Rees "Man stolpert mit dem Herzen"

Rees · An der Dellstraße 2 lebten Menschen, die umgebracht wurden. Weil andere Menschen glaubten, sie seien Deutsche und dürften das. Seit gestern erinnern in Rees "Stolpersteine" an sie. Zum Beispiel an Erna Müller und Else Bär.

Ja, die Erinnerung tue noch immer weh. "Meine ganze Kindheit hat man mir genommen." Leni Elbaum ist in Gelsenkirchen geboren. Sie war sieben, da zog die Familie zum Großvater Salomon Bernhard nach Rees, die Großmutter Karoline war gestorben, als sie drei Jahre alt war.

Die kleine Leni besuchte die evangelische Volksschule. Doch dann war ihre Kindheit zuende: 1933 wurde die Familie nach Polen vertrieben, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nach Russland, seit 1957 wohnt sie in Israel. Ihr Großvater wurde Opfer des NS-Regimes. Trotzdem bezeichnet die 86-Jährige Rees als ihre Heimat.

Am Montag besuchte sie gemeinsam mit ihrer Tochter Frieda Josem, ihrer Nichte Adelgunde Glücks und deren Sohn Achim die Rheinstadt, aus einem ganz besonderen Grund: In Gedenken und zur Erinnerung an die Opfer des Terrorregimes wurden in Rees, Haldern und Millingen insgesamt 35 Stolpersteine verlegt. Viele Menschen, darunter Zeitzeugen und Vertreter der Stadt, begleiteten die Verlegung der Gedenksteine, die der Künstler Gunter Demnig gefertigt hatte und auch persönlich einsetzte.

Die Idee sei 1993 entstanden, so der Künstler und seitdem wurden über 22 000 solcher Stolpersteine verlegt. Rees ist der 514. Ort in Deutschland. Die etwa zehn mal zehn Zentimeter großen Steine, auf deren Oberseite sich eine individuell beschriftete Messingplatte befindet, werden ins Pflaster der Gehwege vor dem letzten selbst gewählten Wohnort des Opfers eingesetzt. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", so Demnig. Mit den Steinen werden die Opfer, in den Konzentrationslagern nur als Nummer behandelt, aus der anonymen Masse herausgeholt.

Die Initiative zu den Stolpersteinen in Rees kam vom Verkehrs- und Verschönerungsverein und vom Geschichtsverein "Ressa". Bernd Schäfer hatte gemeinsam mit einigen Helfern die Namen und Wohnorte recherchiert.

Bei einer Feierstunde sagte Rolf Albring vom VVV: "Diese Aktion erfüllt mich mit Trauer, weil Menschen umgebracht wurden, aber auch mit Freude, weil durch die Steine dem Vergessen Einhalt geboten wird." Das Bücken, wenn man die Inschrift liest, sei eine symbolische Verbeugung. "Es ist unverzichtbar, die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten", so Bürgermeister Christoph Gerwers. Viele Menschen schauten zu, als die ersten zwei Stolpersteine vor der Dellstraße 2 für die Wolff-Schwestern Erna Müller und Else Bär eingesetzt wurden.

Demnig erzählte, was ein Jugendlicher über die Steine sagte: "Man fällt nicht hin, aber man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen."

(RP)
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