Hippie-Kommune in Kamp-Lintfort Neue Pädophilie-Vorwürfe gegen Grüne

Kamp-Lintfort · In den 80er Jahren soll es in einer Hippie-Kommune in Kamp-Lintfort zu sexuellem Missbrauch von Kindern gekommen sein. Zwei Zeugen belasten insbesondere ein inzwischen verstorbenes Vorstandsmitglied der NRW-Grünen. Der Landesverband will die Vorwürfe aufarbeiten.

 Das undatierte Foto zeigt Mitglieder der Emmaus-Gemeinschaft bei der Vorbereitung eines Lagerfeuers vor dem ehemaligen Landschulheim auf dem Dachsberg in Kamp-Lintfort.

Das undatierte Foto zeigt Mitglieder der Emmaus-Gemeinschaft bei der Vorbereitung eines Lagerfeuers vor dem ehemaligen Landschulheim auf dem Dachsberg in Kamp-Lintfort.

Foto: Privat, erstmals erschienen in der "Welt am Sonntag"

In einem ehemaligen Landschulheim im niederrheinischen Kamp-Lintfort, nur wenige Meter von einem idyllischen Waldfriedhof entfernt, sollen sich in den 80er Jahren erschreckende Szenen abgespielt haben: Erwachsene Bewohner einer am Dachsberg beheimateten Hippie-Kommune sollen sich unter dem Vorwand der "freien Liebe" an mehreren Kindern vergangen haben.

Eines der Opfer hat nun in der "Welt am Sonntag" schwere Vorwürfe unter anderem gegen den damaligen Vorsitzenden der als Verein organisierten Kommune (Emmaus-Gemeinschaft) erhoben. Pikant daran: Der inzwischen Verstorbene hatte ab 1980 dem NRW-Landesvorstand der Grünen angehört. Der Pädophilie-Skandal aus den Anfangstagen der Grünen, der seit mehreren Wochen die Partei belastet, erhält damit neue Nahrung.

Laut den Schilderungen des heute 46-jährigen Opfers hatte der damalige Vereinsvorsitzende mit den Übergriffen begonnen, als der Junge zwölf oder 13 Jahre alt gewesen sei. Dabei sei es um Selbstbefriedigung, Oralverkehr und Petting gegangen, zum Geschlechtsverkehr sei es nicht gekommen.

"Er trug seine Pädophilie offen zur Schau"

Dem Opfer zufolge gab es dafür hin und wieder Geld für Süßigkeiten, Pornohefte oder Zigaretten. "Heute würde man von Prostitution sprechen", zitiert die Zeitung den Mann. Zum geschilderten Zeitpunkt seien zehn der insgesamt 25 Bewohner des Anwesens Kinder gewesen. "Die Übergriffe haben regelmäßig stattgefunden, manchmal täglich. Insgesamt bin ich von ein paar Männern angegrapscht worden — vielleicht zehn."

Ein weiterer ehemaliger Bewohner der Emmaus-Gemeinschaft, zum Tatzeitpunkt selbst ein Jugendlicher, bestätigte die Anschuldigungen gegen den Grünen-Politiker: "Er trug seine Pädophilie offen zur Schau. Da wurde kein Geheimnis draus, vielmehr Werbung für gemacht", sagt der anonyme Zeuge. Betroffen von den Übergriffen seien mehrere Jungen gewesen. Auch ein Mädchen soll in der Emmaus-Gemeinschaft sexuell missbraucht worden sein.

Neben dem Grünenpolitiker und einem weiteren Bewohner der Kommune, einem angeblichen RAF-Sympathisanten, sollen sich auch Tagungsgäste an den Kindern vergangen haben. Im September 1983 sei zudem vom Grünen-Parteivorstand ein Kinder- und Jugendkongress auf dem Dachsberg ausgerichtet worden, bei dem es insbesondere um das Thema Sex mit Kindern gegangen sei, berichtet der Zeuge. An dem Treffen hätten auch Mitglieder der berüchtigten Nürnberger "Indianerkommune" teilgenommen, einer Gruppierung, die für eine Legalisierung des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs von Erwachsenen und Kindern plädierte.

Der Fall in Kamp-Lintfort ist nicht das erste Mal, dass in der Diskussion um den Pädophilie-Skandal der 80er Jahre der Blick nach NRW gerichtet wird: 1985 feierten Pädophilie unterstützende Gruppen bei den Grünen ihren größten Erfolg. Ein Landesparteitag in NRW ließ eine Passage ins Wahlprogramm rutschen, nach der gewaltfreier Sex zwischen Kindern und Erwachsenen straffrei bleiben sollte. Nachdem die Grünen bei den anschließenden Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, wurde der Passus wieder gestrichen.

Kurz vor der Bundestagswahl im September sind die Grünen jetzt um eine schnelle Aufklärung der Vorfälle bemüht. Führende Grüne, darunter Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, haben den früheren Parteistandpunkt zur Pädophilie bedauert. Der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck sagte, Ende der 80er Jahre hätten ihm Forschungen und die Arbeit von Opferverbänden in der Debatte die Augen geöffnet: "Praktizierte Pädophilie ist in jedem Fall ein Verbrechen."

Lehmann: "Kindesmissbrauch ist eine widerwärtige Straftat."

"Die Opfer haben ein Recht auf schonungslose Aufklärung", teilte der Grünen-Landesvorsitzende Sven Lehmann am Montag mit. Da er nicht mehr lebe, könne er "leider nicht zur Rechenschaft gezogen werden", teilte Lehmann mit. Die Schilderungen der ehemaligen Mitglieder der Lebensgemeinschaft machten in sehr betroffen. "Kindesmissbrauch ist eine widerwärtige Straftat." Der Landesvorstand habe über die Vorwürfe erst durch den Zeitungsbericht erfahren, so der Sprecher.

Lehmann verwies auf die vom Bundesvorstand in Auftrag gegebene Untersuchung zum Einfluss von Gruppen mit pädophilen Zielen in den Anfangsjahren der Partei. Der Landesverband NRW beteilige sich an der Aufarbeitung finanziell und stelle alle Dokumente und Protokolle aus der Zeit zur Verfügung.

Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter wurde mit der Aufarbeitung beauftragt. Allerdings ist nicht mit schnellen Ergebnissen zu rechnen: Der Abschlussbericht soll Ende 2014 vorliegen. Ob es einen Zwischenbericht geben wird, ist derzeit noch offen.

(RP)
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