Duisburg Kein zweites Lichtenhagen

Duisburg · Die "unschönen Äußerungen" einiger Teilnehmer beim vergangenen politischen Abendgebet der evangelischen Friedenskirchengemeinde Rheinhausen haben Pfarrer Heiner Augustin aufgeschreckt.

Teilweise hätten ihn die fremdenfeindlichen Sprüche an die nationalsozialistische Vernichtungsideologie erinnert. "Wenn wir nichts tun", befürchtet Augustin, "könnte das in einer Katastrophe enden."

Stein des Anstoßes ist das hauptsächlich von rumänischen und bulgarischen Einwanderern bewohnte Hochhaus in Bergheim, das seit Beginn des Jahres immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Inzwischen ist die Wut der Anwohner so gewaltig, dass manche von einem "zweiten Lichtenhagen" sprechen. In dem Rostocker Stadtteil gab es im Sommer 1992 die schlimmsten ausländerfeindlichen Übergriffe der deutschen Nachkriegsgeschichte.

"Wir wollen die da weghaben"

Ähnliches will Pfarrer Augustin in Bergheim unbedingt verhindern. Montagabend gab es ein erstes informelles Treffen mit Bezirkspolitikern, Mitarbeitern des städtischen Referats für Integration und Betroffenen. Dabei hat man sich darauf verständigt, einen Runden Tisch einzurichten, bei dem die Bewohner des Hochhauses und Nachbarn zusammenkommen sollen, um Differenzen auszuräumen.

Ziel sei es auch, so Augustin, rechtsextremen Gruppen den Nährboden zu nehmen. Die NPD nutzt die Spannungen rund um das Hochhaus bereits, um gegen die Einwanderer Front zu machen. Tatsächlich droht die Stimmung im Duisburger Westen zu kippen. "Wir wollen die da weghaben, alles andere interessiert uns nicht mehr", sagt ein Anwohner. Andere erwägen umzuziehen, weil sie mit den Nerven am Ende sind.

Die Anschuldigungen gegen die unerwünschten Nachbarn aus Osteuropa wiegen schwer. Von chaotischen Zuständen ist die Rede: Man werde beschimpft und bespuckt, eine Frau sei vom Bürgersteig geschubst worden. Auch für Einbrüche im Umfeld seien die Osteuropäer verantwortlich. Mit ihnen zu sprechen sei sinnlos und erfolglos: "Diese Menschen kennen kein soziales Verhalten!"

Fäkalien vor dem Haus

Eine Betroffene (Name ist der Redaktion bekannt) kennt die Zustände im Hochhaus haargenau. Seit mehr als 18 Jahren lebt sie mit ihrem Ehemann in der in Verruf geratenen Wohnanlage. In zwei Wochen zieht das Paar aus. "Es ist grausam", klagt die Frau. Sie berichtet von Fäkalien in und vor dem Haus, von Bewohnern, die volle Windeln achtlos aus den Fenstern werfen, von aufgebrochenen Wohnungen und verdreckten Kellerräumen, von Unrat in Fluren und Ecken.

In der vergangenen Woche eskalierte die Situation vollends: Säckeweise türmte sich Müll auf der Straße, woraufhin Oberbürgermeister Sören Link nach Bergheim eilte, um sich vor Ort über die Situation zu informieren. Er könne die Frustration der Anwohner gut verstehen, ließ er anschließend ausrichten. Es sei ihm ein "persönliches Anliegen", dass sich die Situation für die Anwohner verbessert. Mit ihnen gesprochen hat er offensichtlich aber nicht. "Von uns hat niemand den Oberbürgermeister gesehen, er hätte doch mal schellen können", sagt eine Frau. Sie frage sich bereits, "warum ich den Link gewählt habe".

Brief unbeantwortet

Das Vertrauen in die Behörden und die Politik haben die Nachbarn weitgehend verloren. Der Einzige, der ihnen derzeit helfe, sei Bezirkspolitiker Karsten Vüllings (Bürgerlich-Liberale). Dessen Brief an OB Link ("Greifen Sie endlich mit allen Mitteln durch, vor allem gegen den Vermieter dieser Wohnungen!") blieb unbeantwortet.

Dazu erklärt eine Stadtsprecherin: "Wir gehen allen Beschwerden nach und jeder Bürger bekommt eine Antwort." Der Oberbürgermeister nehme das Thema "sehr ernst". An der Initiative der Friedenskirchengemeinde werde man sich intensiv beteiligen. Unterdessen wartet die CDU-Landtagsabgeordnete Petra Vogt noch immer auf eine Antwort auf ihre Kleine Anfrage zu der dortigen Situation.

(jco)
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