Duisburgs OB Adolf Sauerland im Interview Moralisch verantwortlich

Duisburg · Oberbürgermeister Adolf Sauerland bedauert, dass er nach der Loveparade-Katastrophe nicht immer die richtigen Worte gefunden hat. Die verbalen Angriffe auf ihn seien verletzend gewesen. Im Interview mit unserer Redaktion redet er über die zurückliegenden Monate.

 Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) blickt im Interview mit unserer Redaktion auf die vergangenen Monate zurück.

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) blickt im Interview mit unserer Redaktion auf die vergangenen Monate zurück.

Wie geht es Ihnen wenige Tage vor dem Jahrestag?

Sauerland Das unbeschreiblich schlimme Unglück wird mir niemals aus dem Gedächtnis gehen. Daran wird auch der Jahrestag oder die Zeit danach nichts ändern. Das ist doch selbstverständlich. Ich fühle mit den Angehörigen der Getöteten und mit den Verletzten, bei denen jetzt die Erinnerung an diese Katastrophe sicherlich noch stärker präsent ist als schon in der zurückliegenden Zeit.

Kränkt es Sie, wenn die Angehörigen Sie bei der Gedenkfeier am 24. Juli nicht dabei haben wollen?

Sauerland Ich weiß, dass es Hinterbliebene gibt, die eine Begegnung mit mir oder dem Veranstalter nicht wünschen. Sollten sie bis zur Gedenkfeier bei ihrer Haltung bleiben, werde ich dieses selbstverständlich respektieren.

Aber es muss doch für Sie beschämend sein, wenn Sie an diesem Tag nicht im Stadion sein können?

Sauerland Ich möchte darauf hinweisen, dass die Gedenkfeier in erster Linie den Opfern und ihren Familien gewidmet ist. Alles andere hat vor diesem Hintergrund zurückzustehen.

Wenn sie auf die zurückliegenden zwölf Monate zurückblicken...

Sauerland Es war für alle Beteiligten ein überaus schwieriges Jahr, auch für mich. Ohne das Geschehene zu vergessen, blicke ich jetzt nach vorne, und die Verwaltung tut es auch. Ich habe in den Tagen nach der Katastrophe mich sicherlich nicht so verhalten wie zu normalen Zeiten. Und ich habe auch nicht immer die richtigen Worte gefunden. Ich bedauere, dass ich nicht schon am Tag nach dem Unglück moralische Verantwortung übernommen habe. Aber ist das vor dem Hintergrund dieses Unglücks wirklich verwunderlich?Es mag der Eindruck entstanden sein, dass die Verwaltungsspitze in den ersten Tagen danach wie gelähmt war. Aus meiner Sicht stimmte das anfangs nur bedingt und trifft heute nicht mehr zu.

Sie stehen seit dem vorigen Jahr ständig im Zentrum der Kritik. Wie gehen sie damit um?

Sauerland Viele verbale Angriffe waren verletzend! Vor allem dann, wenn sie nach meiner Meinung ungerechtfertigt waren. Keiner kann sich wohl fühlen, wenn er alleiniger Prügelknabe bei dieser Tragödie ist. Wenn ich was sagte, war es falsch, wenn ich nichts sagte, ebenfalls. Schlimm für mich war und ist es noch immer, dass ich mich gegen diese Beschuldigungen und Vorhaltungen kaum wehren kann.

Aber Sie hätten doch durchaus die Chance, Ihre Meinung dazu zu sagen. Warum tun sie es nicht?

Sauerland Ich habe nach dem Unglück gesagt, dass ich mich bis zum Jahrestag zurückhalte. Daran habe ich mich gehalten. Ich habe mir vorgenommen, mir künftig nicht mehr jede Ungerechtigkeit gefallen zu lassen.

Sie haben sich in den zurückliegenden Monaten weniger als davor in der Öffentlichkeit gezeigt. Wollen sie Konfrontationen so aus dem Weg gehen?

Sauerland Wer behauptet das? Für die ersten Wochen nach dem Unglück mag das zutreffen. Aber danach habe ich meine Arbeit wie gewohnt aufgenommen. Meine Arbeit besteht aber nicht nur aus öffentlichen Terminen. Ich arbeite nicht mehr, aber auch nicht weniger als vorher. Ich habe allerdings weitgehend darauf verzichtet, bei geselligen Festen und fröhlichen Feiern dabei zu sein. Im Übrigen: Auch hier habe ich in den vergangenen Monaten erleben müssen, wie ich angegriffen werde. Nahm ich eine Einladung an, wurde ich in den Medien dafür gescholten, nahm ich sie nicht an, ebenfalls.

Aber kritisiert werden Sie doch nicht von den Medien, sondern allenfalls über die Medien von den Bürgern?

Sauerland Das stimmt doch gar nicht. Natürlich gibt es Duisburger, die mich los werden wollen und aufs Heftigste kritisieren – oder sogar mit Ketchup bespritzen. Aber diejenigen, die völlig anders denken und reden, von denen spricht kaum einer.

Aber in diesen Tagen werden doch offenbar mit Erfolg Stimmen für ein Abwahlverfahren gesammelt.

Sauerland Das nehme ich zur Kenntnis. Das ist das demokratische Recht derjenigen, die die Unterschriften sammeln beziehungsweise die für meine Abwahl unterschreiben. Die Landesregierung hat das mit einer Gesetzesänderung möglich gemacht. Mehr ist zu diesem Thema nicht zu sagen.

Sehen Sie denn dem Ausgang des Verfahrens gelassen entgegen?

Sauerland Ich stehe dem Verfahren neutral gegenüber. Ich habe das Ergebnis zu respektieren.

Haben Sie selber in den vergangenen zwölf Monaten einen Rücktritt mal in Erwägung gezogen?

Sauerland Wie das Unglück und die Zeit danach auf mich gewirkt haben, was ich in diesen Wochen und Monaten gedacht oder gefühlt, welche Sorgen und Ängste ich hatte – das wissen neben mir noch meine Familie und einige meiner besten Freunden. Aber auch nur die.

Sie stehen mit Angehörigen der Loveparade-Opfer im Kontakt. Worüber reden Sie mir Ihnen?

Sauerland Wir haben vereinbart, dass keiner der beiden Seiten über die Inhalte der Treffen öffentlich ein Wort verliert. Daran halte ich mich. Nur eines kann ich dazu sagen: Es gibt nicht d i e eine Stimme und auch nicht d e n einen Wunsch der Angehörigen. Wie sie trauern, wie sie mit ihrer Trauer umgehen, was sie bewegt und beschäftigt – das ist sehr individuell und kein Thema für die Öffentlichkeit. Ich stehe nach wie vor allen Hinterbliebenen für Gespräche zur Verfügung. Dieses habe ich in den vergangenen Monaten immer wieder auf den unterschiedlichsten Wegen angeboten.

(csi)
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