Krefeld Die Bekehrungsgeschichte des Siegfried Ochs

Krefeld · Mit 14 wollte er nicht mehr in die Kirche gehen, mit 18 änderte sich sein Leben: Siegfried Ochs, der als Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde nach 20 Jahren Dienst Krefeld verlässt, erzählt, wie er wurde, was er ist.

 Pastor Siegfried Ochs (54) im Gottesdienstraum der Freien Evangelischen Gemeinde. Der Raum ist schlicht und steht damit in reformierter Tradition. Die Gemeinde lädt für morgen, Sonntag, 13. Oktober, 15 Uhr, Oelschlägerstr. 53, zur Verabschiedung von Pastor Ochs ein.

Pastor Siegfried Ochs (54) im Gottesdienstraum der Freien Evangelischen Gemeinde. Der Raum ist schlicht und steht damit in reformierter Tradition. Die Gemeinde lädt für morgen, Sonntag, 13. Oktober, 15 Uhr, Oelschlägerstr. 53, zur Verabschiedung von Pastor Ochs ein.

Foto: T.L.

Mit 14 wollte er nicht mehr in die Kirche gehen, mit 18 änderte sich sein Leben: Siegfried Ochs, der als Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde nach 20 Jahren Dienst Krefeld verlässt, erzählt, wie er wurde, was er ist.

Mit 14 Jahren trat Siegfried Ochs vor seine Eltern und erklärte entschieden: "Ich gehe nicht mehr mit euch in die Kirche; das ist nichts für mich." 40 Jahre später sitzt er in der Gottesdiensthalle der Freien Evangelischen Gemeinde von Krefeld und erzählt, wie dann doch alles ganz anders kam und er ausgerechnet bei einer Freikirche landete, die alle Glaubensdinge noch etwas ernster nimmt. Seit 20 Jahren ist Siegfried Ochs Pastor bei den Freien Evangelischen; jetzt zieht er in eine Gemeinde im Sauerland.

Wie so oft in solchen Lebensläufen ist die Geschichte der Bekehrung spektakulär und unspektakulär zugleich: Siegfried Ochs hatte kein dramatisches Damaskus-Erlebnis, aber es gibt doch diesen einen Punkt, der rätselhaft ist. Ochs erzählt, dass er über seine damalige Freundin als 18-Jähriger Kontakt zu einer christlichen Teestube bekam; "sie hat mich mitgenommen", sagt er schlicht. Dort kam er ins Gespräch; irgendjemand erzählt von Jesus, vom Evangelium, wie das so ist in diesem Teestuben-Milieu zwischen Kräutertee und Heiligem Geist. Ochs hatte zu diesem Zeitpunkt mit Kirche nicht mehr viel am Hut: Er machte eine Lehre als Schlosser; er war wegen eines Mädchens in der Teestube; alle Vorzeichen wiesen auf ein gediegenes Handwerker-Leben hin.

Doch irgendein Schalter in seinem Innern wurde umgelegt: "Als ich ging, blieb die Frage: Was, wenn er recht hat." Er fing an, in der Bibel zu lesen: "Beim Lesen wurde mir bewusst: Das, was da steht, stimmt. Dann habe ich zum ersten Mal ernsthaft gebetet: Wenn du, Herr, so einen Chaoten wie mich gebrauchen kannst: Hier bin ich." Dieses Erwecksungserlebnis steht in bester pietistischer Tradition, die in Ochs' Heimat Wuppertal stark ist. Vielleicht hat er ja mehr davon aufgesogen, als ihm bewusst war. Jedenfalls war dies die Phase, in der er, wie er sagt, Christ wurde – obwohl er es ja als getaufter Katholik formell schon war. Vor allem sein Vater reagierte verstört. Die Mutter war evangelisch, der Vater katholisch; beide waren treue Kirchgänger. Insbesondere das Verhältnis zum Vater hat gelitten. Ochs sagt, er habe gebetet, dass auch sein Vater Christ werde, sich also bewusster Christus zuwendet. Mitten in der Auseinandersetzung starb der Vater – nun war der Sohn verstört: "Das war ein Moment, in dem ich Gott nicht verstanden habe."

Ochs wurde evangelisch, engagierte sich nach der Lehre bei der "Freiversammlungsmission", einem Missionswerk, und studierte Theologie in der "Bibelschule". Diese ökumenische Ausbildungsstätte verstand sich als Gegenpol zur universitären, "liberalen" Theologie, wie Ochs sagt: Gelehrt wurden zwar auch die Methoden der historisch-kritischen Analyse der Bibel, aber die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes wurde stärker gepflegt als der Hang zu wissenschaftlicher Analyse. Gleichwohl will Ochs nicht "evangelikal" genannt werden; die Bibel werde nicht wörtlich genommen – und das Wort "evangelikal" klingt nach Fundamentalismus. Im Studium lernte Ochs seine Frau Ille kennen und kam über sie zur Freien Evangelischen Gemeinde. Das passte. Diese Glaubensgemeinschaft wurde 1854 in Wuppertal-Elberfeld von dem Kaufmann Hermann Heinrich Grafe gegründet. Er störte sich an der gemeindlichen Abendmahlspraxis: Sie kam ihm zu mechanisch vor, zu gewohnheitsmäßig, zu wenig getragen von echter Zuwendung zu Christus. Ochs dazu: "Es wird keiner ausgegrenzt bei uns, aber wir sagen deutlich: Wenn jemand keine Beziehung zu Jesus Christus hat, dann soll er Brot und Wein an sich vorüberziehen lassen."

Das Konzept behauptet sich – bundesweit gibt es heute rund 40 000 Mitglieder in Freien Evangelischen Gemeinden, doch sie sind sehr engagiert. Die Krefelder gemeinde hat 331 Mitglieder, die mit freiwilligen Beiträgen eine Gottesdiensthalle und ein Backstein-Haus (beides an der Oelschlägerstraße) ebenso finanzieren wie das Gehalt des Pastors. Es gibt keine Kirchensteuer. Die Empfehlung an die Gemeindeglieder sei, sich mit ihren Beiträgen am alttestamentarischen Zehnten des Einkommens zu orientieren, doch seien die Beiträge sehr unterschiedlich, sagt Ochs. Das liege auch an der Mitgliederstruktur: Kamen die Gläubigen früher eher aus dem gehobenen Bürgertum, sind heute alle Schichten vertreten, auch Hartz-IV-Empfänger. Forscht man im Internet nach der "Freien Evangelischen Gemeinde", stößt man immer wieder auf die Frage: "Ist das eine Sekte?" Nein, das nicht. Die Freien Evangelischen sind ökumenisch offen – Ochs etwa war in Krefeld viele Jahre Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Die Gemeinde schottet sich nicht und entwickelt auch nicht jene Agressivität gegen andere, die vielen Sekten zu eigen ist, und sie strebt auch keine totale Kontrolle über ihre Mitglieder an. Auch Ochs ist bei aller Frömmigkeit alles andere als ein Eiferer, einer, der sich im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit wähnt. "Ich weiß, was Zweifel sind", sagt er. Fundamentalisten zweifeln nicht.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort