Krefeld "2015 geht in Hauptschulen das Licht aus"

Krefeld · Das Kollegium der Von-Ketteler-Hauptschule spricht sich einmütig für die Abschaffung der Schulform Hauptschule und einen Neuanfang aus. Wir diskutierten mit Schulleiter Optenhostert und seiner Kollegin Andrea Cloppenburg über diesen Konferenzbeschluss.

 Marcel Optenhostert und Andrea Cloppenburg von der Von Ketteler-Hauptschule im RP-Gespräch.

Marcel Optenhostert und Andrea Cloppenburg von der Von Ketteler-Hauptschule im RP-Gespräch.

Foto: Bastian Königs

Kämpfen Sie für den Erhalt der Schulform Hauptschule?

Optenhostert Nein.

Ups. Das haben wir so klar noch nicht gehört.

Optenhostert Wie wollen Sie eine Schule führen, die keine Schüler mehr hat und auch keine Lehrer mehr bekommt? Wir brauchen einen strukturellen Neuanfang.

Aber Ihre Schule hat gute Werte, und die Kreishandwerkerschaft hat den Hauptschulen unlängst bescheinigt, in den vergangenen drei Jahren einen Sprung nach vorn gemacht zu haben, und die Schulpolitiker fast flehentlich gebeten: Lasst nicht die Instrumente untergehen, die die Hauptschule geschaffen hat.

Optenhostert Ja, und darauf sind wir auch sehr stolz. Wir haben sehr gute Werte bei der Qualitätsanalyse und liegen bei der Übergangsquote unserer Schüler in den Beruf deutlich über dem Schnitt. Aber wissen Sie was? Es interessiert niemanden; solche Ergebnisse ändern nichts, aber auch gar nichts daran, dass Eltern die Schulform Hauptschule lieber meiden. Cloppenburg Wir Lehrer arbeiten gern an einer Hauptschule. Aber unsere Schüler haben damit zu kämpfen. Beispiel Klassenausflug in der Bahn: Man erlebt es eben, dass ältere Leute überrascht reagieren, wenn sie hören, dass die höflichen und zuvorkommenden Schüler, mit denen sie da reisen, Hauptschüler sind. Das ist schon bitter für unsere Schüler. Optenhostert Und so geht es ja auch den Eltern: Sie ernten skeptische Blicke, wenn ihr Kind an eine Hauptschule geht. Es gibt teils absurde Ängste: Manche glauben, hier haue man sich pausenlos gegenseitig auf die Nase. Das ist zwar Unsinn, dennoch gibt es eine Abstimmung mit den Füßen: Eltern und junge Lehrer meiden die Hauptschule.

Das heißt, Sie befürworten die Entwicklung hin zur neuen Schulform.

Cloppenburg Eindeutig ja. Wir haben viele Instrumente zur Berufsvorbereitung entwickelt, die erfolgreich sind, und unser Anliegen ist es, diese Kompetenzen auch in einer möglichen neuen Schulform zu erhalten. Optenhostert Unser Credo bleibt: Gebt uns eure Kinder, und wir machen das Beste draus. Das Etikett Hauptschule ist heute nur hinderlich. Der Ruf der Hauptschule ist durch, das kriegt niemand mehr gedreht, und wenn eine Schule noch so gut ist. Und es mag auch für Schüler hilfreich sein, wenn sie an einer integrierten Schulform, ob es nun die Gesamtschule oder die Sekundarschule ist, das Gefühl haben, dass ihr Weg noch offen ist.

Das heißt, Sie sind auch skeptisch gegenüber Schulformempfehlungen nach der vierten Klasse?

Optenhostert Ja. Die Erfahrung lehrt, dass Kinder sich noch entwickeln. Kinder mit Hauptschulempfehlung schaffen den Realschulabschluss; Kinder mit Realschulempfehlung schaffen den Sprung aufs Gymnasium oder eben nur den Hauptschulabschluss. Ich glaube, integrierte Systeme entkrampfen Schüler und Eltern. Das befreiende Signal ist: Euer Weg ist noch offen, lasst die Schule machen. Deswegen sage ich noch einmal: Schauen wir nicht so sehr auf Empfehlungen, legen wir unsere Kinder nicht früh auf eine Laufbahn fest; gebt uns die Kinder, lasst uns mit ihnen arbeiten, und wir machen das Beste draus.

Gut, die Sekundarschulen sind für die Hauptschulen eine Chance. Fürchten Sie nicht, dass sich Krefelds Realschulen als Verlierer fühlen?

Optenhostert Die Fakten sprechen dafür, dass auch die Realschulen nüchtern über neue Strukturen nachdenken. Wenn die Hauptschulen wegbrechen, müssen die Realschulen unsere Schüler so oder so aufnehmen. Es wäre sehr sinnvoll, wenn beide Schulformen ihre Kompetenzen bündeln.

Und die demographische Entwicklung verschärft das alles.

Optenhostert Eindeutig ja. Ab dem Jahr 2015/16 verlieren wir in Krefeld ca. 350 Schüler in der Sekundarstufe I. Das entspricht z.B. der Zahl der Schüler, die an drei Hauptschulen und zwei Realschulen oder zwei Gesamtschulen in den Eingangsklassen in diesem Schuljahr aufgenommen wurden. Für die Hauptschulen geht spätestens dann das Licht aus. In dieser Situation wird jede Schule jeden Schüler aufnehmen, der kommt.

Sie meinen: Realschulen werden auch jeden Schüler mit Hauptschulempfehlung aufnehmen.

Optenhostert Ja. Und die Spezialisten für diese Klientel sind nun mal wir. Hauptschule steht für BIMS, also für Berufsorientierung, Integration von Menschen mit Behinderung, Migrationsförderung und sozialpädagogische Arbeit. Noch einmal: Es wäre gut, wenn beide Schulformen ihre Kompetenzen systematisch vereinen, statt unter den Bedingungen schrumpfender Schülerzahlen weiterzuwursteln.

Haben Sie nicht Sorge, dass es schwierig wird, Haupt- und Realschüler in einer Klasse gemeinsam zu unterrichten, wie in der Sekundarschule in den ersten beiden Schuljahren vorgesehen? Von Grundschullehrern kann man hören, dass es schon ab Klasse 2 immer schwieriger wird, unterschiedlich begabte Kinder gemeinsam zu unterrichten.

Cloppenburg Ich habe da keine Sorgen; es wird rasch Formen der Binnendifferenzierung geben. Wir arbeiten hier in den ersten beiden Jahren nach dem Klassenlehrerprinzip. Ich brauche danach eigentlich keine äußere Differenzierung. Die Schüler sind aufeinander eingespielt; wissen, wo Stärken und Schwächen von jedem sind, und gehen damit um. Das funktioniert.

Und wie soll es Ihrer Meinung nach in Krefeld weitergehen?

Optenhostert Stadt und Schulen müssen zügig dafür die Weichen stellen. Im Idealfall herrscht bis zum Jahr 2013 Klarheit über Neugründungen. Das ist schon deshalb wichtig, damit auch die Eltern Planungssicherheit haben und wissen, an welchen Schulen sie ihre Kinder anmelden.

Annette Frieling und Jens Voss führten das Gespräch.

(RP)
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