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Reportage Mit Absicht blind

Duisburg · Nach vier Stunden bekomme ich Panik. Einen halben Tag wollte ich mit zugeklebten Augen verbringen, aber nach einem Drittel der Zeit halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich stoße an, kann mich nicht orientieren, im Auto wird mir übel. Ich reiße mir die Pflaster vom Gesicht.

Heinz Schwarz kann sich nicht einfach die Pflaster von den Augen reißen. Der 63-jährige Duisburger ist vor acht Jahren erblindet – grüner Star. Er musste lernen, ohne Augenlicht zurecht zu kommen, wurde im Blindensport aktiv, machte Ausflüge mit dem Tandem und begann für die Werbeagentur AS Design & Promotion zu arbeiten. Gerne erzählt er von seinen Kabarettbesuchen oder dass er abends gemeinsam mit seiner Frau Hörbücher oder Filme genießt.

Das fehlende Augenlicht ist für ihn vor allem lästig. "Ärgerlich ist es, wenn man im Stress ist und weniger Konzentration aufbringen kann", erzählt er mir. "Da passiert es schon einmal, dass ich meine Tasse falsch herum auf den Kaffeeautomaten stelle und es erst merke, wenn der Kaffee schon längst übergelaufen ist."

Blindheit entschleunigt das Leben

Mein Besuch in der Welt der Blinden beginnt am Morgen. Ich koche mir einen Tee. Langsam taste ich nach Wasserkocher, Tasse und einem Teebeutel – welche Sorte ich mir ausgesucht habe, versuche ich durch Riechen herauszufinden. Vorsichtig fühle ich mit dem Zeigefinger, wie viel heißes Wasser ich mir eingeschenkt habe.

Blindheit entschleunigt das Leben. In meinem Fall liegt das auch daran, dass ich mich nur schwer in meiner eigenen Wohnung orientieren kann. Ich schätze die Abstände zwischen den Möbeln falsch ein; weiß nicht genau, welchen Pullover ich angezogen habe; kann nicht fernsehen oder im Internet surfen. Das Treppenhaus scheint eine unüberwindliche Hürde.

Auch für blinde Menschen wie Heinz Schwarz ist es manchmal schwer, sich zurecht zu finden. Ihm ist es deswegen wichtig, zu zeigen, dass er genau so aktiv ist wie andere. Beim Blindensport schleppt auch er die schweren Matten über eine Treppe aus der Sporthalle. Einmal, in der Sauna, habe ihn ein Fremder unvermittelt am Arm gepackt. "Das war sicherlich nett gemeint. Unangenehm war es trotzdem."

Schwarz will selbstständig sein und selbstständig entscheiden, ob er Hilfe braucht: "Das hat natürlich viel mit Stolz zu tun", gibt er zu. "Aber es reicht, wenn Menschen mir sagen, wie viele Stufen ich noch gehen muss, oder wo die Tür ist."

Sehen und das Körpergefühl

Wie unangenehm es ist, unvermittelt angefasst zu werden, erlebe auch ich. Langsam und bedächtig möchte ich das Treppenhaus herabsteigen. Ich will mir diesen Ort mit steilen Ecken und Kanten selbst mit den Füßen ertasten. Stattdessen wird mein Arm gepackt und ich werde über die Stufen geführt – etwas zu schnell, etwas zu unsanft. Ich stolpere und taumle, kein schönes Gefühl.

Wie viel das Sehen mit meinem Körpergefühl zu tun hat, erlebe ich beim Blindensport, zu dem mich Heinz Schwarz eingeladen hat. Während ich mich unsicher durch die Halle taste, spüre und höre ich, dass die anderen sicheren Schrittes durch die Halle laufen. "Am liebsten spielen wir zusammen Torball", erzählt Heinz Schwarz und drückt mir einen Gummiball in die Hand, in dessen Inneren Metall klappert.

Ich kann hören, wenn der Ball auf mich zu rollt. Auf einer Matte kniend muss ich abwechselnd als Torwart verhindern, dass der Ball meine Matte überquert, und durch kräftiges Rollen des Balls auf den Gegner selbst ein Tor erzielen.

In meiner Mannschaft spielt Horst Schilbach. Er ist 69 Jahre alt und war lange Zeit Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Er wirft sich regelrecht auf den Ball – das schließe ich zumindest aus dem Krach, den er dabei macht. Ich traue mich nicht, so viel Körpereinsatz zu zeigen. Da ist die Angst, die mich auch im Alltag schon begleitet hat, die Angst nicht zu sehen, was da vor mir ist. Jemanden ungewollt zu berühren, sich zu stoßen, unvermittelt ins Leere zu fassen – vor all dem fürchte ich mich.

Heinz Schwarz und Horst Schilbach kennen diese Bedenken beim Spiel nicht. "Da passiert nichts", sagt Schilbach. Während ich noch auf Knien nach dem klappernden Ball taste, ist er schon längst aufgestanden, hat den Ball aufgehoben und mir in die Hände gedrückt. Er spricht viel mit mir, dadurch orientiert er sich im Raum.

Beim Sport steht die Kommunikation an erster Stelle. Die Sprache dient als Orientierungshilfe, als Warnung vor Hindernissen und als Erklärung für die Übungen. Zum Aufwärmen machen wir gemeinsam Tae-Bo. "Rechts, rechts, links, rechts, links", ruft Trainer Peter Naczke. Wir sollen mit den Armen in die Luft boxen. Ich habe das Gefühl, dass ich kläglich versage, meine Reaktionszeit ist zu langsam. Gleichzeitig soll ich auf der Stelle laufen, aber ich kann mich nicht orientieren und habe das Gefühl mich ungewollt durch den Raum zu bewegen.

Horst Schilbach kommt besser zurecht. Er kennt Tricks. Im Treppenhaus zur Sporthalle schnippst er mit den Fingern. "Durch den Hall kann ich mich orientieren", erklärt er mir. Als ich versuche das nachzumachen, stolpere ich trotzdem über die erste Stufe und finde das Geländer nicht.

Sehen ist zu selbstverständlich

Als ich die Pflaster nach vier Stunden von den Augen nehme, blendet mich das Licht. Die Räume wirken größer und detailreicher als in meiner Vorstellung. Ich bin erschöpft. Und ich habe viel gelernt. Zum Beispiel, wie selbstverständlich das Sehen für mich ist. So selbstverständlich, dass ich es manchmal gar nicht mehr zu schätzen weiß.

(jco/top)
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