Emmerich Betuwe: Das schlechte Gewissen

Emmerich · Einige Lokalpolitiker im Emmericher Stadtrat beschleicht in diesen Tagen ein mulmiges Gefühl: War es falsch, vor 20 Jahren eine Trasse um Emmerich herum abzulehnen?

 Das Bild ist 20 Jahre alt. RP-Chefredakteur Dr. Joachim Sobotta leitet eine Podiumsdiskussion zur Betuwe. Das Thema kochte damals hoch, die Empörung der Menschen war so groß. 1000 Menschen kamen zum Kapaunenberg.

Das Bild ist 20 Jahre alt. RP-Chefredakteur Dr. Joachim Sobotta leitet eine Podiumsdiskussion zur Betuwe. Das Thema kochte damals hoch, die Empörung der Menschen war so groß. 1000 Menschen kamen zum Kapaunenberg.

Foto: Endermann

300 Seiten umfasst die Stellungnahme der Stadt Emmerich zu den Betuwe-Plänen für den Abschnitt Praest/Vrasselt. Auf über 90 Seiten listet die Stadt dabei auch Mängel und Gefahren auf — nachzulesen für jeden Politiker.

 Christian Beckschaefer (BGE) lehnt als Einziger im Rat den Forderungskatalog der Stadt an die Bahn ab. Aus Prinzip: "Wir hätten vor 20 Jahren die Umfahrung fordern sollen!"

Christian Beckschaefer (BGE) lehnt als Einziger im Rat den Forderungskatalog der Stadt an die Bahn ab. Aus Prinzip: "Wir hätten vor 20 Jahren die Umfahrung fordern sollen!"

Foto: Stade, Klaus-Dieter

Natürlich sind die Emmericher mit dem Thema bestens vertraut. Aber die Stellungnahme der Stadt ist sachlich, umfangreich und wird von allen für ihre Qualität gelobt. Vielleicht weil sie sich wie ein Horrorroman liest. Geschrieben nur in nüchternem Beamtendeutsch.

 Wolfgang Urbach (FDP): "Nachdem ich die Stellungnahme der Stadt gelesen habe, bekam ich das Gefühl: Wir haben vor 20 Jahren die falsche Sache beschlossen."

Wolfgang Urbach (FDP): "Nachdem ich die Stellungnahme der Stadt gelesen habe, bekam ich das Gefühl: Wir haben vor 20 Jahren die falsche Sache beschlossen."

Foto: van Offern, Markus

So ist es zu erklären, dass bei den jüngsten Beratungen zum Thema zuerst die BGE und dann auch die FDP der Meinung waren: Es war falsch, dass vor 20 Jahren der Rat eine Trasse an der Autobahn entlang und damit um die Stadt Emmerich herum, abgelehnt hat. Das sperrige Wort für dieses Modell hieß damals "Umfahrung". Von Elten kommend sollte ein neues Gleis vor Emmerich in Richtung A 3 abbiegen und hinter Emmerich dann wieder auf die vorhandene Trasse zurückführen.

Drohte Krebber mit Rücktritt ?

Die BGE setzte sich damals stark für diese Idee ein. Doch eine Mehrheit fand sich damals nicht. Zeitzeugen berichten, dass damals CDU-Bürgermeister Dr. Klaus Krebber sogar mit seinem Rücktritt drohte für den Fall, dass die CDU sich darauf eingelassen hätte. Denn mit dem neuen Gleis wäre auch eine Auslagerung des Bahnhofs an die Autobahn verbunden gewesen. Und das sollte verhindert werden. "Ein Bahnhof gehört in die Stadtmitte", lautete damals das Argument.

Die größte Sorge galt damals allerdings schon dem Lärmschutz. Für diesen muss die Bahn nämlich erst dann sorgen, wenn ein neues Gleis gebaut wird. Ansonsten kann sie so viele Züge auf bestehende Schienen setzen und den Lärm erhöhen, wie sie das für richtig hält. "Deshalb", so die Mehrheit im Rat damals, "muss das dritte Gleis neben die bestehenden zwei Gleise gelegt werden." Bürgermeister Johannes Diks hielt den Zweiflern vor einigen Tagen entgegen: "Hätten wir das dritte Gleis um die Stadt herumgelegt, hätten wir entlang der Häuser keinen Lärmschutz bekommen."

Die Bahn hätte stattdessen, so Diks weiter, die Güterzüge durch die Stadt rollen lassen können und nicht auf dem neuen Gleis. Wobei bislang noch niemand nachgefragt hat, ob das Eisenbahn-Bundesamt die Bahn nicht vielleicht dazu hätte zwingen können, den Güterverkehr ausschließlich auf die stadtfernen Schienen zu schicken.

Es gab damals aber noch ein drittes, beinahe nicht zu schlagendes Argument gegen die Umfahrung: der Naturschutz. Das dritte Gleis an der Autobahn entlang hätte das Naturschutzgebiet Hetter berührt, vielleicht hätten sogar Teile der Landschaft dem Vorhaben geopfert werden müssen.

Ein Stück geschützte Natur einem kaufmännischen Vorhaben der Bahn zu opfern, war damals allerdings politisch nicht durchsetzbar. Heute vermutlich immer noch nicht.

(RP/jco)
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