriebsratsvorsitzender der Krupp Stahl AG und einer der wichtigsten Protagonisten im Arbeitskampf, am 2. Dezember 1987; der letzte Eintrag stammt vom 15. April 1988. Wir durften gemeinsam mit dem heute74-Jährigen in dem Dokument der Zeitgeschichte blättern und staunen.

Staunen zunächst einmal über die weiten Entfernungen, die Männer, Frauen und Kinder zurückgelegt haben, um sich mit den Rheinhausern solidarisch zu zeigen. Aus ganz Deutschland, von München bis Hamburg, von Berlin bis zum Saarland, kamen sie. "Ihr seid die Hoffnungsträger vieler von Arbeitslosigkeit betroffener Männer und Frauen", schrieb beispielsweise ein Mann aus Köln.

"Solche Einträge haben uns natürlich enormen Mut gemacht", erinnert sich Manfred Bruckschen. Ein paar Seiten weiter wünschten 50 junge Beamte der Gewerkschaft der Polizei den Rheinhausern "Ausdauer, Kraft und Gelingen". Mehr als 30 Mitglieder der Fraueninitiative Hattingen, die mit der Henrichshütte bereits Ähnliches erlebt hatten, haben ebenfalls unterschrieben. Und Mitglieder der Frankfurter Societäts-Druckerei (FSD) schrieben: "Euer Kampf gilt für uns alle." "Die Menschen kamen mit Sonderzügen hier an", erinnert sich Bruckschen beim Durchblättern. "Auch viele Reisegruppen aus der DDR kamen hierher."

Aber nicht nur aus Deutschland – auch aus Finnland, der Türkei, Spanien, Belgien, Frankreich, Lothringen, den Niederlanden, Irland, ja sogar aus Kurdistan, Korea und Neuseeland waren Menschen angereist. Davon zeugen Namen und Einträge in vielen verschiedenen Sprachen. Da hat sich ein palästinensischer Journalist verewigt, wenige Seiten weiter ein koreanischer. Ein Mann aus Neuseeland schrieb: "Alles Gute für den Kampf. Gebt nicht auf." Ein Gewerkschaftsvorsitzender aus dem englischen Leeds wünschte "Success for your struggle". Und eine Gruppe sowjetischer Studenten aus Moldawien: "Wir sind solidarisch mit den Arbeitern Rheinhausens."

Staunen lassen auch die vielen bekannten Namen. So stammt der allererste Eintrag vom damaligen Oberbürgermeister Josef Krings: "Mich beeindruckt der Einsatz der Mahnwache." Auch NRW-Innenminister Herbert Schnoor trug sich ein. "In ihm hatten wir eine riesige Unterstützung", so Bruckschen. "In solidarischer Verbundenheit", schrieb Reinhard Bulitz als Bürgermeister und Erster Bevollmächtigter der IG Metall.

Überhaupt waren zahllose Vertreter von Parteien, Gewerkschaften und Betriebsräten vieler namhafter deutscher Unternehmen in Rheinhausen. Klaus Hänsch, der später Präsident des Europa-Parlaments wurde, schrieb: "Alle Unterstützung für Ihren Kampf um die Arbeitsplätze." Auch die Grünen-Bundestagsfraktion war mit diversen Mitgliedern angereist. Unterschrieben haben unter anderem Antje Vollmer, Christa Nickels und Eckhard Stratmann. "Wehrt euch, leistet Widerstand", ermutigten sie die Rheinhauser. Und Friedhelm Fahrtmann, damals Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, schrieb: "In Solidarität und Freundschaft."

Einige der Einträge sind kaum zu entziffern. "Irgendeiner muss doch von Götz George stammen", murmelt Bruckschen beim Durchblättern. "Der war so oft hier, der muss sich doch eingetragen haben." Ein Eintrag fast am Ende des Buches ist dagegen sehr gut zu lesen: der von Alice Schwarzer. Am 22. März 1988 schrieb sie in ihrer unverkennbaren Art: "Ich hoffe, ihr haltet durch und lasst euch nicht verarschen!"

(RP)
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