Duisburg Wintermärchen trifft Sommermärchen

Duisburg · Im Ruhrorter Gemeindehaus startete Lutz Görner mit Heines "Wintermärchen" seine Abschiedstournee als Rezitator.

 Ein Feuerwerk großer Sprechkunst und Bühnenpräsenz: Lutz Görner bei seinem Gastspiel in Ruhrort.

Ein Feuerwerk großer Sprechkunst und Bühnenpräsenz: Lutz Görner bei seinem Gastspiel in Ruhrort.

Foto: andreas probst

In Ruhrort wird häufig und gerne von der Fortsetzung des Sommermärchens geschwärmt, wenn über die nachhaltige Belebung des Hafenstadtteils im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 gesprochen wird. Zum Auftakt der Literaturreihe "Lutz Görner - Das Festival" war nun ein echtes Wintermärchen in Ruhrort zu bestaunen. Denn in dieser Woche startete Deutschlands wohl bekanntester und beliebtester Rezitator anlässlich seines 50-jährigen Bühnenjubiläums ein viertägiges Duisburg-Gastspiel mit dem satirischen Versepos "Heine: Deutschland - Ein Wintermärchen". Seit August vergangenen Jahres ist er mit diesem Programm auf Deutschland-Tournee.

Im gut gefüllten Gemeindehaus Ruhrort kommt Görner gleich zur Sache, ohne auf das Vorwort Heinrich Heines vom 17. September 1844 einzugehen, wo dieser nämlich schreibt: "Das 'Wintermärchen' bildet den Schluß der 'Neuen Gedichte', die in diesem Augenblick bei Hoffmann und Campe erscheinen. Um den Eindruck veranstalten zu können, mußte mein Verleger das Gedicht den überwachenden Behörden zu besonderer Sorgfalt überliefern, und neue Varianten und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren Kritik."

Natürlich ist diese Textpassage eine Steilvorlage für den intellektuell und politisch regen Kopf Görner, der manch tagespolitische Aktualität – Heine unterbrechend – in sein Programm gerne und geschickt einfügt, darunter den fast zeitgleichen CDU-Parteitag oder das derzeit heftig umstrittene und diskutierte NPD-Verbot. Doch Görner liebt es eher hinter- als vordergründig und beginnt seine Rezitation mit dem Kapitel 1. Dort heißt es: "Im traurigen Monat November war's, die Tage wurden trüber. Der Wind riß von den Bäumen das Laub, da reist ich nach Deutschland hinüber." – Und so ist er mittendrin auf Heines Reisespuren von Paris über Aachen, Köln, Hagen, Unna, Paderborn und Minden nach Hamburg hin zur geliebten Mutter, zum reichen Onkel Salomon und zum Verleger Julius Campe.

Was folgt, ist ein Feuerwerk großer Sprechkunst und Bühnenpräsenz nach allen Regeln des Theaters. Görner grunzt, schnaubt und piepst, wenn der Heine-Vortrag dies erfordert. Er zieht alle Register der Schauspielermimik und -gestik, wenn er Rollen-Verwandlungen gleichermaßen wie epische Verfremdungen erzielen möchte. Er arbeitet mit Kopf- und Bruststimme und tiefer Bauchatmung, wenn er seiner Aussprache Kraft verleihen will. Seine Rezitation ist kein Vortrag, er bringt stattdessen die agierenden Figuren im Heine-Text zum Sprechen und haucht ihnen damit Leben ein. So ist der Abend mehr denn nur Literatur. Dieses Wintermärchen ist ein Szenenspiel höchster theatralischer Güte und passte damit hervorragend zur sogenannten "Sommermärchen-Philosophie" der Ruhrorter. Als geforderte Zugabe und "i-Tüpfelchen" des Abends zugleich zelebrierte Görner das Heine-Gedicht "Die Launen der Verliebten", sehr zur Freude und zum Spaß des Publikums.

Mit diesem Programm beendet Görner seine erfolgreiche Laufbahn als Rezitator. Von nun an will sich der fast 68-Jährige ganz den Komponisten des 19. Jahrhunderts widmen, allen voran Franz Liszt, den er für "genial" hält und der nicht nur in seinen Augen kompositorisch einzigartig war, sondern sich in seiner Biografie sehr literarisch und wortreich über seine musikalischen Zeitgenossen, wie Chopin, Smetana, Schubert, Beethoven oder Tschaikowski ausgelassen hat.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort